Danke für nichts, 2020! – Ein Dossier aus alternativen Jahresrückblicken

Nach langen Monaten des nicht aufhörenden Stroms an immer schrecklicher werdenden Nachrichten, fragen auch wir uns: Was bleibt nach unzähligen Artikeln, Breaking News, Livestreams, Pressekonferenzen und sogar dem einen oder anderen Buch noch zu sagen? Dann haben wir unsere Redaktion und andere Kulturschaffende gebeten, uns an ihrem Blick auf das Jahr 2020 teilhaben zu lassen – und zwar an einem, der sich ausmalt, wie die letzten Monate aussehen hätten können. »Was hat für dich ganz persönlich 2020 durch die Erschwernisse des Jahres nicht stattgefunden?« – das war der Impuls, den wir allen AutorInnnen mitgegeben haben. Von der großen Revolution im Klassenkampf bis hin zum ersten eigenen DJ-Set war vieles dabei. Eine Einladung zu einer alternativen Realität des Jahres 2020.

© Erli Grünzweil

Tausche Burnout gegen Totalstillstand

Sandro Nicolussi

Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber sie stirbt — Wer weiß eigentlich noch, dass 2020 ein Schaltjahr war? Vermutlich niemand, es gab immerhin genug Anlass, sich mit einer speziellen Sache zu beschäftigen. Ich erinnere mich noch, wie ich Anfang Februar eine ziemlich heftige Grippe hatte. 39 Grad Fieber, null Schlaf, die Schmerztabletten gingen weg wie M&M’s. Zu diesem Zeitpunkt war schon die Rede von dieser merkwürdigen und hochansteckenden Krankheit, die von China aus gerade in die Welt schwappt. Es kostete mich einige Anläufe, bis ich mich traute, die Symptome von Covid-19 zu googlen, weil ich der Überzeugung war, als Österreichs Patient null in meinem Bett zu liegen. Die Grippe habe ich mittlerweile überstanden, ob es vielleicht doch das hohe C war, werde ich nie erfahren. Zu dieser Zeit gab es immerhin noch keine Test-Force, die mich hätte besuchen können.

Das Unjahr 2020 hatte rund 75 Tage, bevor alles super weird wurde. Wie verheerend es in allen möglichen Bereichen der Gesellschaft war, bedarf keiner genaueren Ausführung. Und trotz der nervenzerreißenden und Facepalm-reichen Pressekonferenzen, in denen der Regierungsvierspanner immer weniger nachvollziehbare Maßnahmen referierte, gab es kleine persönliche Hoffnungsschimmer. Um es mit den Worten von Jennifer Rostock aus 2011 zu sagen: »Es war nicht alles schlecht.«

FOMO und Privilegien

Die Zeit des ersten Lockdowns nutzte ich, um meine Bachelorarbeit – samt dem sich schleichend ankündigenden Burnout – um vier Monate aufzuschieben und mich stattdessen in eine finanziell geförderte Psychotherapie zu begeben. Während die Last einer verlorenen Welt täglich schwerer wog, wurde immerhin mein Umgang damit besser und ich emotional stabiler. Außerdem wurde ich meine FOMO los, weil, na ja, was hätte ich auch verpassen sollen?!

Dazu zeigte 2020 Privilegien, wie die eben beschriebenen, deutlich auf. Es war ein Verstärkerjahr. Schnell wurden gesellschaftliche, wirtschaftliche, politische – kurz: strukturelle – Unzulänglichkeiten offensichtlich. Dass ihnen von offizieller Seite kaum entgegengehalten wurde, steht auf einem anderen Blatt. Allerdings war 2020 auch das Jahr des Aufstehens. Das Jahr der Black-Lives-Matter-Bewegung, die in Wien 50.000 Leute auf die Straße brachte. Damn, what a hell of a ride! 2020, ich glaube, niemand wird dich wirklich vermissen, aber bitte, lasst uns diesen Schwung nicht verlieren. Und vor allem nicht zu einer vermeintlichen 2019er-»Normalität« zurückkehren.

Unser Redakteur Sandro Nicolussi ist DJ und Veranstalter im situationsbedingten Zwangsruhestand sowie Medienschaffender unter hohem Status-quo-Frust. Auf Instagram macht er seinem Ärger als @vorarlwiener Luft.

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