Sigur Rós schnüren aus Eiskristallen und Sonnenblumenblättern neun Säckchen Potpourri um sie abwechselnd in Wohlfühlharmonien und ausgefranste, verzerrte Gitarrenschichten zu tränken.
Letztes Jahr verließ das einzig klassisch trainierte Mitglied, Multiinstrumentalist Kjartan Sveinsson, die Band. Sigur Rós kanalisieren die Gefühle über diesen Abgang nun auf ihre Weise: Auf „Kveikur“ findet man vermehrt verzerrte Gitarren und drängende Drums, die in die Luft gestellte Pianowände perforieren. Jónsis Stimme verleiht der ganzen Klangwolke eine angenehme Dichte. Der Opener „Brennisteinn“, ein Crescendo, das von elektronischen Soundgeplänkel hin zu einem beschwörend pulsierendem Eiskristall mutiert, bringt diese neue Ästhetik Sigur Rós‘ exemplarisch auf den Punkt.
Die milde Kälte, die „Kveikur“ anfangs versprüht, ist jedoch nur oberflächlich und wird mit einer ordentlichen Portion Wohlfühlharmonien zersetzt. Gewohnt chiffriert Jónsi derweil die ihm als Katalysatoren dienenden Tracks mittels Volenska hin Richtung Unverständlichkeit. Ersteres beweist den Willen und die Fähigkeiten der Isländer stetig neue Nischen im eigenen Sound zu finden um bloß nicht im eigenen Referenzsud zu verharren. Letzteres zeugt von ihrer Motivation die Brücke zum Hörer über den Sound an sich zu schlagen. Beides Multiplikatoren, wenn es darum geht, sich im stetig verändernden Popkultur-Zirkus auch nach über zehn Jahren nach dem Album-Debüt einen Stammplatz zu festigen.
Auch Diversifikation ist auf „Kveikur“ gelebtes Prinzip der Isländer: Jeder Track steht für sich, kein Song gleicht dem anderen – und doch verbindet sie eine gewisse klangliche Semantik: Ab und an tauchen bereits bekannte Passagen wieder auf oder Soundfragmente werden verändert und wiederverwertet. Das eingangs erwähnte, elektronische Gebruzzel ist auf dem titelgebenden „Kveikur“ abgewandelt wiederzufinden. „Var“, der obligatorische Instrumental-Track, behauptet sich als Rausschmeißer und präsentiert sich als herzerwärmendes Konglomerat aus Pianoschichten und fragilen Synth-Parts. Auf ihrem siebten Studio Album distanzieren sich Sigur Rós von ihren Ausflügen in Richtung Aromatherapie-Sountrack, sind eindeutig kantenreicher und räudiger als auf dem Vorgänger „Valtari“. Gerne wird den Isländern vorgeworfen ihre Musik klinge, als würden sich Wale unterhalten. Auf „Kveikur“ sind diese Wale dahingerafft worden und liegen nun blutend in ihren letzten Zügen am Strand.