Club am Tropf

Clubs im Wohngebiet haben oft ein schweres Leben. Was aber, wenn so ein Club schon einige Jahrzehnte exzellente Arbeit macht und durch idiotische Umstände plötzlich vor dem Aus steht. Niemand hat Schuld, trotzdem ist alles schlimm. Eine alltäglichen Clubtragödie.

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Manchmal denkt man sich nichts, hört es würde einem Club schlecht gehen, fragt ins Blaue nach und hat plözlich das längste Mail seit 17 Monaten in der Inbox. Die Lage ist verzwickt, manche sagen dramatisch. Weil man so etwas aber kaum sinnvoll neu schreiben kann und die Sache so komplex ist, haben wir uns entschlossen den Mail-Text in seiner ganzen Pracht und Absurdität zu veröffentlichen. Es werden zwar immer wieder Clubs aus Fehlplanung, Überangebot, stupiden Gesetzen oder wegen zähesten Gerichtsverfahren geschlossen, aber dieser Fall aus einem österreichischen Bundesland ist dann noch ein paar Ecken verfahrener. Es ist eine nur allzu alltäglichen Clubtragödie.

(Anm: Zwischentitel wurden von der Redaktion zur Text-Strukturierung ergänzt)

Hey Stefan,

Danke für dein Interesse.

Wie konkret die Bedrohung tatsächlich ist kann man eigentlich gar nicht so genau sagen weil die Situation etwas kompliziert ist. Inwieweit man da mit Unterstützung der Medien etwas verbessern kann, oder ob ein Breittreten der Angelegenheit in der Öffentlichkeit nicht sogar kontraproduktiv ist, ist auch nur schwer abzuschätzen. Ich schreib dir einfach mal im Groben zusammen was die augenblickliche Situation ist und wie sich das entwickelt hat. Was davon geeignet ist um durch Veröffentlichung unserer Sache zu helfen muss ich mir noch ein wenig durch den Kopf gehen lassen.

Est. 1968 – was war

Die Location XXXXXXXXXX XXXXX wird seit 1968 (!) durchgehend und regelmäßig als Veranstaltungsort genutzt. Ursprünglich fast ausschliesslich für Jazzkonzerte aber im Laufe der Jahre haben sich die Betätigungsfelder – auch wegen ständiger personeller Umstrukturierungen und Verjüngung – kontinuierlich verändert. Jazz blieb bis in die frühen 90er der Schwerpunkt und war wohl auch wegen seines – inzwischen ja etwas verblassten – avantgardistisch-revolutionären Nimbus, ein logischer Ausgangspunkt für lokale Aktivisten aller Art um sich auch mit Theater, Lesungen, Performancekunst, Kabarett und anderen künstlerischen Ausdrucksformen zu beschäftigen.

Obwohl das ganze Unternehmen von vielen in den Anfangstagen eher misstrauisch beäugt wurde, gab es doch auch gewisse freundschaftliche und familiäre Verbindungen zwischen Vereinsmitgliedern und lokalen Honoratioren und damit auch zu Politik und Verwaltung. So gut wie jede kulturelle Initiative der Region zwischen `65 und `95 ist aus dem Umfeld des Betreibervereins, oder einer seiner zahlreichen Abspaltungen, hervorgegangen. Ungefähr im Jahr 2000 gab es – wie schon öfter zuvor – einen Generationenwechsel im Verein und die Location wurde von einer neuen und relativ jungen Mannschaft übernommen, die sie seither als eine Art semiprofessionellen alternativen Club geführt hat, in dem alles unterkommen sollte, was sonst in der Gegend keinen Platz hat.

Gemeinsam mit Fremdveranstaltern wurde und wird versucht das ganze Indie-/ Alternative-/ Metal-/ Punk-/ Hip Hop-/ Techno-/ D&B-/ Reggae- usw. -Spektrum bis in die kleinste Nische und bis zur aktuellsten Weiterentwicklung abzudecken. Und das ist in einer bürgerlich geprägten Provinzstadt deren einschlägig interessierte Jugend sich mit 18 studiumsbedingt ins nicht allzu ferne Wien und sein Clubs verzieht, zeitweise keine leichte Aufgabe. Der XXXXXXXXXX übernimmt in XXXXX eine nicht unwichtige Rolle als sub- und gegenkultureller Impulsgeber und ist momentan (nachdem einige andere gekommen und wieder verschwunden sind, wieder einmal) die einzige derartige Institution in der Region die auf regelmäßiger Basis arbeitet. All das ist jetzt aber auf mehreren Ebenen latent bedroht.

