Nach langen Monaten des nicht aufhörenden Stroms an immer schrecklicher werdenden Nachrichten, fragen auch wir uns: Was bleibt nach unzähligen Artikeln, Breaking News, Livestreams, Pressekonferenzen und sogar dem einen oder anderen Buch noch zu sagen? Dann haben wir unsere Redaktion und andere Kulturschaffende gebeten, uns an ihrem Blick auf das Jahr 2020 teilhaben zu lassen – und zwar an einem, der sich ausmalt, wie die letzten Monate aussehen hätten können. »Was hat für dich ganz persönlich 2020 durch die Erschwernisse des Jahres nicht stattgefunden?« – das war der Impuls, den wir allen AutorInnnen mitgegeben haben. Von der großen Revolution im Klassenkampf bis hin zum ersten eigenen DJ-Set war vieles dabei. Eine Einladung zu einer alternativen Realität des Jahres 2020.
Ein Jahr ohne Höhepunkte
Josef Jöchl
Leere Seiten im queeren Kalender — Schon am 10. März wollte ich eigentlich aufs DIIV- Konzert, darauf hatte ich mich wochenlang gefreut. Am meisten haben mir persönlich aber die Ereignisse gefehlt, die in den letzten Jahrzehnten den Jahreslauf für mich ordneten. Das betrifft zum Beispiel die ganze queere Folklore. Relativ bald nach dem Lockdown wurde angekündigt, dass an Stelle der Regenbogenparade ein Autokorso über den Ring ziehen würde, mit Startgeld und ohne Barrierefreiheit. Was anfangs alle für einen Scherz hielten, wurde Mitte Juni bittersüße Wirklichkeit.
98 Prozent meiner Bubble besitzen kein Auto und die restlichen zwei haben zwar eins, aber hängen es nicht an die große Glocke. Es gab dann wie immer Pinkwashing und man machte das Beste draus. 200 Leute gingen trotzdem einen Drag-Walk über die Mahü, was dem Tag dann doch noch ein bisschen Zauber verlieh. Aber der gewohnte Feiertag, an dem Wien queere Hauptstadt Mitteleuropas ist, war es nicht.
Stream an Streams
Auch kleinere Fixpunkte wie der Tuntathlon fielen aus, so wie Festivals von Hyperreality abwärts oder auch so ganz banale Sachen wie Geburtstagsfeiern, auf die man jedes Jahr geht. Was hätte ich heuer Lust gehabt, irgendwas zu backen oder eine geheime Whatsapp-Gruppe zu gründen, wo dann irgendeine Überraschung geplant wird. Seit es wieder möglich ist, gehe ich ständig ins Kino, wie von einer Angst getrieben, es könnte sonst plötzlich nicht mehr da sein.
Es fehlten mir alle Dinge, die online nicht dasselbe sind. So wie meine eigene One-Man-Show, mit der ich ebenfalls im März Premiere gefeiert hätte. Das fand ich im Vergleich gar nicht so schlimm, weil ich sowieso nicht fertig geworden wäre. Kurz hatte ich mir überlegt, das Ganze einfach zu streamen. Aber zu der Zeit streamten ja alle, wenn sie nicht gerade an ihren Podcasts schraubten, deshalb hab ich’s dann gelassen. Mein Mitgefühl gilt allen Kulturschaffenden und -ermöglichenden, die mehr Verantwortung tragen, als neun Monate auf ein paar Word-Files aufpassen zu müssen. Es wird dann auf alle ankommen, wieder mit Stadtleben anzufangen und seine Unterstützung an die richtigen Orte zu tragen.
2020 gab es für unseren Sexkolumnisten Josef Jöchl nix Fixes.
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