Die Gruppe Messer im Interview zu ihrem neuen Album „Jalousie“

Die deutsche Post-Punk Band Messer bringt ihr neues Album mit dem Titel „Jalousie“ raus. Wir haben mit drei Fünftel von ihnen geplaudert.

Post-Punk Band "Messer"
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Das Experiment war aufgegangen. Drei Jahre hat die deutsche Post-Punk Band Messer mit ihrem neuen Album gewartet. Der Titel „Jalousie“ schlicht und kompakt, wie sonst nur weniges in ihrem Kosmos, verdichtet in einem Wort, worum es bei Messer so oft geht: die Vielschichtigkeit der Perspektiven. In der Musik, in den Texten und in der Band selbst. Die fünf Männer sind mehr als nur befreundete Musiker, sie sind ein Gefüge, das basisdemokratisch agiert, im ständigen Bewusstsein, dieser einen guten Sachen dienen zu wollen: dem Stück. Drei Fünftel von ihnen, Hendrik Otremba (Sänger), Philipp Wulf (Schlagzeuger) und Pogo McCartney (Bassist), haben wir euphorisiert von dem Beginn der Tour, vor ihrem Konzert im B72 zum Gespräch getroffen.

Mit eurem neuen Album habt ihr auch eine neue Richtung eingeschlagen, euch von dem Brachialen entfernt. War das eine bewusste Entscheidung?

Hendrik Otremba: Nö.

Philipp Wulf & Pogo McCartney (gleichzeitig): Doch.

Alle im Raum lachen.

HO: Es gab die Klarheit, dass wir kein drittes Album machen werden, das die Tür eintritt. Wir wollten uns nicht von dem Brachialen distanzieren, wir haben eher gemerkt, dass es für uns reizvoll ist, die Wege die dazu führen, stärker zu streuen und in anderen Formen stattfinden zu lassen. Niemand hat gesagt: „Keine Wut mehr.“ Sondern wir wollten die Energie nicht mehr schnell durch den Kanal schießen, viel mehr wollten wir ihr Zeit geben sich zu entfalten.

PW: Den Eindruck den ich nach der ersten Woche auf Tour gewonnen habe ist, dass ich immer wieder überrascht bin, wie brachial die neuen Stücke live sind. Das hängt sicher auch damit zusammen, wie wir die Platte aufgenommen haben.

HO: Die Dramaturgie und die Dynamik von den Live-Konzerten führt dazu, dass wir die alten Stücke gelassener angehen und die neuen doch stark anziehen. Das pendelt sich gerade ein. So ein Stück wie „Die Hölle“, das mit einem Drumcomputer gespielt wird, kommt auch sehr intensiv daher. Da hab ich schon das Gefühl, dass es an die früheren Konzerte von Messer erinnert, wo etwas aus einem heraus stößt und bei jemandem anderes ankommt und dann ein Dialog entsteht. 

Es ist nicht mehr nur ein Schrei, sondern filigraner geworden.

Hattet ihr das Gefühl, euch öffnen zu müssen?

HO: Öffnen zu wollen.

PM: Müssen schonmal gar nicht. Da nehmen wir uns ganz bewusst die Freiheit, den Zwang, keine Rolle zu spielen. Wir haben diese Dinge ausprobiert und gemerkt, dass wir das als Band wollen. Da braucht es schon mal länger, die Methode zu finden. Wir hatten das Glück der Möglichkeit, uns ein eigenes Studio aufzubauen in dem wir produzieren konnten.

HO: Das war ein Spannungsverhältnis aus Möglichkeiten und Notwendigkeiten, das dazu geführt hat. Möglichkeit, eben was Pogo sagte, und dann die Notwendigkeit, dass unser alter Gitarrist die Band verlassen hat und eben an der Gitarre ein Wechsel statt gefunden hat, das führt unweigerlich dazu, dass ein neuer Sound entsteht.

Gehören Projekte wie die Vertonung von Romy Schneiders Tagebüchern oder die Auseinandersetzung mit französischen Künstler Boris Vian zu dieser Öffnung dazu?

HO: Da konnten wir mutiger experimentieren, weil wir wussten, dass es anders konserviert wird als ein Album. Wir differenzieren nicht in der Wertigkeit, aber es ist situativer und wir konnten uns mehr trauen zu probieren. Es gab ein Motiv, dass eine gewisse Nähe zu Macarena, diesem Ballermann-Song hatte, sowas hätten wir uns gar nicht getraut als eine Skizze für ein Album zu begreifen. Und so hatten wir die Möglichkeit, dass in einem Rahmen, der sowieso artifizieller ist, auszuprobieren und zu schauen, wo uns das hinführt. Das waren zwei Wegmarken, auf dem Weg zu einer Neuorientierung.

PW: Oder Boris Vian als Jazzmusiker, das wollten wir auch einfließen lassen. Wir hatten eine Episode, die wir unter uns als Pseudo-Jazz bezeichnet haben. So was hätten wir nicht auf das Album gepackt, aber das alles auszuprobieren und danach aus einer anderen Perspektive an die Produktion vom Album zu gehen, hat uns auch im Zusammenspiel weitergebracht.