Restrukturierung trifft Einzeltäter

Der XXXXXXXX befindet sich in einer Ecke der Innenstadt die sehr lang relativ "dünn" besiedelt war (in unmittelbarer Nachbarschaft eine Kirche, eine Bibliothek, ein Museum…), wodurch es eigentlich kaum je Anrainerprobleme gab. Sein typisches Publikum fällt programmbedingt logischerweise auch nicht durch Hang zu Vandalismus oder Gewalt auf. Dafür gibt es einige ganz andere Brennpunkte in der Stadt. Vor etwa 3-4 (!) Jahren wurde aber ein unmittelbar neben dem Keller liegendes Gebäude reaktiviert. Von all den nun dort wohnenden Nachbarn gibt es eine einzelne (!) Partei die sich von unserer Anwesenheit gestört fühlt. Diese Person ist unglücklicherweise schon stadtbekannt für eine spezifische Empfindlichkeit gegenüber "Lärm" und hat bereits eine längere Vorgeschichte von Beschwerden und Nachbarschaftsstreitigkeiten. Es gab schon die letzten 3 Jahre vereinzelt Beanstandungen aber so richtig losgegangen ist der Ärger erst als diese Nachbarin ein anderes Projekt, nämlich das Rausklagen eines ihrer Wohnungsnachbarn aus dem gemeinsam bewohnten Mietgebäude, beendet hatte.


Danach hat sie sich uns gewidmet. Seitdem haben wir regelmäßig die Polizei im Haus und etliche Verwaltungsstrafanzeigen wegen Ruhestörung hängen in der Schwebe. Darüber hinaus droht unsere Nachbarin seit Monaten wiederholt mit zivilrechtlichen Klagen. Beides ist extrem unangenehm. Die Tatsache etwa, dass die Polizei immer wieder vorbeischauen "muss" um auf Anzeigen zu reagieren, die dann nicht zu einer Strafe führen, weil der immer wieder angeführte Tatbestand der Ruhestörung in unserem Fall nicht passt, hat dazu geführt das manche der solcherart missbrauchten Polizisten die vor Ort ja auch keine konkrete Handhabe gegen uns haben, ihren Frust darüber ihre Zeit immer wieder verschwenden zu müssen obwohl sie woanders gebraucht würden, durch eine gewisse "Unfreundlichkeit" uns gegenüber ausleben. In einer Kleinstadt wie XXXXX, in der jeder jeden kennt will man sich nicht unbedingt ständig mit der Exekutive anlegen und fügt sich dem Druck dann halt aus pragmatischen Beweggründen.

Bässe im Untergrund

Und ein Gutachten mit dem nachgeprüft werden könnte ob ein – im Zuge einer gegen uns geführten Unterlassungsklage – rechtlich relevanter Pegel bei der Nachbarin überschritten wird, würde laut Kostenvoranschlag möglicherweise bis zu € 4500.- kosten und für welche Seite es positiv ausgeht und wer auf seinen Kosten sitzen bleibt, ist nicht vorhersehbar. Daher zögern im Augenblick beide Seiten sich Gewissheit zu verschaffen. Dazu muss man wissen das der XXXXXXXXXX etwa vier Meter unter der Erde liegt, gut 20 Meter vom angeblich betroffenen Haus entfernt ist, und das es sich um keine klassische Lärmproblematik handelt, sondern um die schwache Übertragung von Vibrationen/Subbass, die damit zusammenhängt das das gesamte Areal weitflächig (teilweise auf Plänen gar nicht mehr aufscheinend!) unterkellert ist. Schwer messbar, schwer zu klassifizieren und aufgrund der speziellen Gegebenheiten auch baulich wohl nicht in einem finanziell vernünftigen Rahmen vollends in den Griff zu kriegen.

