Peter Nachtnebel, Fluc-Musikverantwortlicher, im Interview über utopische Vorstellungen, die Wiener Clublandschaft und die Problemzone Praterstern.
Vor 15 Jahren, als die Gegend noch als eher blinder Fleck galt, bezog das Fluc sein erstes Quartier am Praterstern. Der Offspace brachte Kunst, Musik und Leben in die Viaduktbögen nahe dem Bahnhof – bei stets freiem Eintritt. Mit der Fluc Mensa sollte noch eine Außenstelle für größere Konzerte und Clubveranstaltungen hinzukommen, bevor beide Orte für den Umbau des Geländes anlässlich der Fußball-Europameisterschaft bereits im Jahr 2005 wieder geräumt werden mussten. Doch dem Betreiber, dem Verein Künstlergruppe Dynamo, gelang es, eine Nachfolgelösung mit der Stadt zu vereinbaren: Eine ehemalige Fußgängerunterführung einige Meter weiter wurde zur Fluc Wanne umfunktioniert, oben drauf setzte man in Form einer Container-Konstruktion das neue Fluc.
Tanz die Utopie!
2017 gehört der auffällige, in Weiß und Blau gehaltene Bau genauso unverrückbar zum Praterstern wie der Bahnhof und die Blechlawine, die um ihn herumrollt. Während in den Räumlichkeiten des Ur-Fluc mittlerweile gegrillte Balkankost serviert wird, orientiert sich das Fluc selbst immer noch am Aufruf „Tanz die Utopie!“, der als Titel ein 2014 im Falter Verlag erschienenes Buch über diesen unverzichtbaren und stets politischen Kulturort im zweiten Wiener Gemeindebezirk ziert. Auch wenn die Bedingungen dafür, das Fluc als möglichst offenen Raum zu betreiben – gerade am als sozialer Brennpunkt verrufenen Praterstern –, nicht unkomplizierter geworden sind.
Peter Nachtnebel, neben Martin Wagner, Ursula Maria Probst, Alexandra Berlinger, Joachim und Sabine Bock Teil des immer noch aktiven Gründungskernteams sowie Fluc-Musikverantwortlicher, im Interview über utopische Vorstellungen, die Wiener Clublandschaft und die Problemzone Praterstern.
Ich erlaube mir einen etwas spielerischen Einstieg. Man kennt das ja so ähnlich von Hunden: Wenn ein Club 15 Jahre alt wird, wieviel ist das dann in Menschenjahren?
Normalerweise mal sieben, oder? (lacht) Hm, gute Frage … In unserem Fall, würde ich sagen, mal 1,2. Also jung geblieben.
Gibt es für das Fluc demnach eher kein Ablaufdatum?
So wie das Projekt – ich nenne es ganz bewusst Projekt und nicht Club – aufgestellt ist, nein. Wäre es ein Club, der sich innerhalb von Clubkategorien bewegt – im Sinne von Musiktrends, die kommen und gehen – würde es das Fluc wahrscheinlich nicht mehr geben. Es wäre so ein Ding, wo man sagt, das repräsentiert das Wien der Nullerjahre und ist jetzt outdated, weil eine neue Generation von Clubgehern gekommen ist. Aber für das Projekt Fluc meine ich: Nein, ganz im Gegenteil. Es braucht mehr denn je so Orte, die offen sind und schwammartig verschiedene subkulturelle Strömungen aufsaugen – von Musik über Kunst bis hin zu Underground-Kabarett.
Sozialwissenschaft und Medien diagnostizieren oft das Problem einer fragmentarisierten Gesellschaft und diese spiegelt sich meiner Meinung nach ganz stark in den Club- und Lokalszenen wider. Es will eigentlich jeder nur unter sich sein. Das Fluc ist einer der wenigen Plätze Wiens, wo der Raver und der Kunststudent an einem Ort zusammenkommen – nicht unbedingt bei der gleichen Party, aber zumindest am gleichen Tag. Solche Orte sind wichtig und solche Orte haben nicht unbedingt ein Ablaufdatum. Ich würd auch sagen, dass das ein bisschen unser Alleinstellungsmerkmal in der Wiener Szene ist.
Wie würdest du das Projekt Fluc denn dann beschreiben, wenn nicht als Club?
