Keine neue K&D Session. Dafür eine Suite für die Gegenwart, ein Reigen aus feinsten Synths und Melodien, als wäre Wien wirklich eine Weltstadt der Musik.
Es macht nicht Bumm. Dorian Concept duckt sich unter den Erwartungen weg. Stattdessen macht er eine ganz andere Welt auf, für sich, für uns. Die der Melodien, des Flows, der Zwischentöne. Und wie er das macht. Dorian Concept galt früh bereits als so etwas wie ein Wunderkind, selbst wenn er dafür immer schon zu alt war. Egal, es war auch so arg genug. Der Microkorg war seine spektakulärste Waffe, ein billiger, wirklich beliebter und für das Geld sehr vielseitiger Synthesizer. Wenn Dorian damit herumblödelte, wussten also viele, was da eigentlich abgeht, wie schwierig und fragil das Ding eigentlich zu spielen ist. Auf Youtube konnte man ihm öfters dabei zusehen, wie er hyperaktiv Knöpfe, Sounds und Wahnsinn beherrschte. Beigebracht hat Dorian Concept das keiner. Keine Musikerfamilie, kein Mentor, kein vom Blatt spielen, er hat das nur nach Gehör und Intuition gelernt. Darüber hat er nie viel Wind gemacht, dafür ist er viel zu bescheiden. Er würde ohne die Affine-Familie heute nicht Musik machen, sagt er stattdessen. Das Wiener Label war seine Keimzelle, die Stadt sein geliebter Rückzugsort.
Abtauchen, ausatmen, auftauchen
Man hat nun in Wien auf kein Album gleichzeitig so lange und so sehnsüchtig gewartet. Es ist eh fertig, raunte man sich immer wieder zu, er redet gerade noch mit dem Dings da, ein bisschen tackern noch, es kommt sicher bald, dort ein bisschen was nachstellen. So ging das sehr lange. Denn nach seinem ersten Album, das für ihn eigentlich nur zufällig passiert ist und nicht richtig zählt, teilte er sich mit den besten seines Fachs die Bühne, allen voran Flying Lotus. Von den paar Live-Auftritten gemeinsam und solo erzählte man sich noch Tage und Jahre später.
Da wachsen natürlich Erwartungshaltungen. Und die mag Dorian Concept nicht besonders. Er kann abtauchen. In den letzten drei Jahren gab es fast keinen neuen Mucks von ihm zu hören. Zwei Remixe, eine in sich gesackte Skizze, das war es. »Joined Ends« klingt womöglich deshalb nicht so, wie das manche glauben, dass es sollte. Es ist nicht mehr ganz so zappelig. Dass man die Entwicklung dahin, wo er heute ist, von außen nicht ganz nachvollziehen kann, ist vielleicht ein kleiner strategischer Fehler gewesen. Aber die Zeit als junger Hund am Microkorg mit narrischem Rhythmus-Rodeo ist vorbei. Melodtopia voraus.
Ästhetik, bitches
So ein Album ist allerdings schwer zu erklären oder aufzuschlüsseln. Zumindest im Kontext heutiger Popmusik. Es erfüllt keinen offensichtlichen Zweck. Tanzen, Mitsingen, Kopfnicken, Wohlstandsprobleme haben, Pumpen oder Amore, das geht damit erst einmal nicht so richtig. Vielleicht sitzt man ja da und kommt sich richtig geil vor, weil man in all diese Melodien und diese Detailfülle, diesen Brokat und Kaschmir aus Tönen hineinschlüpfen kann und das versteht, weil man Musik liebt, ohne gleich etwas davon zu wollen. Vielleicht glauben ja deshalb manche, das Jazz nennen zu können. Das ist es definitiv nicht. Es gibt auf »Joined Ends« wenig Angriffspunkte und wenig Hinweise, wie das alles gemeint ist. Musik folgt hier einer Eigenlogik, der von Dichte, Entspannung und Linien im Sand, sie spielt mit der Aufmerksamkeit und macht am blinden Fleck ganz irre Sachen, wenn man gerade nicht richtig hinhört. Und das ist einzigartig. Simon & Garfunkel haben vielleicht einmal solche Musik gemacht. Oder Tortoise. Oder Schubert.
