»Was soll man den Neubauten schon groß über künstlerische Freiheit erzählen?« – Blixa Bargeld im Interview

Blixa Bargeld, der Kopf und Sänger der Gruppe Einstürzende Neubauten, sowie früherer Gitarrist der Band Nick Cave and the Bad Seeds, arbeitete in
verschiedensten Bereichen der Darstellenden Kunst. Im Interview erzählt er uns kurz nach seinem 60. Geburtstag von Projekten und Kollaborationen aus der jüngeren Vergangenheit, sowie seinen Solo-Performances.

Blixa Bargeld © Thomas Rabsch
© Thomas Rabsch

Herr Bargeld, eines der jüngeren Einstürzende Neubauten-Projekte war »Lament«, ein Konzeptstück über den Beginn des Ersten Weltkrieges. Würden Sie erklären wie dieses Projekt zustande kam?

Die Stadt Diksmuide hat uns im Rahmen eines größeren Projekts, namens »Go West« beauftragt, zu Gedenken des Ausbruchs des ersten Weltkriegs eine Performance zu kreieren. Diksmuide in Flandern wurde damals komplett verwüstet und ist eine Art Symbollandschaft für den Wahnsinn des ersten Weltkrieges geworden. Eben für die Bilder vom Grabenkampf und Schlammschlachten, die die meisten von uns im Kopf haben. Die Schallplatte selbst ist nichts weiter als der Niederschlag dieses Projekts. Es war notwendig, »Lament« auch als Tondokument zu veröffentlichen, sonst hätten wir es uns nie leisten können diese Performance zu kreieren.

»Lament« von Einstürzende Neubauten © Mote Sinabe
»Lament« von Einstürzende Neubauten © Mote Sinabe

Aktuell kann man Ihre Musik im »Bauhaus 100« hören – ein Projekt, das auf das totale Tanztheater bezogen ist.

Bauhaus hat mich immer schon interessiert und ich bin, was diese Dinge angeht, einigermaßen gebildet. Wir wurden beauftragt, für ein dreidimensionales totales Tanztheater ein Musikstück zu schreiben. Ich bin zuerst davon ausgegangen, dass wir irgendwas mit Oskar Schlemmer und dem triadischen Ballett machen und Instrumentalmusik schreiben sollen. Es wurde aber dann eine virtuelle Realisierung von etwas anderem und sie brauchten lediglich einen Song. Sie sehen schon, es ist kein Neubauten-Projekt. Ich habe nichts gegen solche Aufträge, will aber auch nicht in der Ecke landen, wo ich nur noch Auftragskompositionen zu hundertjährigen Ereignissen schreibe.

Sie hatten in den letzten Jahren mehrere Platten mit Teho Teardo veröffentlicht. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Teho hat einmal die Musik geschrieben zu Injuria, einem Theaterstück des  italienischen Theaterkollektivs Socìetas Raffaello Sanzio. Ich habe damals ein bisschen Text beigesteuert. Dann hat er mich 2008 in San Francisco aufgesucht, damit ich ihm einen Song für einen italienischen Film schreibe, dessen Musik er komponiert hat. Der Film hieß »Una Vita Tranquilla« und das Lied dem entsprechend »A Quiet Life«. Beides war eine schöne und fruchtbare Zusammenarbeit und wir dachten, dass wir auch ein ganzes Album aufnehmen könnten. Aus einem Album wurden dann zwei, und mit dem dritten haben wir auch schon angefangen. Allerdings gibt es bisher nur einen Song, also noch keinen Zeitplan für die Veröffentlichung.

In all diesen Projekten verwenden Sie gleichzeitig verschiedene Sprachen.

Ja, Mehrsprachigkeit ist inzwischen beinahe ein Markenzeichen von mir geworden. Seitdem wir mit den Neubauten »Tabula Rasa« gemacht haben – als das ganze Album, jedes einzelne Stück, in mehreren Sprachen geschrieben wurde. Das ist übrigens auch aus einem Projekt entstanden. Die damals sehr bekannte kanadische Tanzgruppe namens »La-la-la human steps« hat uns gebeten, Musik zu einem ihrer Stücke zu schreiben und das, wenn möglich nicht nur auf Deutsch. So habe ich eben auch auf Französisch, Englisch und Lateinisch geschrieben. Das wurde dann langsam zur Praxis bei allen Neubauten-Projekten und auch bei den anderen Arbeiten mit Alva Noto und Teho. Bei »Lament« war es dann naturgemäß der Wunsch des Auftraggebers eine möglichst polyglotte Performance zu kreieren.

Gibt es da Unterschiede, in welchen Sprachen Sie lieber arbeiten?

Englisch ist jetzt nicht unbedingt meine bevorzugte Arbeitssprache, aber sie ist bei mir zu einem relativen Bestandteil des Alltags geworden. Durch 20 Jahre Zusammenarbeit mit Nick Cave oder durch meine Heirat mit einer Amerikanerin, oder wenn Sie so wollen mit einer Chinesin. Ohne all dies würde ich aber Englisch wahrscheinlich nicht anrühren. Bei Italienisch war das anders, da ich Latein in der Schule hatte und somit keine großen Schwierigkeiten, was die Aussprache betrifft. Man wird aber schon immer raushören, dass ich ein Deutscher bin. Das habe ich auch thematisiert im Lied »Mi Scusi«, in dem es ja ausschließlich darum geht, dass man mein Italienisch entschuldigen soll. (schmunzelt)

La Repubblica hat übrigens damals »Still Smiling«, das Album, das »Mi Scusi« enthält, zum drittbesten italienischen Album des Jahres gekürt. Weißt Du, wie die Gruppe hieß, die im gleichen Jahr für das beste italienische Album ausgezeichnet wurde? »Baustelle«.

