Auf Spurensuche

Es ist die beliebteste Fernsehserie unserer Zeit: »Tatort«. Jeden Sonntag sind die Wohnzimmer, Twitterfeeds und Szene-Kinos voll mit einer Krimi-Reihe, die seit 45 Jahren läuft. Warum ist das so?

Tatort: Roter Teppich

Apropos Schauspieler: Die These, »Tatort« wäre für viele Schauspieler eine Art Superbowl, etwas, das man unter Wert macht, um seine Beliebtheit zu steigern, steht mitunter im Raum. Aus künstlerischer Sicht trifft das – wie sich noch zeigt – nicht zu. Aus finanzieller allerdings auch nicht, denn: Natürlich gibt’s auch Kohle. Ein durchschnittlicher »Tatort«-Kommissar verdient etwa 50.000 Euro pro Fall. Angeblich werden – man darf raten für wen – Spitzengagen von bis zu 300.000 Euro bezahlt. Für deutsche Verhältnisse ist das viel. Man müsste also umgekehrt sagen: Die Beliebtheit der Serie steigt durch die Beliebtheit seiner Hauptdarsteller.

Zu Stars wie etwa Jan Josef Liefers gesellten sich noch größere Heroes und Heldinnen der Leinwand dazu, wie etwa Nora Tschirner, Christian Ulmen, Wotan Wilke Möhring, Publikumsliebling und Sympathieträger Fahri Yardim, Ex-Jedermann Ulrich Tukur oder Sibel Kekilli, die auch in »Game Of Thrones« mitgespielt hat. Und Til Schweiger. Fünf Mal war er in den letzten zehn Jahren unter den zehn erfolgreichsten deutschen Filmen des Jahres. Er darf – erfolgsbedingt – als größter deutscher Leinwandstar »Tatort« ins Kino bringen.

Tatort: Regiestuhl

Auch auf der anderen Seite der Kamera waren immer wieder prominente Namen am Werk. Vor allem in Österreich wurde zuletzt namhaft inszeniert. Von Komödienkönig Harald Sicheritz über Wolfgang Murnberger (»Brenner«) bis hin zum Oscar- und Emmy-Nominierten Robert Dornhelm. Marvin Kren, der mit »Blutgletscher« das erste österreichische Creature Feature schuf, durfte – früher unvorstellbar – bereits dreimal in Deutschland drehen. Neben Geld sind auch die künstlerische Freiheit ein großer Anreiz, Regie bei »Tatort« zu führen.

Tatort: Preisverleihung

Denn im Unterschied zum sonst so engen TV-Korsett, wo ambitionierte Konzepte im ORF gerne in die Dienstag Nacht geschoben werden, ermöglicht die ARD, und hier insbesondere der Hessische Rundfunk, eine durchwegs freie Interpretation des Themas »Krimi«. Zugegeben: Viele Tatorte laufen nach Schema F ab: Leiche am Anfang, der erste Verdächtige ist meistens der Täter, manchmal populistische Sozialkritik gegen die Eliten, zwei unterschiedliche Ermittler mit versteckten Gefühlen füreinander oder für andere Polizeimitarbeiter.

Spätestens mit der 2010 eingeführten Figur des Felix Murot wurden einige klassische Aspekte des Kriminalfilms aber ad absurdum geführt. Mit zuvor als unmöglich eingeschätzter Freiheit in Drehbuch und Darstellung werden Querverweise und Bezüge auf das klassische Theater, aufs Avantgarde-Kino und Surrealismus geknüpft, werden vierte Wände durchbrochen und fiktive Figuren zu ihren realen Schauspielern oder reale Schauspieler spielen eine fiktive Version ihrer selbst. Verwirrend, offene Münder, Grimme-Preis, Goldene Kamera. Das alles gab’s auch schon für andere »Tatort«-Produktionen, fast jährlich werden mehrere Folgen mit Preisen überhäuft, aber kein anderer Ermittler zeigt so sehr die neue, alte Klasse des »Tatort«.

Tatort: Sonntagabend

Der Erfolg der »Tatort«-Reihe ist enorm, die vollen Kinos, Wohnzimmer und Twitterfeeds, Social TV, Stars und Preise in den Vitrinen. Er ist auch dem Ausstrahlungstermin geschuldet, dem Sonntag, dem traditionellen Ruhetag, an dem man nichts anderes vorhat. Keine Samstagabendshow – wo manche Leute ja rausgehen –, keine Dienstagabendsendung hätte so eine Chance, zur Institution zu werden. Nach der Arbeitswoche oder dem Feierwochenende schaffen es viele geschunden und verkatert gerade noch zum Fernseher, zum Second Screen oder ins Kino fürs Reparaturseidel.

Der Krimi an sich hat ja immer noch diese klassische Anziehungskraft. Nicht umsonst wagt sich seit etwa fünf Jahren jeder österreichische Gegenwartsautor an einen Kriminalroman, das Genre ist das meistverkaufte im Literaturbetrieb. Die Anziehungskraft ist klar: Der Gerechtigkeitssinn als menschlicher Trieb, die nahezu hundertprozentige Aufklärungsquote lässt gut schlafen. Die Charakterzeichnung der »Tatort«-Kommissare wird über zig 90-minütige Episoden immer weiter getrieben, verfeinert und die Darsteller dem Zuseher als guter, schrulliger Freund nähergebracht. Die Mörder sind fast nie weltfremde Psychopathen, das könnte immer auch uns passieren. Das Spiel zwischen falschem Guten und wahrem Bösen – und umgekehrt – beherrscht der »Tatort« wie keine zweite Krimiserie.

Mit Ausnahme von den Fällen Murots läuft »Tatort« fast immer nach Schema ab. Das ist – neben all den vielen Aspekten, die die Reihe so erfolgreich machen – wahrscheinlich das, was »Tatort« zu mehr als der Summe der ohnehin beeindruckenden Einzelteile macht. Oder, wie Brecht über den literarischen Bruder, den Kriminalroman, sagte: »Er hat ein Schema und zeigt seine Kraft in der Variation.« »Tatort« ist immer gleich, vorhersehbar, aber im Rahmen des Erwartbaren immer anders.

»Tschiller: Off Duty« mit Til Schweiger und Fahri Yardim läuft seit 4. Februar im Kino. »Tatort« läuft seit 1971 jeden Sonntag im Fernsehen, in Österreich auf ORF2.

Bild(er) © Warner
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