"Ich wollte einen Namen, der gezielt darauf hinweist, dass ich eine Frau bin!" Die Wiener Künstlerin Chinagirl Tile gibt mit Keramik Märchenfiguren einen sozialen und politischen Sinn. Mittlerweile fast überall auf der Welt.
Dirndl, München, Deutschland (© Chinagirl Tile)
Bambi, Tanuki Lake, Japan (© Chinagirl Tile)
Bullet Bill, Computerspielemuseum Berlin, Germany (© Chinagirl Tile)
CCTV Bricklane, London, England (© Chinagirl Tile)
Animal of a differet kind, Intimes Kino Berlin, Deutschland (© Chinagirl Tile)
Huge Bambi Gallery, Kawamatsu, Jimbocho, Tokyo, Japan (© Chinagirl Tile)
My little Phoney, Bricklane, London, England (© Chinagirl Tile)
Phage Mout Leinster, Irland (© Chinagirl Tile)
Security is in the eye of the beholder, Donaukanal, Wien (© Chinagirl Tile)
Wiener Zucker, Donaukanal, Wien (© Chinagirl Tile)
Wer schon einmal an der Promenade des Donaukanals, genauer gesagt am Nordufer nahe der Salztorbrücke, vorbeigekommen ist, dem ist sicherlich das große Keramik-Relief mit dem Logo "Wiener Zucker" aufgefallen. Nicht nur die österreichische Hauptstadt, sondern auch andere Städte wurden von der Künstlerin "Chinagirl Tile" mit solchen Werken bereichert.
Chinagirl Tile über keramische Bambis, Füchse und kotzende Ponys, der Verbundenheit zur Heimatstadt Wien und warum die heutige Vorbildrolle für Mädchen eher mit bulimischen Chihuahuas zu vergleichen ist.
Was darf man über dich persönlich wissen?
Die Kunst hat mich schon von klein auf immer begleitet. Ich hab mit künstlerischem Schwerpunkt maturiert und bin dann über Comic und Animation bei der Keramik gelandet. Als ich 2010 begonnen habe, mit Keramiken im öffentlichem Raum zu arbeiten war mir klar, dass ich damit weiter machen werde. Das liegt vorallem daran, dass ich die Leute zum Denken bringen will, sie müssen nicht das sehen was ich in meinen Arbeiten sehe, aber ich möchte, dass sie selber das Hirn anschalten und beginnen, nachzudenken. Deswegen arbeite ich als Künstlerin auf der Straße, um etwas zu verändern.
Du arbeitest meistens mit Kacheln. Das ist ziemlich ungewöhnlich. Bist du damit allein?
Kacheln, Tile oder auch Fliese umschreibt nur schlecht was ich eigentlich mache. Eigentlich arbeite ich mit Keramiken. Es gibt nur wenige, die im Street Art Bereich überhaupt mit 3-D-Objekten arbeiten und noch weniger, die Keramiken verwenden. Das hängt damit zusammen, dass Keramik ein ziemlich zeitaufwendiges Medium ist. Ich bin also nicht ganz alleine, aber in dem Ausmaß, in dem ich weltweit unterwegs bin, findest du sonst keinen, der wahnsinnig genug ist, mit Keramiken zu arbeiten. Für meine großen Arbeiten stehe ich mehrere Monate in der Werkstätte, bevor ich sie überhaupt montieren kann und dann nochmals mehrere Tage an der Wand.
Halb Lissabon ist mit ähnlichen Kacheln zugepflastert. Halten sich deine Arbeiten so länger im öffentlichen Raum?
Teil meines "Tiles Project" ist es, die Arbeiten weltweit zu verbreiten. Neben Lissabon zählen auch Städte wie London, Berlin und Tokyo, aber auch Plätze weitab von der Zivilisation – wie z.B. der Urwald von Neuseeland und die Wildnis Schottlands – zu meinen Stationen. Der Umfang, in dem ich das Projekt betreibe, trägt sicherlich zum Wiedererkennungswert und der Wertschätzung der Keramiken und damit der längeren Haltbarkeit der Arbeiten bei. Allerdings kommt es leider auch immer wieder zu gezielten Abmontagen durch "Kunstsammler".
Was gibt es außer dem "Wiener Zucker" sonst noch von dir im Raum Austria?
In Wien findet man einige Arbeiten von mir. Wenn man "die Großen" sehen will, schaut man am besten zum Donaukanal hinunter. Dort findet man unter anderem die Drohnen "Security is in the eye of the beholder", die ich auf Einladung des Calle Libre Festivals beim Werk am Donaukanal montiert habe. In der Arbeit geht es mir um vermeintliche Sicherheit und Überwachung. Die Wand war eine Kooperation mit Loomit, Lunar und Zetz.
