Kein Mensch ist eine Insel. In seiner neuesten Serie geht Regisseur und Autor David Schalko auf Spurensuche nach dem eigentlichen Wesen unserer von Individualismus geprägten Gesellschaft. Im Interview spricht er über die Krux der Selbstentfaltung, den aktuellen Streamingmarkt sowie seine neue Rolle als Direktor der Thomas Bernhard Gesellschaft.
Du hast dich schon öfters mit komplexen menschlichen Befindlichkeiten auseinandergesetzt, unter anderem in »Braunschlag«, »Altes Geld« oder »M«. Was ist für dich der Reiz daran, genau diese Themen aufzugreifen?
Die Serien sind sehr unterschiedlich. Während es in »Braunschlag« sehr stark um Gier, Katholizismus und ländliche Strukturen geht, in »Altes Geld« um Superreiche und in »M« um eine gesamtgesellschaftliche Depression, geht es ja hier um existenzphilosophische Dinge. Die Kultur, in der diese Serie spielt, ist eine globalisierte Kultur, die es überall gibt. Diese Art von Kaffeehäusern, diese Art von Büros, die könnten genauso in Hong Kong sein oder in Paris. Ich glaube, das trifft eine wesentliche Frage, die sehr aktuell ist. Wir stellen das Ich über alles. Deswegen ist die Erzählperspektive eine völlig andere als in den anderen Serien, weil sie sich perspektivisch auf einen Darsteller konzentriert. Es gibt fast kein Bild, in dem der Hauptdarsteller nicht zu sehen ist.
In der Serie gibt es Musical, es gibt Science-Fiction, ist das ein Stream of Consciousness, den du da niedergeschrieben hast, oder wolltest du mehrere Genres verbinden?
Nein. Diese Genres, die da zitiert werden, ergeben sich eigentlich aus einem Diskurs zu den Thematiken. Jede Folge steht unter einer Prämisse, und ich versuche da sozusagen die verschiedenen Aspekte dieser Prämisse in eine Handlung einzubetten, die sehr viel von einer Simulation hat, in der alles möglich scheint. Fast als würde alles im Kopf unseres Protagonisten stattfinden. Ich habe mich für die Serie sehr stark mit Empathieforschung beschäftigt. Der Versuch ist, all diese Aspekte einzuarbeiten. Einerseits soll die Serie leicht sein, unterhaltsam, gleichzeitig aber auch komplexe Themen abarbeiten.
Einer der wiederkehrenden Sprüche ist »Protect me from what I want«. Das Wünschen ist ein ganz altes Thema – ob man jetzt Faust nimmt, oder die »Bedazzled«-Filme, da ist ja immer eine Gefahr oder ein Trickster-Element dabei. Sollen wir wünschen? Und wenn ja, wie?
»Protect me from what I want« ist ein berühmtes Zitat der Künstlerin Jenny Holzer. Es gibt auch einen Kunstzusammenhang in der Serie, der angedeutet ist, der dann aber erst in der zweiten Staffel eine größere Rolle spielt. Das mit dem Wünschen ist ja immer die Erwartung, die wir ans Leben haben. Die Schere zwischen Erwartung und dem, was tatsächlich passiert. Also frei nach Oscar Wilde: »Das Einzige, was schlimmer ist als die unerfüllten Wünsche, sind die erfüllten Wünsche.« Ich glaube, dass Wünsche in der Erfüllung immer anders aussehen, als man sich denkt. Die Grundfrage ist immer: Ist das Wunschlose glücklicher oder das ständige Wünschenwollen? Es gibt da ein jüdisches Sprichwort, das ganz gut in den Zusammenhang passt: »Wenn du Gott zum Lachen bringen willst, erzähl ihm deine Pläne.«
Es klingt ja nach dem Klischee vom autobiografischen Protagonisten, aber: Wie viel Überlegungen und Ängste von David Schalko stecken in der Figur?
Klischees sind ja nichts Schlechtes, weil Klischees ja durch die Wiederholung wahr werden. Deswegen sind es ja Klischees. Jeder Mensch, der schreibt, verarbeitet autobiografische Dinge in dem, was er schreibt. Man recherchiert am meisten an sich selbst oder an Leuten, die man gut kennt, oder an dem, was man beobachtet. Das ist eine subjektive Beobachtung und damit quasi schon autobiografisch. Aber es ist jetzt nicht so, dass hier konkrete Situationen aus meinem Alltag wiederholt werden.
