»Nichts, was wir tun, kann gänzlich unpolitisch sein« – Marie Kreutzer im Interview

Marie Kreutzers »Der Boden unter den Füßen« war nicht nur der österreichische Beitrag im Wettbewerb der Berlinale 2019, er eröffnet auch die diesjährige Diagonale. Im Interview mit The Gap verrät die Filmemacherin ihren Zugang zu diesem Film und erzählt von Politik, Perfektionismus und aktuellen Plänen.

In Bezug auf das Thema Macht fand ich die Figur der Elise (Mavie Hörbiger) und ihre Beziehung zu Lola (Valerie Pachner) besonders interessant, da Elise durch ihre Position in der Firma ebenso an herrschenden Machtstrukturen teilnimmt. Wie sehen Sie die Figur Elise und ihre Rolle im Film?

Lola hat einfach eine Beziehung zu ihrem Chef, nur dass der Chef hier eine Frau ist. Ich sehe Elise als eine der Frauen, die glauben, man müsse besonders »männlich« auftreten, um als Frau Erfolg haben zu können. Ich meine das nicht wertend. Elise hat eine Führungsfunktion in einer sehr konservativen, stark männlich dominierten Branche, und ich mag an der Figur, mit welcher Souveränität sie das macht. Ich glaube, diese Souveränität zieht auch Lola an.

Frauen sind nicht nur in der österreichischen Filmbranche noch immer unterrepräsentiert. Sie haben ja bei »Der Boden unten den Füßen« nicht nur vor, sondern auch hinter der Kamera mit vielen Frauen zusammengearbeitet. Welche Strategien braucht es, um Filmemacherinnen zu fördern?

Ich arbeite mit vielen Frauen, aber auch mit vielen Männern. Mein Team ist ein 50/50-Team, und ich bin eher allergisch drauf, dass es immer als »Frauenteam« dargestellt wird. So wie ich es auch bezeichnend finde, dass ich ständig zur Gleichstellung und Geschlechterverteilung in der Filmbranche befragt werde, meine männlichen Kollegen aber nie. Die Gleichberechtigung geht uns alle an, nicht nur die Frauen! Es gäbe viele Wege, Frauen zu fördern; aber Bekenntnisse und Freiwilligkeit haben bisher die Zahlen nicht verändert. Noch immer bekommen weibliche Filmschaffende nur ungefähr 20 % der Fördergelder. Das kann niemand gerecht finden. Ich denke, ohne Quote wird sich nichts verändern.

Marie Kreutzer: »Ich glaube, nur so können wir diesen Produktivitäts- und Perfektionswahnsinn durchbrechen: indem wir unsere Schwächen nicht verstecken. Oder noch besser: sie nicht als Schwächen sehen.« © Novotny Film / Juhani Zebra

Vor Kurzem erschien ein Artikel in der Presse, der den BesucherInnenrückgang in den österreichischen Kinos thematisierte. Wie sehen Sie die Filmlandschaft in Österreich aufgestellt?

Der BesucherInnenrückgang betrifft nicht nur österreichische Filme, sondern das Kino allgemein, den kann man also nicht der österreichischen Filmbranche umhängen. Wir haben ganz, ganz viele tolle Leute und viel zu wenig Geld – das ist die Kurzfassung. Ich glaube, dass das österreichische Kino den ÖsterreicherInnen zu wenig wert ist. Die eigene Filmkultur hat in anderen Ländern, wie beispielsweise in Frankreich, einen viel höheren Stellenwert – dort gehört es auch fix zum Schulunterricht, dass man ins Kino geht.

Seit Angelobung der aktuellen Regierung formiert sich auch in der österreichischen Kulturszene nach und nach Widerstand. Mirjam Unger und Anja Salomonowitz haben die Veranstaltungsreihe Widerstandkino ins Leben gerufen, und es gibt die Aktion #KlappeAuf sowie natürlich die Donnerstagsdemos, bei denen auch diverse KünstlerInnen teilhaben. Wie zeigt sich Politik in Ihren Filmen und wie sehen Sie diesbezüglich Ihre Rolle als Künstlerin?

Ich bin ursprünglich verantwortlich für inzwischen Tausende T-Shirts mit der Aufschrift »Not My Government«, die auch viele KollegInnen von mir gern tragen. Oder was heißt gern – anders wäre es uns lieber! Das Statement ist emotional, es ist nicht antidemokratisch, wie mir manchmal vorgeworfen wird. Ich bin Demokratin durch und durch. Aber Demokratien haben auch schon sehr antidemokratische Menschen an die Macht gebracht. So wie jetzt. In meinen Filmen wird Politik sich nie so tagesaktuell und konkret zeigen, weil mich das filmisch nicht reizt. Ich glaube, das Kino ist auch zu langsam dafür, und es hat eine andere, grundsätzlichere Aufgabe. Meine Haltung ist sicher in meinen Filmen zu sehen und zu spüren, vor allem in »Der Boden unter den Füßen«, der sich kritisch mit der Kapitalismusgesellschaft auseinandersetzt. Ich war sehr angetan vom Motto der Berlinale in diesem Jahr: »Das Private ist politisch.« Nichts, was wir tun, kann gänzlich unpolitisch sein. Schon gar nicht, wenn wir Geschichten erzählen.

Welche Themen und Geschichten möchten Sie in Ihren kommenden Projekten noch verhandeln?

So viele. Ich arbeite zur Zeit an vier Drehbüchern. An einem TV-Krimi, in dem eine homosexuelle Beziehung am Land im Mittelpunkt steht, einer Komödie über drei Paare in der Midlife-Crisis, an einem Drehbuch über Kaiserin Elisabeths Kampf gegen das Alter und an einem besonders schönen und spannenden Projekt über eine politisch engagierte Journalistin, das deswegen besonders ist, weil wir vier Autorinnen und drei Regisseurinnen sind, die diesen Film zusammen machen wollen. Man ist in dem Beruf nämlich auch oft sehr allein.

»Der Boden unter den Füßen« ist ab 22. März 2019 in den Kinos zu sehen. Österreichpremiere feiert der Film am 19. März im Rahmen der Eröffnung der Diagonale in Graz.

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