Und "Wiener Zucker", ein Liebesbrief und Geschenk von mir an meine Stadt, in der es mir um das bittersüße Lebensgefühl geht. Wien, mit all seinen schlechten Seiten – über die latente Fremdenfeindlichkeit bis hin zum ur-typischen Grantler – aber auch seinen guten Seiten, die diese Stadt auszeichnen und sie so lebenswert machen.
"Wiener Zucker" ist nicht nur meine Größte und mit 30 Kilogramm die Schwerste, sondern auch arbeitsintensivste Arbeit. Das ging für mich von der Produktionszeit über die gesamten Genehmigungen, die ich von der Stadt Wien einholen musste, bis hin zur Fertigstellung. Es dauerte über ein Jahr, bis die Arbeit gehangen ist und mir die Stadt Wien ihr OK gegeben hat. Abseits von Wien fürchte ich, vernachlässige ich Österreich ein bisschen, aber ich habe mir vorgenommen das demnächst zu ändern. Innsbruck steht im Moment weiter oben auf meiner Liste, mal schauen was sich daraus ergibt.
Kotzende Ponys, kotzende Frauen im Dirndl, bewaffnete Eichhörnchen. Dir taugt also das Süße und Häßliche?
Süß oder häßlich ist nicht die Frage, sondern was steckt dahinter? Ich arbeite salopp gesagt politisch, ich bin also eine der wenigen Künstlerinnen im Streetart-Bereich, die aktiv die Leute zum Denken bringen wollen. Meine Kunst mag auf den ersten Blick herzig oder naiv wirken, hat aber in 99% der Fälle einen Hintergedanken und beschäftigt sich mit Themen wie Kapitalismus, Frauenrechten, Überwachung, Umweltverschmutzung und zeigt oft, auch mit dem so berühmten schwarzen Wiener Humor, auf das was unter der Oberfläche verborgen liegt.
In der Arbeit "My little Phoney" also das kotzende Pony, geht es mir um das Frauenbild, das kleine Mädchen heutzutage vermittelt bekommen. Sieht man sich die quietschbunten dicken Pferdchen aus den 80ern an und beobchtet dann die jeweils nächsten Generationen bis hin zur jetzigen, erkennt man einen eindeutigen Trend – sie werden immer dünner. Die Frage ist: Was vermittelt die heutige Generation der kleinen Pferdchen, die, wenn man sie genau betrachtet, eher einem bulimischen Chihuahua ähneln als einem Pony, den Mädchen, die damit spielen? Be slim be pretty?
Allzu viele Frauen gibt es in der Street Art nicht. Woran liegt das und was bringt das für dich?
Das habe ich mir am Anfang auch gedacht und mich gefragt, ob das stimmen kann? In Österreich hört man ja vergleichsweise wenig von den Mädels. Die Antwort kam dann ein paar Jahre später mit dem zweiten Femme Fierce Festival in London, da standen dann auf einmal 150 Sprayerinnen und haben gemeinsam den Leakstreet Tunnel zugebombt. Dort war ich mit meinen Keramiken dabei.
Als ich angefangen habe, wusste ich, dass es Frauen im Street Art Bereich gibt, sie aber einfach nicht sichtbar sind. Mit dem Festival war auf einmal klar, dass es verdammt viele sind und sie haben nicht vor, in den Schatten zurück zu treten.
Mehr Mädels in der Street Art Branche?
Ich arbeite daran den Mädels mehr Möglichkeiten zu bieten und sie sichtbar zu machen. Ich bin der Zeit auf Wandsuche für diverse Projekte und lade auch immer wieder Sprayerinnen ein, etwas in Wien zu machen. Einfach weil ich es wichtig finde, Frauen und gezielt Künstlerinnen zu unterstützen. Ich hatte im November die britische Künstlerin S.o.S. da, die wie ich künstlerisch politisch arbeitet und war mit ihr im Parlament eingeladen, um über ihre Arbeit "Alice Against FGM", die sich mit FGM Female Genital Mutilation beschäftigt, zu reden. Im Rahmen ihres Besuches habe ich ihr auch eine Wand in Wien organisiert, auf der jetzt ihre Arbeit zu sehen ist.
Wie sieht die Zukunft aus? Wo planst du deine nächsten Projekte?
Letztes Jahr war ein Jahr mit sehr vielen großen Arbeiten, aber kaum kleinen, wie die Füchse "Salt and Pepper" und "The Boy", der in London ein neues Zuhause gefunden hat. Dieses Jahr werde ich wieder eine Reihe an kleinen Fliesen herausbringen, aber auch große Arbeiten dürfen nicht fehlen. Vor allem, weil ich bei einigen Street Art Festivals eingeladen bin und da die Freiheit habe, groß zu arbeiten. Also heißt es, Augen offen halten.
Wer sich für mehr Chinagirl Tile interessiert, Infos gibt es auf ihrer Website.