Du arbeitest für dein nächstes Projekt gerade an einer Serie über das Ibiza-Video. Was kann man da schon verraten?
Da kann man gar nichts verraten, weil das ist alles noch im Entwicklungsstadium. Wir sind noch in der Buchbearbeitung und lassen uns da auch Zeit. Das, was wir vorhaben, soll ja nicht aktuell sein, sondern etwas Zeitloses. Es spiegelt einen Zustand der Politik wider, der sich auch in den nächsten Jahren nicht ändern wird. Unabhängig davon, ob es den Herrn Strache gibt oder nicht. Der steht ja auch nur als Variable für ein politisches Milieu und ist kein Einzelfall.
»Ich und die Anderen« erscheint als Streamingangebot. Wie siehst du, vor allem nach der Online-Übersättigung während Corona, die gegenwärtige Lage am Streaming- beziehungsweise Serienmarkt?
Was ich im Gespräch mit Streaminganbietern beobachte, ist, dass sehr schnell etwas gesucht wird. Die Schnelligkeit steht sehr im Vordergrund, aber auch die Quantität, weil man gezwungen ist, jede Woche eine neue Serie rauszuschießen. Dadurch beginnt das Erzählsystem eine Redundanz zu entwickeln, auch wenn es auf einem sehr hohen Level produziert ist. Gleichzeitig fehlt oft der Mut, neue Dinge auszuprobieren, weil natürlich der Druck wächst, gegenüber der Konkurrenz die Marktanteile zu halten. Es entsteht eine Art Sicherheitsgefüge, indem man sich auf die Rezepturen verlässt, von denen man sich sicher ist, dass sie funktionieren.
Der Geschmack und die Sehgewohnheiten des Publikums bestimmen aber auch, was programmiert wird.
Natürlich, ein Streaminganbieter ist ja dem Wettbewerb ausgeliefert. Aber die Denkweise ist im Wesentlichen anders als bei öffentlich-rechtlichen Sendern. Diese sind teilweise sehr konservativ, weil sie versuchen, ein ländliches Publikum zu halten. In Deutschland versuchen die Sender aber inzwischen wieder radikalere Inhalte zu produzieren, um die Jungen zu kriegen.
Du bist seit Kurzem auch der Präsident der Thomas Bernhard Gesellschaft. Wie siehst du deine Rolle dort und was willst du erreichen?
Bei der Thomas Bernhard Gesellschaft geht es vor allem darum, dass der Nachlass von Thomas Bernhard einen guten Ort bekommt, um der Bedeutung Bernhards angemessen zu sein. Wir verhandeln mit dem Bund und dort sind alle sehr gewillt, dass das relativ flott über die Bühne geht. Das ist mein erstrangiges Ziel und sicher auch das wichtigste.
Was verbindet dich persönlich mit Bernhards Arbeit?
Was mich persönlich mit Bernhard verbindet, ist, dass wir uns wahrscheinlich beide an der österreichischen Mentalität und Gesellschaft reiben, die etwas sehr Doppelbödiges hat, teilweise auch etwas sehr Verlogenes oder Heuchlerisches. Wofür ich Bernhard immer bewundert habe, ist seine Kompromisslosigkeit und seine Unbestechlichkeit. Ich glaube nicht, dass es ihm besonders wichtig war, von irgendjemandem geliebt zu werden für das, was er geschrieben hat. Er hat seine Arbeit als etwas Unberührbares, Unantastbares empfunden.
Was ja sehr stark im Widerspruch zu Streamingbedürfnissen steht. Kann man am meisten bewegen, wenn man kompromisslos ist?
Das Kompromisslose liegt ja an einem selbst und nicht an Verlagen oder Streaminganbietern. Der Suhrkamp Verlag war ja auch nicht immer kompromisslos, Thomas Bernhard war kompromisslos – das ist der Unterschied. Und es gibt auch bei Streaminganbietern oder Sendern immer Mondfenster, wo so etwas möglich ist. Ich versuche halt immer eines dieser Mondfenster zu erwischen.
Ist es ein Künstler*innenlos, sich ein bisschen an der Gesellschaft zu reiben?
Ich glaube, es gibt keine Rezeptur, was ein Künstler sein soll, und ich finde es auch vermessen zu sagen, was man erzählen soll und was nicht. Das Einzige, was zählt, ist die Freiheit.
Die Serie »Ich und die Anderen« von David Schalko ist seit 29. Juli 2021 bei Sky zu sehen.