Ich sehe uns als einen Ort der Abbildung von dem, was gegenwärtig kulturell passiert – und da passiert sehr viel. Das Fluc ist ein Punkt, wo vieles zusammenkommt und auf einer Tafel präsentiert wird. Das ist ein anderer Zugang als etwa der der frühen Grellen Forelle, wo ein Booker-Team mit einem Techno-Avantgarde-Anspruch etwas programmiert und sein Publikum auf eine Reise mitnehmen möchte. Ein super Ansatz, nur haben wir das von Anfang an nicht gemacht. Die Leute sind mit Ideen auf uns zugekommen und wir haben uns angeschaut, ob das in das greater picture vom Fluc reinpasst, ob es mit unseren eigenen Ideen kompatibel ist. Der Rahmen, was wir wollen und was wir nicht wollen, ist relativ breit gesteckt und insofern hat sich so immer auch ein wenig ein Kraut-und-Rüben-Programm ergeben, dessen kleinster gemeinsamer Nenner die Alternativkultur ist.
Hab ihr dieses greater picture zu Beginn definiert?
Die Gründungsgeneration bestand einerseits aus bildenden Künstlern, die anderen Aktivistinnen und Aktivisten kamen aus der Musikecke, ich vom Skug. Wir hatten uns vorher nicht gekannt – es gab einfach die Idee, etwas gemeinsam zu machen. Ich hatte meine Vorstellung von Musik, die mir wichtig war und die in Wien unterrepräsentiert war. Und die Kunstfraktion hatte ihre Vorstellung von Kunst, die in Wien unterrepräsentiert war. Es ging relativ stark darum, dieser institutionalisierten Museumsquartier-Szene, die damals entstanden ist, etwas entgegenzusetzen.
Wie stellt man sicher, dass man nach 15 Jahren nicht zu dem verkrusteten Betrieb wird, den man früher selbst angekreidet hätte?
Ich finde, wir sind von einem verkrusteten Betrieb weit entfernt, weil das Ding sehr lebendig ist. Das hat damit zu tun, dass viele Leute von außen permanent Input liefern. 60 bis 70% unseres Programms sind externe Sachen. Es passieren dadurch sehr unterschiedliche Dinge. Dinge, bei denen man dann gar nicht so genau weiß, was kommt, aber man lässt es halt einfach mal passieren. Wir sind ein bisschen so eine Wunderkammer, deshalb passen wir auch gut in den Prater.
Mit so einem Konzept zu arbeiten, war das Voraussetzung dafür, 15 Jahre zu überleben, oder hat es das eher erschwert?
Wir haben es uns nicht leicht gemacht und eine längere, quälende Phase der Rationalisierung und der Optimierung durchgemacht. Wenn du jemanden von früher fragst, wird sie oder er automatisch sagen: „Fluc – Eintritt frei“. Das trifft auf die letzten drei, vier Jahre gar nicht mehr zu. Wir sind jetzt ein relativ normales Programmlokal geworden, wo man ganz normal Eintritt zahlen muss und der Bierpreis mittlerweile schon im oberen Segment liegt. Wir haben uns von einem losen Projekt, von einer Vereinsstruktur zu einem wirtschaftlichen Betrieb entwickelt. Nicht unbedingt, weil wir wollten, sondern weil so etwas wie das Fluc im österreichischen Wirtschaftsleben nicht vorgesehen ist. Das heißt, du musst dich an der Gastronomie orientieren, ihren Strukturen annähern, um überleben zu dürfen.
Die Fortgehkultur ist heute auch eine andere als noch vor 15, 20 Jahren. Neue Generation, neue Bedürfnisse, neue Stile – logisch. Diese Szene-Verbundenheit, wie das in den 1990ern mit dem Flex oder in den 1980ern mit der Blue Box war, gibt es nicht mehr. Dass die Location ein Teil deiner Identität ist. Es gab in unserer Anfangszeit den Ausdruck „Flucianer“. Das war eine bunte Mischung aus Bohème, Praterstern-Anrainern, Musikern und so weiter. Das hat sich im Laufe der Jahre verflüchtigt. Die Leute sind viel flexibler geworden, hüpfen von Lokal zu Lokal, von Szene zu Szene. Das macht es natürlich nicht einfach, zu programmieren und zu planen.
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