Das steirische Label Rock Is Hell feiert 20-jähriges Bestehen. Gründer und One-Man-Show Jochen Summer blickt mit uns beim Hören von 20 seiner Releases auf eine bewegte Zeit zurück. Ein bruchstückhaftes Gespräch über die verflossenen Bassisten der Melvins, einen ungebrochenen DIY-Ethos und einen Haufen alternativer Musikgeschichte.
RIP53V: Seawhores »Vier Bestrafungen«
(2013; vier Twelve-Inch-LPs im Boxset, Auflage: 111 Stück)
Adam Marx von den Seawhores ist Noisetüftler bei Death by Audio, einer Effektgerätefirma, die Freund*innen intensiver Lärmpegel bestens bekannt ist. Bei unserem Treffen trägt Summer ein Shirt, das von Marx designt wurde: »Universal Good Vibes« steht darauf. Cover und Inlay der LP-Box – ursprünglich als Vier-Kassetten-Holzbox erschienen – wurden von zwei Kindern aus Summers Familienumfeld gekritzelt. Titel und Texte (zum Beispiel »Riecht nach Altersdiabetes« sind im dadaistischen 2013er-Englisch-Deutsch-Translator-Stil verfasst.anstelle seines Namens abgedruckt wurde.
RIP58: The Striggles & Friends »Shiizo Box«
(2014; fünf Seven-Inches, Auflage: 285 Stück)
Fünf Split-Singles mit je zwei Nummern der Striggles auf der einen Seite. Auf der anderen zwei Nummern von: Peter Ablinger, Kreisky, Bulbul, Bernhard Lang und Opcion. So weit, so normal. Der Twist dieser Produktion ist, dass die Tracks nicht nacheinander, sondern parallel in die Platte geschnitten sind. Einmal läuft eine davon auf 33 und die andere auf 45 Umdrehungen pro Minute, manchmal sind die beiden Tracks – bis auf die Lyrics in unterschiedlichen Sprachen – ident. Der Vorführeffekt wird hierbei allzu deutlich: »Wenn du willst, triffst du sicher nicht die richtige Rille.«
RIP61: Spring and the Land »Can You Forgive Her?«
(2014; Seven-Inch, Auflage: 320 Stück)
Der Release des Grazer Duos Jacques Bush und Marino Acapulco ist ausgepackt und aufgelegt augenscheinlich die herkömmlichste der vorliegenden 20 Produktionen. Die Folk-Punk-Pop-Band veröffentlichte eigentlich auf dem Wiener Label Early Morning Melody. Während die Coverversion des Pet-Shop-Boys-Songs erklingt, fällt der aufwendige Part auf: Die Tasche ist geprägt und eine haptische Besonderheit. Übrigens: Die Single »PJ Harvey« – nicht auf dieser Seven-Inch – landete irgendwann auch tatsächlich auf einer Playlist von PJ Harvey. How to Song Title 101.
RIP69: Bulbul »Hilfreich seit 1996«
(2016; elf Seven-Inches plus Kassette im Boxset, Auflage: 20 Stück)
2016 gaben Bulbul zehn Konzerte im Rahmen einer Tour. Dazu gab es für jede Show eine eigene Seven-Inch, die man nur dort bekam. Zusätzlich gab es einen Stempelpass, mit dem bei der zehnten Show bewiesen werden konnte, dass man alle Releases gekauft hatte. Die elfte (Bonus-)Platte ging dann aufs Haus. Auf dieser befinden sich allerdings nur Loops, weil die Band geplant hatte, gemeinsam mit dem Publikum ein Lied zu komponieren – was am Ende eben nur für Loops reichte. Verpackt in eine Box vom Buchbinder. Das Label ist wie eine Pralinenschachtel.
RIP 73: Hepa / Titus »Untitled«
(2016; zwei Seven-Inches, Auflage: 217 Stück)
Schon wieder ein ehemaliger Bassist der Melvins! Schon wieder ein »eigenwilliger Typ, mit dem man klarkommen muss«. Kevin Rutmanis nämlich, der ebenfalls aus freien Stücken auf Summer zukam. Und die beiden kamen offenbar relativ gut miteinander aus, von Hepa / Titus sind immerhin insgesamt sieben verschiedene Releases bei Rock Is Hell erschienen. Der vorliegende erste Streich namens »Untitled« kommt in einer Miniversion einer klassischen Gatefold-LP daher.