Dabei ist das Großartige an Pop ja eigentlich, dass es wirklich immer um etwas geht. Dass man dabei trinkt, protestiert, läuft, fickt oder träumt – und eben gerade nicht zuhört, als Objekt eines interesselosen Wohlgefallens. Aber wenn Pop das eben jetzt auch kann – das Gute, das Angenehme und das Schöne –, ist es zwar vielleicht gar kein Pop mehr, aber warum denn nicht. Dann haben wir soeben eine neue Pop-Technologie-Stufe frei gespielt. Und ja, Absolute Musik, Kontrapunkt, Konzeptalbum ohne Konzept, solche Begriffe fallen im Interview. Das soll niemanden beeindrucken oder einschüchtern, denn das Album ist wie ein alter bester Freund, der nach dieser debilen Maturareise ins Ausland ging, Mechatronik und Kaligrafie studiert hat und Jahre später plötzlich sympathisch vom Magazin-Cover lächelt – nein, es soll verdeutlichen, wie sehr hier jemand aus den Sounds zur Zeit auf etwas hinaus will, das bleibt. Nenn‘ es vielleicht Kunst von den Rändern von Bass und Synth.
Die erste richtige Interview-Frage, die da auf meinem Zettel steht, wäre: Machst du Selfies?
(Lacht) Nein, nicht mehr. Vermutlich vor einem Jahr zum letzten Mal. Und eher aus Unsicherheit als aus Stolz. Ich bin schon in Selfies gelandet. Das ist fast eine philosophische Frage, ob es ein Selfie erst gibt, wenn es gepostet wird. So wie der Baum, der im Wald umfällt.
Freust du dich auf den Rummel und den nächsten Schritt der Arbeit: da Interviews geben, hier Playlist machen, da kleine Snippets, dort eine Video-Premiere?
Ich habe schon gemischte Gefühle. Interviews sind auch ganz unterschiedlich. Es gibt die, bei denen du merkst, sie haben sich vor zwei Stunden den Wikipedia-Artikel durchgelesen. Ich versuche auszuwählen und bei diesem Album einen offeneren Zugang zu finden. Ich hatte früher Angst davor, mich selbst nicht wieder zu erkennen. Einmal habe ich für die Red Bull Music Academy ein Video-Interview auf Englisch gegeben, das ohnehin schon zerstückelt war und dann später in deutscher Übersetzung gedruckt wurde. Bei mir gibt es einen Authentizitätsdrang, fast ein bisschen zwanghaft, nicht verfälscht zu werden.
Es gibt sicher Leute, die dich zu etwas Ähnlichem wie deinen ziemlich bekannten Fooling Around-Videos drängen?
Das schon. Mein Grundinstinkt ist es, mich anfangs zu wehren, das muss dann marinieren. In der Situation selbst stört es mich dann eh nicht so. Ich mach mit, aber man wird keine Plakate im 13a mit meinem Gesicht sehen.
Wäre das schlimm von Dorian Concept gespammt zu werden?
Eigentlich nicht. Aber ich versuch eher bei – sagen wir – drei Interviews wirklich konzentriert zu sein.
Die einfachste Frage: Was hat denn so lange gedauert?
Gute Frage. Im Endeffekt waren es die kompliziertesten Nummern, die ich je gemacht habe. Equalizing, Layering, wie man eine Nummer dicht klingen lassen kann und zur gleichen Zeit leer, wenn man sie leise dreht … teilweise bin ich an einer Nummer zwei Monate gesessen, habe vielleicht auch zu viel Zeit damit verbracht. Ich wollte, dass sie auch noch ein Jahr später gut für mich klingen, dass man immer wieder neue, kleine Details entdecken kann, dass sie langlebig sind. Mit dem neuen Equipment musste ich mich auch lange umstellen und einspielen. Das Album ist in weiten Teilen von Hand eingespielt, ohne Sequencing. Es ist ja schon fast ein Jahr lang fertig. Es gibt noch ein paar Nummern für eine EP. Dann kamen noch Labelsuche, Verträge, Tracklist.