Danke für nichts, 2020! – Ein Dossier aus alternativen Jahresrückblicken

Nach langen Monaten des nicht aufhörenden Stroms an immer schrecklicher werdenden Nachrichten, fragen auch wir uns: Was bleibt nach unzähligen Artikeln, Breaking News, Livestreams, Pressekonferenzen und sogar dem einen oder anderen Buch noch zu sagen? Dann haben wir unsere Redaktion und andere Kulturschaffende gebeten, uns an ihrem Blick auf das Jahr 2020 teilhaben zu lassen – und zwar an einem, der sich ausmalt, wie die letzten Monate aussehen hätten können. »Was hat für dich ganz persönlich 2020 durch die Erschwernisse des Jahres nicht stattgefunden?« – das war der Impuls, den wir allen AutorInnnen mitgegeben haben. Von der großen Revolution im Klassenkampf bis hin zum ersten eigenen DJ-Set war vieles dabei. Eine Einladung zu einer alternativen Realität des Jahres 2020.

© Erli Grünzweil

Das ist also dieses Netzwerken, von dem alle sprechen

Sarah Wetzlmayr

Papierstrohhalm, aber als Lebensgefühl — Vor meiner Arbeit für das Wirtschaftsmagazin Sheconomy hatte ich keinen blassen Schimmer davon, dass es rund 200 Frauennetzwerke in Österreich gibt. Genauso wenig wusste ich darüber Bescheid, wie dieses Netzwerken überhaupt funktioniert. Als ich es schließlich verstanden und gerade in mein Leben integriert hatte, war es damit auch schon wieder vorbei.

Es ist September 2019 und ich stehe im Innenhof eines Restaurants irgendwo in der außergewöhnlich hässlichen Stadt Frankfurt herum. In einem Meer aus stylishen Hüten bin ich ständig auf der Hut und in meinem zuckersüßen Getränk schwimmt ein biologisch abbaubarer Papierstrohhalm, der sich am unteren Ende bereits aufzulösen beginnt. Schwammig fühlt sich auch mein Gehirn an, das seit rund einer halben Stunde perfekte Small-Talk-Einstiegssätze (»Hi, mein Name ist Sarah, ich schreibe Texte und ich habe zwei Pferde.«) zu memorieren versucht. Ich sehe anderen Frauen dabei zu, wie sie sich lachend unterhalten und Kontakte austauschen. Vermutlich über Linkedin. Ich stelle mein Glas mitsamt Papierstrohhalm auf einem Tableau ab und hoffe, dass mich mein Schwammgehirn morgen daran erinnert, mein äußerst spärlich ausgestattetes Linkedin-Profil mit etwas Leben zu füllen. Das ist also dieses Netzwerken, von dem alle sprechen.

Netzwerk Frankfurt-Wien

Es ist November 2019 und ich weiß nicht, was ich von der eben gehörten Panel-Diskussion, die ich für Sheconomy besucht habe, halten soll. Das hat mehrere Gründe, wobei keiner davon für diesen Text von Bedeutung ist. Viel wichtiger ist, dass mir mittlerweile klar ist, dass es in Österreich mehr als 200 Frauennetzwerke gibt. Und ich weiß auch, dass Small Talk gar keine so hohe Kunst ist, wie diverse Ratgeberbücher einen gerne glauben lassen. Wenn ich das für mich immer noch ein wenig furchteinflößende Wort »Netzwerken« von dieser Art des Austauschs subtrahiere, dann habe ich sogar richtig Spaß daran. Ich sehe den anderen Frauen dabei zu, wie sie sich lachend unterhalten und stelle mich dazu, weil ich heute eh noch nicht allzu viel zu lachen hatte. Auf jeden Fall noch nicht genug. Und mit dieser Art des Austauschs und der gegenseitigen Unterstützung habe ich auch noch nicht abgeschlossen. Ganz im Gegenteil.

Es ist Mai 2020 und ich bin am Ende einer digitalen Konferenz eines Frauennetzwerks in einer Networking-Session gelandet. Ich habe das Gefühl, dass die anderen Teilnehmerinnen direkt durch mich hindurch in meinen unaufgeräumten Mikrokosmos blicken können, was natürlich absoluter Bullshit ist. Ich denke an mein erstes Netzwerktreffen in Frankfurt zurück, an den schwammigen Strohhalm und daran, dass ich mir damals zu 100 Prozent sicher war, in einem Meer aus Hüten ertrinken zu müssen. Aber auch daran, wie ich nach dem Event mit Julia, einer Digitalexpertin der Deutschen Bank, durch einen gar nicht so hässlichen (man glaubt es kaum) Teil Frankfurts spaziert bin. Ich habe ihr von meinen Pferden erzählt und sie mir davon, dass sie dauernd zu spät kommt. Ich erinnere mich an die angenehme Nähe all dieser großartigen Frauen, die ich bei weiteren Treffen kennenlernen durfte, an die Wärme, die mich jedes Mal umschlossen hat, wenn ich mich dazu entschlossen hatte, sie zuzulassen. Ich weiß noch, wie verwundert ich am Anfang darüber war, dass es bei diesen Treffen scheinbar dazugehört, die anderen Frauen immer wieder lautstark auf ihrem Weg zu bestärken. Und ich weiß auch noch, wie ich begonnen habe, es selbst zu tun. Bis es plötzlich vorbei und man von einem Tag auf den anderen auf Zoom und die möglichst akkurate Deutung permanent unscharfer Gesichtszüge angewiesen war. Ich widerspreche Tocotronic normalerweise gar nicht gerne, aber in diesem Fall muss es sein: Digital ist nicht (immer) besser.

Obwohl ihr Herz damals noch an der Literaturwissenschaft hing, blieb Sarah Wetzlmayr nach ihrem Praktikum bei The Gap 2015 irgendwie in der Medienwelt picken. Aktuell betreut sie die Online-Redaktion des Wirt- schaftsmagazins Sheconomy und schreibt für die Magazine Chapter und Bühne. Und eben für The Gap.

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