RIP80: Melt Downer »Alter the Stunt«
(2018; Seven-Inch plus Kassette im Boxset, Auflage: 140 Stück)
Auch Wolf Lehmann aka Wolfgang Möstl – von Summer »Wolfi« genannt – ist jemand, der öfter und in unterschiedlichen Konstellationen bei Rock Is Hell vertreten ist. Für diesen Release wurde mit dem Grazer Label Numavi kooperiert, das den digitalen Release übernahm. Naheliegend, spielt Numavis Mario Zangl doch selbst bei Melt Downer mit. Die 140 Holzboxen sind bis auf das Holz völlig DIY. Beim Kollegen gefräst, Inlay nach der Lohnarbeit in der Druckerei gestanzt, Siebdruck eh klar.
RIP88: Bulbul »Break!«
(2019; Twelve-Inch plus Seven-Inch, Auflage: 303 Stück)
Moment … Das Internet spuckt zu diesem Release vier Tracks aus, die One-Sided-LP umfasst aber nur drei Nummern. Track Nummer vier, »Going«, befindet sich auf einer hidden Seven-Inch, die in das Frontcover der Gatefold-Verpackung eingelassen ist und – durch Perforierung und Titel angedeutet – herausgebrochen werden muss. Ein charmanter Mittelfinger an all jene, die ihre Plattensammlung in »mint condition« halten wollen, was nun mal dem Ethos von Rock Is Hell widerspricht.
RIP93: Osees »Metamorphosed«
(2020; Twelve-Inch-LP, bisher 7.000 verkaufte Exemplare)
Hier ist er, der goldene Esel, der Summers Label wohl bis zum Artikel über das 25-jährige Bestehen quersubventionieren wird. 7.000 Verkaufte seien »natürlich ungewöhnlich für ein DIY-Label«, aber muss halt auch sein, wenn sämtliche anderen Ideen produktionskostentechnischen Ruin mit in die Rillen gepresst bekommen. In 18 verschiedenen Versionen kam »Metamorphosed« bisher raus, wobei sich musikalisch nichts veränderte. Für die begehrtesten Editionen legt man schnell die Monatsmiete eines WG-Zimmers hin.
RIP100: Verschiedene Interpret*innen »From Nowhere«
(2021; neun Seven-Inches, Auflage: 100 Stück)
Der 100. Label-Release muss natürlich in eine etwas aufwendigere Holzbox gebettet sein. Wer Musik zum Angreifen haben will, kann sich hier an vier Flügelmuttern erfreuen, die den Deckel auf der Box halten. Die neun einseitigen, transparenten Seven-Inches kommen mit einer gedruckten Label-Diskografie und einem Zine. Und die neun vertretenen Bands kommen – konsequent im Understatement bleibend – »From Nowhere« aka aus der Steiermark. Hella Comet, Muscle Tomcat Machine, Fugu, Macaque Revue, und wie sie alle heißen.
RIP113: Wolf Lehman »Human Art«
(2024; vier Seven-Inches, Auflage: 101 Stück)
Zum Abschluss: eines der vielen Highlights zum 20-Jahr-Jubiläum. Das neue Album von Wolfgang Lehmann, einer Person mit vielen Namen, noch mehr Aliassen und einer ewigen Liste an Kollaborationen, erscheint bei Rock Is Hell in Form von vier Seven-Inch-Vinyls. Darauf finden sich einzelne Tracks wie »Come« von Wolf Lehmann und »Home« von Mile Me Deaf. Werden bestimmte Tracks gleichzeitig abgespielt, ergibt sich ein neuer. In obigem Beispiel eben »Come Home« von Wolf Lehmann und Mile Me Deaf. Siehe auch unsere Rezension in The Gap 206 beziehungsweise hier.
Jochen Summers gesamten Katalog kann man sich unter www.rockishell.com zu Gemüte führen. Das diesjährige Jubiläum wird noch mit weiteren Releases und am 21. Dezember 2024 mit dem zweiten Teil des »20 Jahre Rock Is Hell«-Fests im PPC in Graz gefeiert. Das Line-up lautet: Lea Sonnek, The Zew, Muscle Tomcat Machine, Reflector und MT.