Ein Gespenst geht um in Tumblr-Blogs und Soundcloud-Sphären. Mit Dreiecken und Kreuzen bricht es sich Bann und weidet sich munter an Okkultismen, schamanischer Symbolik und verzerrter Wicca Mystik – was ist Witch House?
Seitdem Genres nicht mehr nur Kartontrennwände in den Kisten von Plattenläden sind, sondern als usergenerierte Tags in der großen Wolke herumschwirren, entstehen die sonderbarsten Neologismen für neue Splitter- und Subgenres im gefühlten Sekundetakt. Früher war das Techno, Rock, Punk – und immer mit angeschlossener Jugendbewegung. Heute waten wir durch einen Brei aus Referenzsystemen zwischen Last.fm Grüppchen und Blogger-Nischen. Daraus resultieren dann zwar Genrebegriffe, die auch vom Überkonsensgenerator Pitchfork abgefeiert – oder umgekehrt von Pitchfork generiert und ins Diskurssystem eingespeist werden – diese scheinen jedoch oft nur noch Hülsen und bewusst konstruierte Distinktionsmechanismen zu sein. Und schon stecken wir mitten Dilemma unserer Dekade: es ist immer schwieriger, sich klar abzugrenzen.
In letzter Zeit, letzten Sommer vielleicht, schoben immer mehr Musiker ihre 80er Sample-Kaskaden ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Ruhig wurde mit der Vergangenheit abgerechnet, Kindheitserinnerungen herauf beschworen. Chillwave nannte man das landläufig, oder Hauntologic Pop. Hauntologic bezieht sich dabei auf Jaques Derridas gleichnamiges Konzept, das eine Welt am Ende der Geschichte beschreibt die rückbezüglich von den Geistern ihrer Vergangenheit lebt. Eine Cyberpunk Welt – oder unsere musikalische Gegenwart. Acts wie Neon Indian, Toro Y Moi oder Washed Out suchen diese Geister oder vorzeitlichen Meme in alten VHS Aufnahmen und Schallplatten. Disney-Romantik trifft auf Baywatch-Mythologie. Synthies liefern den warmen Klang.
Dark Chillwave
Und der legitime Nachfolger von Chillwave ist 2010 nun einmal Witch House. Anfang des Jahres tauchten einige unheimliche, langsame Tracks auf YouTube auf. Und dann las man auch schon überall diese Namen: Mater Suspiria Vision, Salem, Modern Witch. Doch was ist das, Witch House?
Owleyes, Presse- und Grafikabteilung von Disaro Records – die von Texas aus im Zentrum der überschaubaren Szene operieren – antwortet auf die Frage: »Diese Bezeichnung ist ein Symptom unserer Informationsgesellschaft, in der ständig alles ausgeschlachtet werden muss.« Gut, ja. Schon OK. Das ist nichts Neues und verständliche Koketterie – der Begriff der Hamburger Schule wurde ja auch von Journalisten geprägt, um dann wiederum als Marketingtool der Labels herzuhalten. Und gewesen wollte es dann wieder niemand sein. So funktioniert das doch, oder? Sobald ein breiteres Publikum Wind von so einer Bewegung bekommt, sind die Vorreiter schon lange auf der nächsten Stufe. Die nächste Stufe? Inzwischen sind natürlich schon unzählige Trittbrettfahrer aufgetaucht, die schlicht den Sound kopieren und sich die Symbolik aneignen. Schwierig ist das ja auf den ersten Blick auch gar nicht. Ein paar Dreiecke hier, ein Kreuz da, Lo-Fi Drum-Machine Sounds, richtig verzerrte Claps, Horrorfilmsamples und fertig ist der nächste Zombierave-Track. »Du wirst die wahren Witch-House-Sounds erkennen. Die, die es einfach nachmachen, transportieren nicht dieselbe Energie.« Die Energie, der Spirit, darum geht es also bei Disaro Records. »Disaro ist eine Religion, wir sind falsche Propheten mit einer Botschaft. Es wird immer Leute geben, die von wahren Magiern angezogen werden. Schau ins Zentrum, dort findest du die Wahrheit. Der äußere Ring besteht immer aus Drohnen. Wir wollen Musik rausbringen, an die wir glauben können.«