HO: Es hat einen Raum aufgemacht, in dem der Übergang auch personell stattfand. Bei der ersten Aufführung von Boris Vian war noch Pascal dabei und bei der zweiten und dritten hat dann Milek Gitarre gespielt. Milek konnte dort einfacher einsteigen. Mit mehr Freiheit und weniger Korsett und weniger Erwartungshaltung an tendenzielle Genreentscheidungen.

PM: Und das Ausloten neuer Instrumente. Das hat zu einer gewissen Sicherheit geführt.

HO: Wenn du beim Schreiben einer Platte wahnsinnig viele Elemente verwendest, wie zum Beispiel Synthesizer, Drumcomputer oder die Orgel, die für dich neu sind, dann aber beim klassischen Live-Spielen merkst, dass das nicht funktioniert, hast du ein Problem. Und bei den beiden Projekten konnten wir eben schauen, ob wir eine Intensität mit den Instrumenten herstellen können.

Ihr habt vorhin schon die Rolle der Aufnahmesituation für das Album angesprochen. Ein altes Rittergut in Westfalen, mitten im Nichts. Brauchtet ihr den Raum und die Ruhe um dort zu experimentieren?

PM: Experimentiert haben wir vorher in unserem Studio. Dort war es dann ein reiner Aufnahmeprozess.

PW: Das Ausschlaggebende war, dass wir dort zwei Wochen am Stück waren. Bei dem Prozess vorher waren nicht immer all in einem Raum. In dem Studio waren wir zusammen an einem Ort und es war nicht zerfasert, wie es vielleicht vorher war. Wir haben einfach sicher gestellt, dass es ein gemeinschaftlicher Prozess ist.

HO: In einem Prozess der vorher fragmentarisch stattgefunden hat, war es wichtig, dass man solche zwei Wochen nicht nur nutzt, um konzentriert zu arbeiten und zu definieren und auszuloten, ob wir alle derselben Perspektive sind, sondern auch zu schauen, wie wir als fünf Freunde und als Band sind.

Das ständige Suchen der Perspektiven, nicht mal zwecks Finden der Antwort, war für mich immer ein großer Punkt im Kosmos Messer. Wie fügt sich in diese Suche das Bild einer Jalousie ein?

HO: Bei dem Artwork zum Beispiel ist es nicht direkt klar, ob man durch die Jalousie schaut oder ob man angeschaut wird oder ob man beobachtet wird wie man durchschaut. Die Frage nach Sichtbarkeit, die sich einem im 21. Jahrhundert permanent stellt, haben wir analog abgebildet, wobei das natürlich eine große digitale Frage ist. Es geht aber auch auf einer musikalischen Ebene darum, die natürlich mit der Textebene verbunden ist, wie man zum Beispiel durch eine Jalousie auf mögliche Referenzen guckt, aber sich noch irgendwo hinter versteckt. Da gibt es auch ein Spiel mit der Sichtbarkeit. Es geht aber auch darum, was mit der Person ist, die den Blick durch die Jalousie ausübt. Eine Jalousie zieht da natürlich eine Grenze zwischen zwei Betrachtungsmöglichkeiten, die auf beiden Seiten aber auch den Blick zurück gewährt.

Hendrik, du hast mal gesagt, dass ihr euch als Soundband und nicht als Textband versteht. Was meinst du damit?

HO: Das ist ein notwendiges Selbstverständnis. Wir machen nichts, wo es eine Hierarchie gibt im Sinne von „etwas dient dem anderen“, sondern alles dient allem. Es gibt eine Symbiose und ein kollektives Erschaffen, bei dem es darum geht, in dem Sound zu spüren, was in einem Text steckt und umgekehrt. Deshalb gibt es bei uns nicht das Verfahren von Song entsteht, Text entsteht. Es sind chaotische Prozesse.

PW: Diese Aussage hat eine provokante Seite, die auf das Verständnis reagiert, dass deutschsprachige Bands maßgeblich über Texte wahrgenommen werden. Wir sagen dann aber auch, dass es um den Sound der Texte geht. Die Worte haben einen Klang, der gesetzt wird und Wörter werden nach dem Sound ausgesucht. Es geht weniger um die hermeneutische Bedeutung der Texte, die auch nicht immer verstanden werden müssen oder können, sondern um die Intensität der Wahrnehmung der Worte.

HO: Wenn Texte bei deutschsprachigen Bands ein gewisses Niveau haben, geschieht das häufig, dass diese Bands zu Textbands gemacht werden. Das wird der Sache nicht gerecht. Es geht nicht darum sich entscheiden zu müssen. Es kann doch auch super sein, dass eine Band tolle Texte und eine tollen Sound hat.

PW: Bei deutschsprachigen Bands die uns nicht so gut gefallen, die aber sehr geistreiche Texte haben, hat man manchmal das Gefühl, die gehen mit ihrem Sound total schluderig um.

HO: Im Umkehrschluss, gibt es wahnsinnige viele Bands, wo man denkt, dass die einen fetten Sound haben und die Texte totaler Müll sind.

Bei „Im Jahr der Obsessionen“ bekommt ihr Unterstützung von Katharina Trenk bekannt von den Wiener Sex Jams. Wie kam die Zusammenarbeit zustande? 

HO: With a little help from our friends.

Wieder Gelächter.

 

Das aktuelle Album „Jalousie“ der Gruppe Messer erschien Mitte August 2016 via Trocadero. 

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