Nach langen Monaten des nicht aufhörenden Stroms an immer schrecklicher werdenden Nachrichten, fragen auch wir uns: Was bleibt nach unzähligen Artikeln, Breaking News, Livestreams, Pressekonferenzen und sogar dem einen oder anderen Buch noch zu sagen? Dann haben wir unsere Redaktion und andere Kulturschaffende gebeten, uns an ihrem Blick auf das Jahr 2020 teilhaben zu lassen – und zwar an einem, der sich ausmalt, wie die letzten Monate aussehen hätten können. »Was hat für dich ganz persönlich 2020 durch die Erschwernisse des Jahres nicht stattgefunden?« – das war der Impuls, den wir allen AutorInnnen mitgegeben haben. Von der großen Revolution im Klassenkampf bis hin zum ersten eigenen DJ-Set war vieles dabei. Eine Einladung zu einer alternativen Realität des Jahres 2020.
Schlechte Zeit für Liebeskummer
Oliver Maus
Beschäftigungstherapie statt Dating — »Fuck Off 2019«, tippe ich. Meine letzte Insta-Story des Vorjahres. Dann filme ich Feuerwerksraketen, die der Partner einer Freundin zündet und lege den Schriftzug »Hi 2020« darüber. Wenig originell natürlich und mein Optimismus für das angebrochene Jahr verebbt auch schon wenig später, als mir der Typ, dem ich verzweifelt die zweite Jahreshälfte 2019 hinterhergelaufen bin, nach drei Monaten zum ersten Mal wieder schreibt: »Frohes Neues« (ArianaGrandeHappyNewYear.gif). 2020 steht unter keinem guten Stern!
Ich bin total der Typ für Neujahrsvorsätze. Das ich mich nicht erinnern könnte, jemals welche umgesetzt zu haben, ändert daran nichts. Ich wollte dieses Jahr meine Masterarbeit fertigschreiben, fotografieren, monatlich irgendetwas Artsy-Cooles auf Instagram posten und in irgendwelchen Kellern DJ-Sets spielen. Als der Lockdown ausgerufen wird, komme ich gerade aus Indonesien zurück, wo ich an einem Performanceprojekt mitgearbeitet habe und falle nun in ein tiefes Loch. Ins Bodenlose. Vor allem deswegen, weil dieser Lockdown eine Kurzzeitromanze ruiniert, in die ich mich ab Februar komplett verrannt habe. Eine ganz schlechte Zeit für Liebeskummer, habe ich jetzt nämlich viel Zeit, daheim zu sitzen und die Sinnlosigkeit meiner Existenz, unser aller Existenz zu beklagen.
Fuck Off 2020!
Im Homeoffice arbeite ich an Förderanträgen mit, die Projekte skizzieren, von denen niemand weiß, ob sie stattfinden werden können. Alles, was ich mache, wird sich für den Rest des Jahres wie Beschäftigungstherapie anfühlen. Andere Menschen werden kreativ. Die Clubs haben zu? Dann wird das DJ-Set eben live gestreamt. Die Galerie, die mich ausstellen wollte, sperrt zu? Let’s do digital art! Und es backen jetzt alle.
Statt »das Beste aus dem Jahr zu machen«, lenke ich mich einfach nur weiter ab. Alles, was mir unterm Strich von 2020 bleibt, sind in einem Wahn eingekaufte Sukkulenten, zwei überflüssige Syphilis- und ein Chlamydien- Test, ein anstaubender DJ-Controller sowie eine im Februar zuletzt verwendete Analogkamera. Alles, was mich im Jänner inspiriert hat, lässt mich ab März absolut kalt. Wieso versuchen, etwas Standhaftes aufzubauen, in einer Welt, in der es keine Stabilität und Verlässlichkeit mehr gibt? Ich freue mich schon auf meine unoriginelle »Fuck Off 2020«-Insta-Story.
Unser Bühnen- und Theaterredakteur Oliver Maus, 27, arbeitet überwiegend innerhalb der Kulturszene und ist lebensfroher, als sein Text vermuten lässt.
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