Aus dem Kontext gerissen

Wir haben mit dem Regisseur Michael Laub über seine Arbeit bei den [Trans] Asia Portraits und kambodschanischen Rock n‘ Roll gesprochen. Und darüber, was es denn eigentlich mit dem Wort "zeitgenössisch" auf sich hat.

In dem Projekt geht es ja oft um die Spannung zwischen traditionell und zeitgenössisch. Was bedeutet denn zeitgenössisch für dich?

Für mich bedeutet es, dass etwas in Einklang mit dem täglichen Leben ist. Dass es relevant für den sozialen Kontext ist, in dem wir jetzt gerade leben. In Kambodscha ist zum Beispiel der Apsaratanz, der klassische traditionelle Tanz, ein Teil des täglichen Lebens: man sieht das in jedem Restaurant, in jedem Hotel, bei den meisten Veranstaltungen. Und es war eine große Anstrengung den Tanz zurück zu bekommen, denn während der Periode der Roten Khmer gab es ihn nicht.

Auf der anderen Seite ist der beliebteste Tanz in Kambodscha der Madison, der in den 60ern in den USA auftauchte und später von Regisseuren wie Jean-Luc Godard in „Bande à part“ genutzt wurde. Die Kambodschaner haben eine sehr spezielle Herangehensweise an diesen Tanz, so wie auch Rock n’Roll eine besondere Geschichte in Kambodscha hat, die ich nicht kannte. So ist Kambodscha das einzige Land, in dem Rock n‘ Roll durch die Monarchie eingeführt wurde. Der König Sihanouk hatte eine Kamera und machte Filme und alte, schäbige Männer gingen mit ihren jungen Frauen in Clubs, um dort Musik zu machen mit zehn Männern an zehn Gitarren und einer Sängerin mit einer unglaublichen Frisur. Aber die Musik war sehr echt.

Auch kambodschanischer HipHop hat eine sehr spezielle Geschichte. Die ersten Flüchtlinge, die Kambodscha verließen, kamen nach Kalifornien und L.A. Sie lebten in rauen Gegenden, in denen sie Gang-Kultur kennenlernten und darüber auch Hip Hop. Manche von ihnen kamen zurück nach Kambodscha und mixten Hip Hop-Elemente und Beats mit traditionellen Instrumenten. All diese Musik- und Tanzformen haben ihren Platz in der Gesellschaft heute, deshalb sind sie zeitgenössisch.

Deine Portrait-Serie hast du ja schon 2002 angefangen, und 2011 auch am Burgtheater die „Burgporträts“ gemacht. Du hast viele Leute auf die Bühne gebracht, die sonst eher dahinter arbeiten. Was hat dich daran interessiert?

Die ganze Serie interessierte mich eigentlich, weil das nicht meine Idee war. Ein Produzent sah eines meiner Solos und sagte: „Oh, deine Solos sind eigentlich schöne Portraitarbeiten. Wieso kommst du nicht ans Schauspielhaus in Hamburg und machst Portraits?“ Ich habe mir die Geschichte von Portraits im Theater angeschaut, die war sehr beschränkt. Also ging ich zur Fotografie und bemerkte, dass mir zwei Sorten von Foto-Portraits gefielen. Zum einen waren das fast schon brutal natürliche Aufnahmen, auf denen das Modell vielleicht gar nicht weiß, dass es aufgenommen wird, oder das andere Extrem. Total inszenierte, aufgesetzte Portraits, bei denen die Künstlichkeit die höchste Qualität ist. Also habe ich versucht, dies für die Bühne zu adaptieren. Die Leute sollten also wirklich authentisch oder total aufgesetzt sein. Leute, die nicht auf Schauspielschulen waren, haben oft eine andere Herangehensweise. Also mischte ich hochprofessionelle Leute mit solchen, die noch nie zuvor auf einer Bühne standen. Und dann interessiert es mich immer, Dinge zu isolieren. Du hast beispielsweise in einer Szene eine tuschelnde Gruppe im Hintergrund, und zu stellst die in den Vordergrund aber völlig aus ihrem Kontext entrissen.

Im Burgtheater war es interessant für mich, dass ich mit völlig verschiedenen Formen von Theaterleben arbeiten konnte. Alle diese Menschen hatten eine extrem hohe Identifikation mit dem Haus, mit dem Fakt, dass sie Angestellte des Burgtheaters waren, egal was sie dort taten. So ja, für mich war es vor allem eine Kontrastierung. Der Typ, der in der Kantine arbeitet und seine Geschichte in seinen Worten erzählt. Und du stellst das einer Diva gegenüber, die auch ihren Charme hat, aber eine völlig andere Art, sich auf der Bühne auszudrücken.

Aber waren die Leute glücklich darüber, auf der Bühne zu stehen oder hatten sie eher Angst und mussten überzeugt werden?

Wahrscheinlich beides. Aber das geht ja auch Professionellen so. Aber ich habe nie versucht jemanden zu überzeugen, obwohl, vielleicht ein paar, die letzten Endes aber sehr glücklich damit waren. Es ist manchmal überraschend, selbst in Kambodscha, die Anzahl von Menschen zu sehen, die gerne auf der Bühne stehen würden. In Istanbul traf ich Hausfrauen, die mir sagten, ich dürfe ihren Männern und Familien nicht sagen, dass sie überhaupt zum Vorsprechen gekommen waren, aber sie wünschten sich Fernsehstars zu werden.

In Kambodscha war das ähnlich. Eine Menge Leute wollen Models, Fernseh- oder Serienstars werden. Die Motivation ist eine andere. Im Westen geht es eher um Themen, mit denen ich gerne arbeite: um Eitelkeit, ums Gerne-Sein-Wollen. Ich stelle mich da nicht drüber, wenn ich Künstler bin, dann bedeutet das, dass ich auch so meine Probleme damit habe. Aber wenn ich die Leute in Kambodscha gefragt habe, warum sie Fernsehstars etc. werden wollen, dann lautete die Antwort: „Weil ich meine Familie ernähren will.“

Danke, ich denke das ist ein gutes Schlusswort.

Ja, noch eine Sache: Leute, die meine Arbeit im Burgtheater gesehen haben, sollten hier etwas ganz anderes erwarten. Diese Installation ist wirklich so aufgebaut, dass man jederzeit da rein und wieder rausgehen kann. Diesmal geht es wirklich mehr um Tanz als um die Biographie des Tanzenden. Es spielt sich mehr in einem Rahmen ab. Nicht, dass ich versuche Leute einzurahmen, es ist das Flüchtige in einem Portrait, was mich am meisten interessiert. Das, was ich nicht genau interpretieren kann. Und die Visualisierungen sind sehr inspiriert von Medienbeeinflussung, nicht unbedingt westlicher Art. Beispielsweise waren kambodschanisches Regionalfernsehen oder Youtube-Clips eine Inspiration. Also selbst diese post-kitschigen Elemente rühren von ihrer eigenen Medienbeeinflussung her. Das ist ein Mix aus westlichen und kambodschanischen Popbildern. Prinzipiell ist es ein Mix aus Bildern und Sound. Aber es ist wichtig zu wissen, dass viele der Bilder von Dingen kommen, die mich in Kambodscha beeinflusst haben. Ich habe die Dinge angeschaut, die die Leute dort anschauen, zum Beispiel lokales Fernsehen, aber auch andere Medien, Werbung, es ist ja überall und umgibt das tägliche Leben.

Die Cambodia- Dance Portraits sind im Rahmen der [Trans] Asia Portraits am 6. und 7. sowie vom 10.-14. Februar im 21er-Haus zu sehen.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...