Passt. 

Aber die sind Italiener. Die heißen Baustelle und hatten das beste italienischen Album. (lacht)

Hoffentlich werden bei dieser Baustelle keine »einstürzenden Neubauten« errichtet. Sie haben kürzlich auch mit der Schweizer Gruppe KiKu zusammengearbeitet. Wie kam es dazu?

Da hatte ich überhaupt keinen Einfluss auf die Musik. Die stammt vom Trompeter Yannik Barman. Ich finde das musikalisch sehr interessant, was sie machen, aber da war ich wirklich nur eine bezahlte künstlerische Kraft, eine bezahlte Stimme. Ich habe hauptsächlich etwas mit der Auswahl und der Bearbeitung der Texte zu tun gehabt.

Kam dann von Ihnen die Idee, den Roman »Siebenkäs« von Jean Paul, dem bekannten deutschen Schriftsteller aus dem 18. Jahrhundert, als Grundlage zu nehmen?  (Anm.: Der Originaltitel ist kein kurzer:»Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Ehestand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im Reichsmarktflecken Kuhschnappel«)

Ja, die Idee kam von mir. Das wollte ich schon immer machen und das bot sich mit KiKu irgendwie an. Am Ende dieser Zusammenarbeit haben sie mich gefragt, was sie als Nächstes machen könnten, und darauf habe ich etwas ganz Unerwartetes geantwortet. (denkt kurz nach) Aber das kann ich noch nicht verraten. Jetzt arbeiten sie bereits an etwas Neuem und haben mich gebeten, dazu Texte zu schicken, was ich auch gemacht habe.

Sie sind auch mit Solo-Performances unterwegs. 

Ja. Es entstand daraus, dass ich das Format Lesung nicht mag. Dazusitzen und etwas ins Mikrophon vorlesen mochte ich einfach nie. Ich wollte etwas mit denselben technischen Mitteln kreieren, aber ohne zu lesen. Die erste solche Solo Performance von mir war auf einer Veranstaltung namens »Crossing Borders«  vor über zwanzig Jahren. Passend zum Namen des Festivals habe ich mich zwischen mehreren Kategorien angesiedelt. Ich spiele zwar keine Rolle, aber es ist auch keine Lesung. Trotzdem hat es mit meinen Texten zu tun. Ich verbinde meine Performance auch mit musikalischen Elementen, weil ich auch singe und meine Stimme benutze. Das hat damals den Grundstoff für diese Performance gebildet, die sich natürlich immer weiter entwickelt hat.

Blixa Bargeld © Thomas Rabsch
Blixa Bargeld © Thomas Rabsch

Ist es zu einem bestimmten Grad auch improvisatorisch?

Ja, ist es. Das einzige was klar ist: dass ich ein Mikrophon auf der Bühne habe. Die Bezeichnung, die wir benutzen ist Routine. Ein bisschen wie Stand-Up-Comedy. Da beginnt die Geschichte ja auch jedes Mal damit, wie der Künstler seine Großmutter besuchte. Obwohl die gleiche Geschichte, wird sie jedes Mal etwas anders erzählt. Das sind einfach verschiedene Routinen.

Sie haben seit Anfang des neuen Jahrhunderts Ihre Platten ohne eine Plattenfirma veröffentlicht und durch unterschiedliche Quellen finanziert.

Das ist richtig. Wir haben das Crowd-Funding erfunden und wir werden auch das nächste Album in irgendeiner Form der Unterstützung realisieren. 

Wie kam es trotzdem dazu, dass »Lament« über BMG veröffentlicht wurde?

»Lament« haben wir tatsächlich mit einer Plattenfirma gemacht. Wie gesagt ging es uns ja mehr um die Performance und wir wollten uns die ganzen organisatorischen Einzelheiten einer Plattenveröffentlichung nicht antun. Wir hatten aber noch ein Album offen mit unserem Vertrag mit Mute, das inzwischen an BMG verkauft wurde. Wir haben angefragt, ob sie dieses Album von uns wollen. Sie wollten das natürlich mit Handkuss und wir waren somit unsere organisatorischen Sorgen los.

Nach so langer Zeit wieder mit einer großen Plattenfirma zusammenarbeiten: Wie soll man sich das bezüglich eventueller künstlerischer Einschränkungen vorstellen, insbesondere bei den Neubauten?

Was soll man den Neubauten schon groß über künstlerische Freiheit erzählen? Da haben sie sich vorsichtiger Weise gar nicht einmischen wollen. Aber ich kann mich erinnern, wie die Presse und BMG-Vertreter ins Studio eingeladen wurden und ich denen das ganze »Lament«-Album, A- und B-Seite, vorgespielt habe. Am Anfang hörst du acht Minuten lang Kriegsmaschinen, wo ich nicht einmal singe. Beim Anhören sieht man ja nicht, dass ich währenddessen normalerweise auf der Bühne Tafeln hochhalte. Da konntest du sehen: Die sitzen da und wissen nicht, was sie damit anfangen sollen. (lacht) Na ja, was sollen sie schon damit anfangen?

Blixa Bargeld ist Sänger der legendären NDW-Band »Einstürzende Neubauten«. Ihr benanntes Konzeptalbum ist hier nachzuhören. Vor kurzem war die Band am Projekt »Das Totale Tanz Theater 360°« zum Bauhaus-Jubiläum beteiligt. Der Fotograf Thomas Rabsch zeigt in seiner Ausstellung »Blixa und Konsorten« in Berlin Werke aus dem Bargeld-Archiv.

Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...