Die Diagonale endete gestern mit Auszeichnungen und Aktuellem in altem und neuen Gewand. Zeit, einen Blick zurück auf das Wochenende zu werfen. Während man Freitag mit alten Seidl-Filmen in die Vergangenheit entführt wurde und der Film „Die Migrantigen“ zeigte, wie gutes, inklusives und lustiges Kino aussehen kann, referierte am Samstag Andi Winter über seine Tätigkeit als Colorist.
Freitag
Nein, der Film „Die Liebhaberin“ (Regie: Lukas Valentina Rinner) hat nichts mit dem ähnlich klingenden Roman „Die Liebhaberinnen“ von Elfriede Jelinek zu tun, obwohl auch in dieser Geschichte weibliche Autonomie und Freiheit verhandelt werden. Im Zentrum steht Belén (Iride Mockert), die eine Stelle als Hausmädchen bei einer reichen Familie annimmt. Deren Leben scheint perfekt zu sein: Das Haus ist stilvoll eingerichtet, der Sohn ein angehender Tennis-Star, die Mutter immer geschmackvoll gekleidet, gespart wird hier sicher nicht. Dennoch fühlt sich Belén mehr vom Nudistencamp, welches sich nebenan – abgegrenzt von einem Elektrozaun – befindet, angezogen. Anfangs noch scheu, aber fasziniert vom Leben der Nudisten, wagt sie es schließlich und wird Teil der Gruppe. Das Ende von „Die Liebhaberin“ ist ein radikales, das an dieser Stelle natürlich nicht verraten wird. Lukas Valentina Rinner gelingt mit tollen Bildern ein Portrait einer Frau und deren Sehnsüchte nach Freiheit sowie zugleich ein Statement zu Klassenbeziehungen, Sexualität und Lebensvorstellungen in unserer westlichen Gesellschaft.
Komik und Tragik mit Seidl
Am Nachmittag steht am vierten Tag der Diagonale Ulrich Seidl im Mittelpunkt. Im Rahmen eines Specials werden zwei seiner bisher selten (und auch nur im TV gezeigten) Filme, nämlich „Bilder einer Ausstellung“ und „Der Busenfreund“, präsentiert. Anlass dazu ist die Präsentation der DVD-Box „Alle Filme 1980–2017. Ulrich Seidl. Complete Works.“. In „Bilder einer Ausstellung“ aus dem Jahr 1996 lässt Seidl seine ProtagonistInnen über verschiedene Gemälde diskutierten; ausgehend davon entwickeln sich nach und nach Gespräche über Wünsche, Obsessionen und Ängste der Interviewten. Ulrich Seidl wollte mit dem Film der Frage nachgehen, was die Bilder in den Menschen selbst auslösen und wie die Rezeption der Kunst es den Menschen ermöglicht, ihr eigenes Leben zu reflektieren. Aus dem Film ist schließlich „Der Busenfreund“ im Jahr 1997 entstanden, dessen Protagonist René Rupnik ebenso bei „Bilder einer Ausstellung“ mitgewirkt hat. Rupnik ist ein echter Glücksfall für einen Film, wie Seidl ihn macht: Er spart nicht mit seinen – oft obskuren – Äußerungen, hat mehr Neurosen als Zeitschriften in seiner Wohnung, die er damals noch mit seiner Mutter bewohnte (und er hat viele Zeitschriften, sehr viele) und er spricht am liebsten über Frauen (vor allem über Senta Berger) und deren Rundungen. Es sind solche skurrilen Charaktere wie Rupnik, die Seidls Filme eine ganz eigene Komik verleihen, dennoch gelingt es ihm auch hinter die Fassade der Menschen zu blicken und Ängste und Konflikte der ProtagonistInnen aufzuspüren und sichtbar zu machen. Interessant ist bei den beiden Filmen ebenso, dass Seidls Bilder schon damals ähnlich gestaltet waren, wie sie es heute sind.
Leute wie uns
Österreichischen Filmen wird ja oft nachgesagt, schwermütig, melancholisch und voll von schwarzem Humor zu sein. So nannte etwa der Schauspieler und Regisseur John Waters Ulrich Seidls Filme „depression porn“. Dass Filme aus Österreichern auch wirklich, wirklich lustig sein können, beweist der im Juni startende Film „Die Migrantigen“ von Arman T. Riahi. Benny (Faris Endris Rahoma) und Marko (Aleksandar Petrovic) sind Wiener mit Migrationshintergrund. Der eine Schauspieler, der andere Betreiber einer Werbeagentur sind sie eigentlich auch nur Bobos wie viele andere. Zu ihren Familienwurzeln haben die beiden wenig Bezug; dass sie Migranten sind, merken sie eigentlich nur in bestimmten Situationen, etwa wenn Benny bei Castings nur Klischee-Rollen wie die eines Taxifahrers angeboten werden (ähnlich wird dies btw auch in Aziz Ansaris großartiger Serie „Master of None“ aufgegriffen). Als eines Tages die Fernsehredakteurin Marlene Weizenhuber (Doris Schretzmayer) auf die beiden aufmerksam wird, wittert sie ihre nächste große Story und Benny und Marko Geld, Ruhm und neue Chancen. Sie spielen Marlene vor, Kleinkriminelle zu sein und stürzen sich dabei in eine Menge Klischees und bringen damit das Zusammenleben im fiktiven Grätzl Rudolfsgrund ganz schön durcheinander. „Wir wollten auch einmal Leute wie uns auf der Leinwand sehen“, sagt Arman T. Riahi, der das Drehbuch gemeinsam mit den beiden Hauptdarstellern verfasst hat, bei der Österreich-Premiere auf der Diagonale. Ihm und seinem Team ist es gelungen, einen temporeichen, bis ins Detail gut besetzten (unter anderem geben sich Josef Hader und Dirk Stermann die Ehre) und vor allem relevanten Film zu machen. „Die Migrantigen“ ist ebenso Plädoyer für Inklusion. Bitte mehr davon!
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