Das eigentliche Hauptproblem das sich in Folge ergeben hat, ist aber das unsere Nachbarin auch alle Ämter und Behörden so lange genervt hat bis diese uns im Zuge diverser Brand-, Sicherheits-, baurechtlicher und anderer Überprüfungen überraschenderweise mitgeteilt haben, dass wir so wie wir arbeiten eigentlich gar nicht arbeiten können, weil die Räumlichkeiten nicht dafür geeignet sind. Die bewegte Geschichte des Kellers (zahllose Wechsel an der Spitze, verschollene Aufzeichnungen, einige bedauerlicherweise bereits verstorbene ehemalige Vorstandsmitglieder) macht es schwierig zu rekonstruieren, auf welcher Grundlage früher gearbeitet wurde. Es existiert zwar eine 1969 auf die Location ausgestellte "Buffetkonzession" wie sich aber nach fast 4 Jahrzehnten jetzt herausgestellt hat ist diese ohne entsprechende Betriebsstättengenehmigung eigentlich ohne Nutzen. Fakt ist aber das dies für die Behörden bis vor Kurzem kein Problem darstellte. Zwar ist der ausschließlich von unbezahlten Freiwilligen in ihrer Freizeit am Leben erhaltene Verein schon vorher nicht durch übertriebene Professionalität aufgefallen, aber der uns nun nahegelegte komplette Verzicht auf Werbung, öffentliches Agieren, Bareinnahmen und Eintritte wird es uns auf Dauer wohl schwer machen zu überleben, auch wenn der Status als bloßes Vereinslokal uns auch davor "schützt" unerfüllbare Auflagen erfüllen zu müssen.

Kulturmotor der Region

Man beachte: Nach fast 45 Jahren, tausenden Öffnungstagen und (angemeldeten!) Veranstaltungen, Kooperationen mit der Stadt (bzw. dem Kulturamt der Stadt), nicht unerheblichen von der Stadt und vom Land erhaltenen Förderungen, wiederholter Einbindung in mehrere regionale Festivals, einer offiziellen Ehrung durch die Stadt für einen ehemaligen Obmann für seine im XXXXXXXXXX geleistete Arbeit, vielen auch im konventionellen "Hochkulturbetrieb" anerkannten bei uns gastierenden Künstlern, und anderen gut dokumentierten Indizien (sogar Konzertmitschnitte für Ö1!) das der Club der Öffentlichkeit ein Begriff ist, wurde uns eröffnet, dass wir von nun an als weitgehend "unsichtbares", reines Vereinslokal agieren sollen. Die Zuständigen dazu zu bewegen zur 45 Jahre lang geübten "großzügigen" Verwaltungspraxis zurückzukehren, scheint nach dem, was mir im persönlichen Kontakt vermittelt wurde (der generell sehr freundlich und respektvoll abläuft, der Wert/Unwert moderner Jugend/ Undergroundkultur wurde aber zumindest in einem Einzelfall in einem Nebensatz eher spöttisch abgehandelt), ohne politische Unterstützung oder öffentlichen Druck nicht mehr möglich zu sein, da ihnen die Nachbarin im Nacken sitzt und auch mittels Lokalpresse gegen uns hetzt.


Die Location in einen Zustand zu versetzen, der sie wirklich unangreifbar macht, ist aufgrund der baulichen Gegebenheiten (Notausgangssituation, Denkmalschutz) – die im übrigen auch eine anderweitige Nutzung bis zur mutmaßlichen Unrentabilität hin, erschwert – eine sehr schwer zu stemmende Aufgabe. Die Stadt wäre grundsätzlich aus einer gewissen Tradition heraus, weil der XXXXXXXX das letzte jugendkulturelle Feigenblatt der Region ist, und weil sie – gemessen an dem was bei uns geleistet wird – mit uns bisher nie viel Arbeit hatte, auf unserer Seite und nimmt uns auch bei weitem nicht so hart ran wie sie vielleicht könnte, ist aber in ihrer Bewegungsfreiheit auch eingeschränkt. Wir kommen, da die Gäste sehr loyal sind, noch einigermaßen mit Spenden und Mitgliedsbeiträgen über die Runden, wie lange sich diese Lebensfähigkeit aber noch ausgehen kann, ist ungewiss.

To Gastkommentar or not to Gastkommentar

Ich müsste mir taktisch wirklich gut überlegen was ich in einen Gastkommentar reinschreiben kann. Auch wenn das jetzt nach kaltem Kalkül klingt. Öffentlichkeit erzeugt natürlich einen gewissen Druck, da wir aber vom goodwill der Politik und Beamtenschaft ziemlich abhängen, kann ich diese nur schwer dafür kritisieren, dass sie den ungeklärten Status der Location so lange wohlwollend interpretiert haben, jetzt aber zu "Dienst nach Vorschrift" genötigt sind. Verkompliziert wird die Situation noch dadurch das der XXXXXXXXXX und das angeblich betroffene Nachbarhaus denselben Eigentümer haben, nämlich ausgerechnet die Stadt XXXXX selbst (!) in Form einer für diese privatwirtschaflich tätigen AG. In unserem Fall besteht gar nur ein – jederzeit ohne Angabe von Gründen kündbarer – Bittleihevertrag. Die zuständigen Beamten sind also auch gleichzeitig unsere "Vermieter", und als Vermieter des Nachbarhauses sind sie ebenfalls von möglichen Zivilklagen der Nachbarin betroffen. Darüber hinaus schadet jede zusätzliche Öffentlichkeit dem Immobilienwert des betroffenen Hauses, was die Stimmung auch gegen uns kippen lassen könnte.