Drag
An der Speerspitze, oder im Inner Circle, stehen Salem, die sich über dunkle, träge Beats und Drogensymbolik definieren. Dieser Sound scheint die Apokalypse bereits überdauert zu haben, mäandert zwischen Heroin, Mystik und Harmony Korine-Romantik und lässt am ehesten noch leichte Einflüsse von Dubstep durchscheinen. Ihre Musik bezeichnen sie selbst als Drag. Schwieriges und passendes Wort, das entweder etwas Schwerfälliges, Langsames bezeichnet oder aber natürlich glamouröse Drag Queen und Queers und was immer. Inspiriert sind Salem hauptsächlich vom trägen Südstaaten-HipHop. In den 90ern war es dort ziemlich en vogue, codeinhaltigen Hustensaft zu trinken. Das macht natürlich erstmal sehr langsam und schläfrig. DJ Screw – der Legende nach mit dem Hustensaftfläschchen in der Hand gestorben – etablierte über Jahre einen ganz eigenen Zugang zu HipHop, indem er Platten extrem verlangsamte und komplizierte, arhythmische Cuts machte. DJ Screws Tracks sumpfen gespenstergleich durch lange dunkle Korridore, wo sie da und dort einen Beat ausfindig machen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis dieses Phänomen von findigen Hauntologen aufgegriffen und verwurstet werden würde. Jahre später sollte das Berliner Künstlerkollektiv Aids-3D die Idee aufgreifen und Charthits durch ultralangsames Abspielen in ausufernd verstörende Horrortrips verwandeln.
Post-Drag
Balam Acab, das Projekt des 19-jährigen New Yorker Collegestudenten Alex Koone, bildet einen weiteren Eckpunkt im Witch House-Pentagramm. Ihm geht es nicht so sehr um offensichtlichen Horror oder Okkultismus. Koone ist der Hauntologe im Bunde, der sich Derridas gleichnamiges Konzept ganz zu Herzen genommen hat. Seine Platten klingen dann auch eher deshalb dunkel, weil sie zwischen all den langsamen Bässen eine eigenwillige Unruhe aufweisen, die wiederum vom Ende kündet: vom ewigen Gefangensein im Referenzrahmen. Auf TriAngel, einem Sublabel von Kompakt Records, hat er vor kurzem seine Debüt-EP »See Birds« releast.
Ghost Juke
Neben diesen Größen, die sich auch kommerziell immer weiter in Richtung gemäßigter Popentwürfe entwickeln, gibt es ein inzwischen einen nahezu unüberschaubaren Pool an Witch House Acts, die allesamt ziemlich ähnlich klingen. Die Protagonisten dieser lose verknüpften Szene tragen Namen, die sich aus ASCII Zeichen zusammensetzen – ▲▲▲, †‡†, oOoOO. Das Konstruieren einer spleenigen und rätselhaften Existenz, Google zu verwirren und irgendwie abseits zu stehen, das sind die Dinge, über die sich Witch House definiert. Jüngst hat sich ja auch M.I.A. der ASCII-Art verschrieben; das Prinzip des Symbols im Künstlernamen ist mindestens so alt wie Prince. Doch diese neuen Symbolisten generieren damit eine Art parallele Kommunikationsebene, die sich dem Offline-Leben bewusst verschließt. Die sich ihrer rein virtuellen Existenz gewahr wird und oft auch gar nicht das Bedürfnis hat, nach Außen zu treten. Verweigerung nach allen Richtungen. Die vermeintlich vergessenen Soundarchive und MySpace-Friedhöfe sind zwar Kalkül, Geisterbahneffekte – Witch House ist aber, neben aller Ironie und Berechnung, einfach die logische Konsequenz aus 20 Jahren 80er Revival. Irgendwann musste die dunkle Seite abgearbeitet werden. Schlecht ist das nicht und wenn man sich Salems neues Album »King Night« anhört, dann wird einem auch klar, dass der Begriff Witch House nur einen künstlichen Rahmen bildet und am Ende immer der Sound zählt.
www.myspace.com/triangledreams
www.myspace.com/matersuspiriavision
www.myspace.com/wkwkwkwkwkwkwkwk