betrunkene dekorieren

Pikante Partybilder, Meuchelfotos und andere transparente Tatsachen fordern die herrschende Scheinmoral heraus. Das Internet wird deshalb auch im Berufsleben bald gängige Konventionen verändern. Gefragt ist Bewusstsein, vor allem aber Gelassenheit.

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Es ist kein Zeichen besonderer Intelligenz, öffentlich Reisetagebuch über fiebrige Goa-Nächte im Waldviertler Hinterland zu führen, wenn man sich offiziell gerade zu Hause gesund schwitzt. Auch lässt man sich besser nicht auf Saufgelagen oder am Festival-Zeltplatz rumgammelnd ablichten, wenn einem der befreundete Hausarzt übers verlängerte Wochenende Arbeitsunfähigkeit attestiert hat. Wenn doch, dann sollte man wenigstens verhindern, dass die Partyaufnahmen auf Facebook oder anderswo online auftauchen. Weil sie sonst sehr wahrscheinlich – und zu Recht – gegen einen verwendet werden. Darüber hinaus aber muss man den Besserwissern und journalistischen Panikmachern aus den Karriere-Ressorts nicht unbedingt Glauben schenken, wenn sie einen wieder einmal vor dem freizügigen Umgang mit privaten Schnappschüssen in sozialen Netzwerken warnen. Denn es ist vielleicht der Gemeinplatz der Unqualifizierten schlechthin, zu behaupten, dass einem Dokumente ausgelassenen Feierns und lustvoller Ausschweifungen zwangsläufig um den Job, die spätere Karriere und die Reputation bringen. Klar kann und wird es brenzlige Interessenskonflikte zwischen Privatem und Profession geben. Doch ohne leugnen zu wollen, dass gesellschaftliche Konventionen über das bestehen, was an individuellem Spaß toleriert wird: Diese für absolut zu erklären als handelte es sich dabei um unumstößliche Naturgesetze, ist deutlich übertrieben – und jedenfalls so kleinkariert, wie manche Branchengepflogenheiten tatsächlich (noch) sein mögen.

Unweigerlich auf uns zukommen dürfte nämlich ein aufgeklärterer Umgang mit dem Faktum, dass es mittlerweile von fast jedem Zeitgenossen kompromittierendes Material gibt: Meuchelfotos, unvorteilhafte Privataufnahmen vielleicht, Belege wilden Treibens oder diverser »Jugendsünden«. Gelassenheit wäre also eine Tugend und wird, so meine Prophezeiung, auch zu einer solchen werden. Denn die Moral der Scheinheiligen lässt sich allerhöchstens noch so lange aufrechterhalten, wie deren eigene Vergangenheit im Dunkel der prädigitalen Fotoalben verborgen bleibt. Eine weitgehende Transparenz kommt ebenso unaufhaltsam auf uns als Privatpersonen zu wie auf große Konzerne. Diese müssen erst damit umgehen lernen, dass plötzlich mündige Konsumenten vereint und konzertiert Druck auf sie ausüben, wenn sie hochgradig amoralisch agieren. Wenn sich also in Werbung, PR und im eigentlichen Produkt das verbreitete Selbstbild (»Image«) als mit der Realität nicht wirklich deckungsgleich erweist. Freilich muss sich das Bewusstsein dafür erst herausbilden, im ganz Großen wie im Kleinen, Privaten. Es lässt sich schon jetzt nicht mehr zur Gänze trennen und noch weniger wohl in Zukunft, ob wir das wollen oder nicht. Grund zu Panik, Angst oder Selbstzensur ist diese Entwicklung trotzdem keine. Wer sich nicht gerade beim Begatten von Schweinen oder anderen womöglich strafrechtlich relevanten Ferkeleien filmen lässt, dürfte also auch in einer nicht allzu fernen Zukunft nichts Gröberes zu befürchten haben.

Schokoseiten des Lebens

Warum sollte auch, wer wirklich meint, seinen Intimschmuck aller Welt auf Facebook präsentieren zu müssen, schlechter Auskunft über Bausparkonditionen geben als die biedere HAK-Absolventin im Graue-Maus-Kostüm von Kleiderbauer? Zumal jedem bewusst ist, dass es sich dabei locker um ein und dieselbe Person handeln kann. Die Werbung prescht einmal mehr vor. Einen unverkrampft zeitgemäßen Zugang versucht bereits ein sonst nicht besonders origineller Radiospot des österreichischen Traditionsunternehmens Josef Manner & Comp AG. Darin berichtet eine junge Frau schmatzend, ihr Freund hätte ihr gedroht »Entweder ich höre auf, dauernd die neuen Dragee-Keksi Banane zu essen oder er stellt intime Fotos von mir online.« Ist ihr aber egal, sie schmatzt vollmundig weiter. »Bin eh so fotogen!«. Die Kinder wissen ja nicht, was sie tun? Versauen und verbauen sich die Zukunft? Na genau. Drauf gebissen!

Thomas Weber, Herausgeber

weber@thegap.at

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