Es wird also nicht direkt gegen uns vorgegangen, aber die Bedingungen unter denen wir gerade arbeiten müssen, werden wohl dazu führen, dass wir finanziell langsam ausbluten.

Wie du aus all dem herauslesen kannst, ist die ganze Angelegenheit nicht wirklich eine wildromantische "Untergrund gegen repressive Obrigkeit"-Geschichte sondern etwas verzwickter. Darauf hinzuweisen, dass es sich um verschleppte Probleme aus einer Vergangenheit handelt, in der mit den besten Absichten aller Beteiligten zwischen Offiziellen und Kulturarbeitern wohl noch vieles informell und mit Handschlagqualität geregelt werden konnte, weil es eben anders einfach nicht ging(!), könnte lokal auch zu gewissen Unstimmigkeiten führen, auch wenn den meisten ohnehin klar sein wird, dass sich "Dienst nach Vorschrift" fast immer mit der Realität ein wenig spießt und vieles von dem was in der Vergangenheit erreicht wurde ohne entsprechendes networking so nicht getan hätte werden können. Vor allem in XXXXX wo es an geeigneten Locations traditionell mangelt.

Nicht einmal die Nachbarin ist als eindeutiger Bösewicht klassifizierbar, denn auch sie empfindet ihr "Anrecht" auf "Totenstille" (zwar mitten im Stadtgebiet und nur einmal pro Woche minimalst betroffen, aber eben doch) als gerechtes Anliegen, wie mir in unangenehmen persönlichen Konfrontationen, die bis an den Rand von gefährlicher Drohung und einer Handgreiflichkeit gegen mich gingen, vor Augen geführt wurde. Es geht um wiederstreitende Interessen und einen saftigen Diss gegen eine einzelne Privatperson zu verfassen, wird nicht wirklich zielführend sein. Das ein Einzelner in unserem System nicht gänzlich machtlos ist und sehr viel erreichen kann wenn er sich nur lang genug beschwert, ist natürlich prinzipiell ein gutes Zeichen, das das aber in unserem Fall eine für viele Menschen so wichtige und schon so lang andauernde Sache zerstören könnte, ist schon fast tragisch.

Druck erhöhen

Dass der augenblickliche Vorstand im Gegensatz zu früher auch bisher kaum in die lokale Parteipolitik verstrickt ist und dies nach Möglichkeit auch künftig vermeiden will, könnte auch noch ein Problem werden. Die Realität zwingt uns momentan fast dazu, in dieser Hinsicht strategische Überlegungen zu möglichen Bündnissen anzustellen und den XXXXXXXXXX vielleicht sogar bewusst im demnächst anstehenden Gemeinderatswahlkampf zum Thema zu machen. Mit fast 600 Mitgliedern ist der Verein da schon ein relevanter Faktor.

Unser augenblicklicher Status als "halbprivates" verlängertes, ausschließlich Mitgliedern offenstehendes Wohnzimmer mit improvisiertem Billigsdorfer-Programm verschafft uns zwar eine gewisse "Narrenfreiheit", auf lange Sicht möchten wir aber so nicht weitermachen müssen, denn auf Dauer macht das auch keinen Spaß und unsere Förderwürdigkeit ist dadurch auch gefährdet. Das Arbeits- und Belastungspensum für die Mitarbeiter des XXXXX ist jedenfalls durch die Krise der vergangenen Monate dermaßen angestiegen, dass einige schon daran denken die Stadt aufzugeben, die Ausrüstung aus dem Keller rauszuholen und woanders weiterzumachen, aber keiner will nach 45 Jahren die Verantwortung für das Ende der Location übernehmen und Nachfolger sind leider gerade in der jetzigen Situation auch nirgends auszumachen.

Wenn dir die Geschichte interessant genug für eine Veröffentlichung vorkommt dann lass es mich bitte wissen.

LG,

XXXXXX

Bild(er) © Rhiz (Symbolbild. Es handelt sich im geschilderten Fall ausdrücklich nicht um das Rhiz)
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