Dei hohe Zeit ist lang vorüber…

A kind of ruin porn: Ein neuer Bildband dokumentiert den Status Quo des 1903 eröffneten und seit Jahrzehnten kaum genutzten Grandhotel Südbahn. Schön, schaurig, traurig.

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„Die Lokomotive schrie heiser auf: der Semmering war erreicht. (…) Einer der Angekommenen, jung, durch gute Kleidung (…) auffallend, nahm den andern rasch voraus einen Fiaker zum Hotel“ beginnt Stefan Zweigs 1911 veröffentlichte Novelle „Brennendes Geheimnis“. Der junge Reisende, ein Baron aus dem „österreichischen Beamtenadel“, verbringt einen Kurzurlaub am Semmering. Das Hotel, in dem er residiert, muss luxuriös ausgestattet sein: es gibt eine Hall, ein Musikzimmer mit Klavier, Speisesaal und Kaffeehaus. Die zahlreich anwesenden Gäste entstammen unter anderem dem gehobenen Wiener Bürgertum. Der Name des Hotels wird in der Novelle nicht erwähnt, es heißt aber, dass Zweig die Geschichte im Grandhotel Südbahn angesiedelt hat.

Das Semmeringgebiet erlebte nach seiner Erschließung durch die Eisenbahn ab 1854 einen kolossalen Aufschwung: Nationaler und internationaler Adel (Kaiser Karl I, Kaiserin Elisabeth, verschiedene Erzherzöge, Kinskys, Eszterházys,…) verbrachten ihre Sommerfrische genauso wie das (jüdische) Bürgertum (Sigmund Freud, Peter Altenberg, Arthur Schnitzler, Heimito von Doderer, Franz Werfel, Hugo von Hofmannsthal, Karl Kraus, Stefan Zweig, Gustav Mahler, Alma Werfel,…) im Semmeringgebiet.

Plötzlich elitärer Gipfel


Um die Gäste aus allen Teilen der Monarchie und darüber hinaus zufrieden zu stellen, wies zum Beispiel die örtliche Apotheke der Ortschaft Semmering in einer Anzeige auf ihr englisch, französisch, italienisch, griechisch, tschechisch, polnisch und russisch sprechendes Personal und die zur Verfügung stehenden Dolmetscher für weitere Sprachen hin. Die noblen Sommerfrischler verwandelten den bis dato bedeutungslosen Berg in einen elitären Platz ersten Ranges. Sie besuchten den Luftkurort um zu sehen und gesehen zu werden und vergnügten sich mit Lustwandeln, Mußestunden, Tennis, Golf, Schach- und Bridgeturnieren, Konzerten oder Autorennen.

Wohnen konnten die betuchten Besucher in den zahlreichen zum Teil riesigen Hotels und Villen. Noch heute klingende Namen sind das Panhans (1888 eröffnet und 1913 um den Grandhotel-Trakt erweitert), das 1909 fertiggestellte, mächtige Kurhaus Semmering oder die ab 1882 eröffneten verschiedenen Bauten des Südbahnhotels. Die Anreise um die Jahrhundertwende erfolgte selbstverständlich mit dem Zug. 1901 konnte man von Wien aus bis zu zehn mal täglich umsteigefrei auf den Semmering fahren, im Kriegsjahr 1916 immerhin noch acht Mal. Der schnellste Zug legte den Weg 1916 in zwei Stunden 13 Minuten zurück.

…vom Ruhm und Glanz ist wenig über

Der Semmering hat seine beste Zeit längst hinter sich. 2014 fährt die Bahn noch sechs mal täglich direkt von Wien auf den Semmering. Dafür ist die heutige Reisezeit mit einer Stunde 11 Minuten deutlich kürzer. Als ich den Ort im Sommer 2014 wochentags nachmittags wandernd von Mürzzuschlag kommend erreiche, sehe ich als erstes rechterhand auf der Passhöhe eine Bruchbude, die vermutlich einmal ein Gasthof gewesen ist. Bäckerei, Konditorei, Touristinformation: geschlossen. Beim Wirten: mit mir insgesamt fünf Gäste. Die Straßen: wie ausgestorben. Entlang der Höhenstraße: auf Dauer geschlossene Geschäfte. Das Panhans, in den 1980ern zum Teil neu erbaut und mehrmals neu übernommen, schaut abseits des erhaltenen Altbau-Flügels schrecklich aus, ist aber immerhin in Betrieb. Das 1909 errichtete, mächtige Kurhaus Semmering wird seit 1988 nicht mehr als Kurhaus und ansonsten kaum genutzt.

Das 1903 eröffnete, mehrmals erweiterte und umgebaute Grandhotel Südbahn liegt ebenfalls brach. In den 1960ern musste es den Hotelbetrieb einstellen, Teile der Anlage wurden nach und nach in Wohnungen umgewandelt (die aktuell auch bewohnt sind). Das Haupthaus vergammelt, immerhin unter einem sanierten Dach. Freiliegende Rohrleitungen wurden verlegt, es sieht aus wie auf einer Baustelle. Drinnen brennen Lichter, zu sehen ist niemand. Ich rüttle an allen Türen, schaue durch alle Fenster. Die Zukunft des Bauwerkes ist ungewiss. Am Himmel stehen schwarze Wolkentürme. Ich laufe zum Bahnhof.

Noch bis 11.1.2015 zeigt das Jüdische Museum am Judenplatz (Wien) die Ausstellung „Das Südbahnhotel. Am Zauberberg der Abwesenheit“ der Fotografin Yvonne Oswald.

Der dazugehörige Bildband „Das Südbahnhotel. Am Zauberberg des Wiener Fin de Siècle / the Magic Mountain of Vienna’s Fin de Siècle“ ist im Metroverlag erschienen.

Detailliertes Wissen über das Südbahnhotel und seine Geschichte bietet Désirée Vasko-Juhászs Buch „Die Südbahn. Ihre Kurorte und Hotels“ (Böhlau Verlag)

Bild(er) © Yvonne Oswald
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