Craving ist die Maxime

Angela Richter hat eine Theaterstück über Drogen und das Feiern gemacht und kommt damit nach Wien. Nachdem Dauerdrauf-Sein auch ganz schön langweilig sein kann, haben wir sie zum Interview gebeten und gefragt wann sie endlich erwachsen wird.

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In »Berghain Boogie Woogie« geht es um Musik, Sex und Drogen. Gab es so etwas wie ein Erweckungserlebnis für die Idee die exzessiven Partynächte aus dem Berghain auf die Bühne zu bringen?

Erweckungserlebnisse aller Art gab es viele in meinem Leben als Nachteule. Aber ein Stück darüber machen? Ich war in der akuten Zeit des Draufseins in Clubs zu sehr beschäftigt mit dem konkreten Erleben davon. Ich mag es, Sachen zu inszenieren die mir Angst machen. Und ein Stück über den Exzess zu machen, macht mir viel Angst. Also weniger Erweckungserlebnis, mehr der Motor. Den Bergriff Berghain im Titel habe ich als Hallraum gewählt, weil das Berghain wie kein anderer Club exemplarisch dafür steht. Später, als das Berghain auch in den Mainstreammedien bis zum Exzess durchgenudelt worden war, habe ich mich entschieden, das Thema vollkommen auf den Drogenkonsum zu reduzieren. Somit ist das Berghain als Ursache des Ganzen nur noch in homoöpathischer Dosis im Stück vorhanden. Das Berghain als Phänomen auf der Bühne nachzustellen oder nachzuerzählen war nie meine Absicht, ich halte ein solches Konzept für unnötig und saublöd.

Während der Aufführung zitierst Du Passagen aus Rainald Goetzs Roman »Rave«. Warum genau dieses Stück Techno-Literatur? Ein Nachhall auf die Aufbruchsstimmung und die emanzipatorischen Versprechungen des Feierns? Und nach welchen Kriterien hast Du die Passagen ausgewählt?

Drogen zu nehmen ist erstmal ziemlich leicht. Darüber verbindlich und unpeinlich zu sprechen, ziemlich schwer. Darüber zu schreiben schier unmöglich. Auch wenn sich viele dazu berufen fühlen: seit Rainald Goetz nicht mehr darüber schreibt, ist die Stelle vakant. Die eher historischen Passagen über Techno habe ich ausgelassen, das war nicht das Thema. Die Stellen über das Drogennehmen finde ich zeitlos. Genau das war auch das Kriterium für die Auswahl. Außerdem: wir mussten bei den Proben so viele Drogen nehmen, da ist man für jeden klaren Satz von Goetz dankbar.

Werden noch andere literarische Quellen außer Goetz zitiert und collagiert, der Fundus wäre ja fast grenzenlos?

Ich bin eine Gegnerin von Text-Collagen im Theater. Nicht, dass ich mich selbst dessen nicht schon schuldig gemacht hätte, aber genau deswegen, meine Erfahrung: je mehr Texte auf der Bühne, desto größer die Beliebigkeit. Oft auch der angeberische Beweis, was man so alles gelesen hat: Derrida und Blablabla. Das interessiert mich nicht. Ich will den Leuten gar nicht zeigen, wie klug ich bin, ich will ihnen zeigen, wie dumm ich sein kann. Wir haben in der Vorbereitung sehr viel aus dem „unerschöpflichen Fundus“ gelesen von Ernst Jüngers Experimenten, Jörg Fauser, von Drogenhandbüchern bis zu Kifferliteratur etc. etc. und hinterher haben wir versucht, das alles wieder zu vergessen. Die Zutaten für die konkrete Aufführung habe ich reduziert auf Goetz, Zeugenaussagen, Video und die Musik von Kristof Schreuf. Diese spezielle Musik ist die Trägersubstanz.

Wie vermeidet man bei einem derartigen Thema nicht zu zahm zu sein, aber auch nicht auf den „Inszenierter Skandal“-Zug gebucht zu werden?

Das Problem ignorieren.

Wenn man Exzess und Drogen inszeniert, schwingt häufig die Erwartung von Katharsis mit, die sich durch die Distanz im mimetisch-darstellerischen Prozess entspinnt. Soll es das, tut es das?

Genau: tut es das? Wo denn? Wie denn? Wann denn?

Bis Wien ist das Gerücht gedrungen, dass Teile des Teams des Berghain während der Vorstellung von „Berghain Boogie Woogie“ den Saal verlassen haben. Weißt du davon oder sogar warum?

Amüsant. Ich weiß es nicht. Leute gehen öfter mal aus meinen Stücken raus. Bei der Premiere ist am Ende jemand ohnmächtig umgekippt, der keine Spritzen sehen kann. Während er auf einer Krankenbahre herausgetragen wurde, haben ein halbes Dutzend ältere Leute den Tumult genutzt, um zu flüchten. Vielleicht waren die das?

Was ist an dem Thema für dich noch erzählenswert? Was war in dem Dickicht an bisherigen Filmen, Büchern, Comics und Musik dein Zugang um eine möglicherweise originelle bis originäre Performance zu schreiben?

Mir geht es mit dem Dickicht an Werken zu dem Thema genauso wie mit den Drogen selbst: es ist nie genug! Craving als Zugang.

War es wichtig für „Berghain Boogie Woogie“ mit einem ganz bestimmten Set an Schauspielern zu arbeiten oder kann das Stück prinzipiell von recht unterschiedlichen Ensembles interpretiert werden?

Es ist ja kein klassisches well-made-play. Fast alle, die daran beteiligt waren, sind mit auf der Bühne, das hat sich an einem bestimmten Punkt der Arbeit als unvermeidlich erwiesen. Sogar mein Dramaturg und ich selbst. Streng genommen, ist nur Melanie Kretschmann eine „echte“ Schauspielerin. Sie spielt alle „Rollen“, aber sie geht auch weit über das Handwerkliche hinaus, das macht sie zu einer guten Künstlerin. Ich bin des Schauspielens nicht mächtig, bin eher der Platzhalter für mich selbst. Vielleicht ist das Ganze eher eine Performance. Aber wenn andere sich berufen fühlen sollten, mit ihren Körpern dafür zu haften und es neu zu interpretieren, warum nicht?

Bezug nehmend auf deinen Abschied aus Hamburg (gemeinsam mit deinem Mann Daniel Richter), möchtest du der Wiener Kulturpolitik oder auch der Salzburger Kulturlandschaft auch einen Gefallen tun und eine Debatte anstoßen?

Ich möchte lieber nicht.

Berghain Boogie Woogie

9.11., 10.11., 11.11. 2011, 20 Uhr

Wien, Brut

http://www.brut-wien.at

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