Ausweitung der Kampfzone

Nicht erst in den letzten Jahren hat Literatur an Diskurs- und Deutungshoheit eingebüßt. Mit Fritz Ostermayer als neuem Leiter der „Schule für Dichtung“ betritt nun einer das Feld, dem eine poetische Expansion vorschwebt.

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Azyklisch gedacht, wäre jetzt der ideale Zeitpunkt, eine Buchhandlung aufzusperren. Ein Laden nach dem anderen macht dicht, verkauft ab und die Großen der Branche verlieren immer offensichtlicher das Interesse am physischen Produkt Buch: Thalia kündigt bereits eine deutliche Verringerung der Geschäftsflächen an, verkauft Diddl-Mäuse und dirigiert seine Kunden, wann immer möglich, in den Webshop. Absehbar, dass die durchschnittliche Thalia-Filiale bald zum besser sortierten Libro-Outlet gerät. Libro wiederum dünnt sein Buch-Sortiment abermals stark aus und versucht sich gerade erneut zur Lifestyle-Kette zu wandeln. Neben Plastikkulis, Telefonwertkarten und Feng-Shui-Ratgebern werden bei Libro bald noch mehr Ohrringe, Kettchen und Glückwunschkitsch verkauft. Der Sanierer der Kette hat das letztens so im Format verlautbart.

Azyklisch wäre das Aufsperren einer Buchhandlung allerdings nur dann, wenn dahinter eine Überzeugung stünde, dass nach der offensichtlichen Bedeutungsimplosion des Buches als Produkt bald wieder so etwas wie ein Bedeutungsgewinn bevorstünde. Dass auch die Verkäufe gedruckter Bücher wieder halbwegs in die Höhe gehen. Davon ist allerdings eher nicht auszugehen. Zumal das Buch nicht nur als Handelsware, sondern auch als Kulturträger immer mehr an Relevanz verliert. Denn Literatur insgesamt hat in den vergangenen Jahren an Diskurs- und Deutungshoheit eingebüßt. Massiv. Das muss man nicht prinzipiell bedauern. Geben halt andere Medien Themen vor, verlagern sich Diskussionen in Blogs oder werden von Web-Serien und hin und wieder von Graphic Novels angestoßen. Blöd ist die Sache bloß für Literaten, denen – analog zu den Musikern – außerdem bald die Felle im Digitalen davonschwimmen werden. Im Gegensatz zu den Auftrittsmöglichkeiten der Musiker gibt es in der Literatur auch kein etabliertes Geschäftsmodell für Performances oder Lesungen. Man ist es als Leser nicht gewohnt, für Lesungen oder Autorengespräche zu zahlen. Höchstens ein paar wenige Starautoren schaffen es, nennenswerte Summen aus Auftritten zu lukrieren.

Umso löblicher, wenn eine Einrichtung wie die Kreativagentur Departure sich mit ihrem „Literature Lab“ aktiv ums Ausloten neuer Literatur-Formate und Kooperationen bemüht – wie das zuletzt mit ihrer „Sehbuch“-DVD-Reihe passiert ist, die Texte von Jelinek, Handke, Rilke oder Ann Cotten um Visualisierungen aus dem Sound:frame-Umfeld erweiterte. Das Ergebnis mag einen überzeugen oder nicht. Das Suchen und Finden neuer, zeitgemäßer Formen der Fiktion und Poesie ist jedenfalls mehr denn je erforderlich. Allein schon, um nicht vollständig der Rationalität digitaler Verwertungslogiken geopfert zu werden. Vielleicht absurd, wenn ausgerechnet eine Agentur für Kreativwirtschaftsförderung solch temporäre Laborbedingungen bereitstellt. Denn eigentlich gehört die Poesie ja wieder hinaus ins Feld, zu den Leuten, in den Alltag.

Doch: „Alles, was die Buchdeckeln sprengt, bietet neue Chancen poetischer Expansion“, sagt der Autor und FM4-Journalist Fritz Ostermayer, der dieser Tage die Leitung der Wiener „Schule für Dichtung“ übernommen hat (im Interview mit thegap.at). Dank Ostermayer, einem angry old man subkultureller Erdung und von kompromissloser Konsequenz, und „seiner“ Schule für Dichtung verfügt Wien nun über ein höchst spannendes literarisches Labor, das in nächster Zeit wohl für so manche Überraschung gut sein wird. Bleibt zu hoffen, dass Ostermayer sich nicht nur als Kulturträger, sondern auch als Manager bewährt und behaupten kann. Vielleicht ist es ja doch nicht ganz verkehrt, dieser Tage eine Buchhandlung aufzusperren. Sie könnte ja aussehen wie das Phil.

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