Die Wunder Istanbuls

Die zweitgrößte Stadt Europas, Istanbul, ist zu Gast im MAK. Über Zensur, das Frauenbild oder Fremdethnisierungen in der Türkei spricht Kurator Simon Rees im The Gap-Interview.

Aus rechtlichen Gründen werden Artikel aus unserem Archiv zum Teil ohne Bilder angezeigt.

Die Ausstellung heißt „Zeichen, Gefangen Im Wunder – Auf der Suche nach Istanbul heute“. Wieso gerade Istanbul?

Simon Rees: In Österreich ist es ein wichtiges Thema, das in dieser Form noch nicht bearbeitet wurde. Die Ausstellung zeigt Künstler der Generationen von 1920 bis 1980.

Es ist ironisch. Ich war schon in Ankara und Bodrum an der Südküste. Aber Istanbul konnte ich noch nicht besuchen. Jetzt wo ich die Stadt kenne würde ich sie als Hafenstadt bezeichnen – ein Arbeitsmeer für Transit. Täglich fahren Millionen Menschen mit großen Schiffen hindurch. Und es gibt mehr Touristen als in den anderen Städten. Istanbul ist ja eine der populärsten Städte. Man spürt die Vielzahl der Leute.

Wie haben Sie die Künstler für die Ausstellung entdeckt?

Simon Rees: In der global geprägten Kunstszene lernt man viele Menschen kennen und knüpft Freundschaften. In der Show sind die Werke zwei meiner Freunde zu sehen. Einer davon, Hüseyin Bahri Alptekin, ist vor ein paar Jahren gestorben. Er beschäftigte sich in seiner Arbeit mit nationaler Identität und der sogenannten Aneignung von Territorien. Er galt als Mentor der Szene Istanbuls. Seine Werke sind heute u.a. in der Sammlung des Moma in New York zu finden.

Einige Künstler, wie Sibel Horada und Cevdet Erek sind bereits sichtbare Figuren in der türkischen und westeuropäischen Kunstszene. Kutlug Ataman ist vielleicht der international bekannteste Künstler aus Istanbul, seine wundervolle Arbeit zu Shakespeare ist unser einziger unerfüllte Wunsch für diese Ausstellung. Die meisten Aussteller haben wir durch Treffen mit den Künstlern und Galeristen gefunden.

Uns war es wichtig nicht nur Künstler aus Istanbul dabei zu haben, sondern auch welche, die Istanbul in ihrer Arbeit reflektieren. Zum Beispiel Aki Nagasaka, die sich mit Bruno Taut beschäftigt. Taut sah moderne Architektur in Asien angelegt und lebte in den letzten Jahren seines Lebens zur Zeit des nationalsozialistischen Deutschlands in Istanbul im Exil. Er wurde wie viele andere eingeladen, Architektur in der Türkei zu modernisieren.

Die türkischen Künstler sind sehr mobil und leben oft im Ausland. Dann kommen sie zum Beispiel aus den USA oder Stockholm wieder zurück nach Istanbul und bringen eine Menge Spirit für die künstlerische Szene mit und ändern sie ein bisschen.

Worum geht es zum Beispiel in der Arbeit des deutschen Künstlers Marcel Odenbach?

Simon Rees: Es ist eine 2-Kanal-Video-Arbeit über männliche Rituale. Gefilmt wurde ein Mann bei einem Barbier. Ein Ort der Nachrichten und des sozialen Gossips. Odenbach spiegelt jene Szenen mit Ansichten des Bosporus als geschichtsträchtigem Ort wider.


Und wie setzt sich die Künstlerin Canan mit dem Frauenbild auseinander?

Simon Rees: Es ist eine Videoanimation mit einer sehr schönen Geschichte. Bilder, die sie an die Miniaturmalerei angelehnt hat. Der Film geht extrem offen mit Sexualität, Gewalt, Unterdrückung durch das patriarchalische Prinzip um. Aber eben nicht nur durch Männer, sondern auch durch die Frauen selbst. Es geht auch um Vorurteile und bestimmte traditionelle Vorstellungen.

Ich habe den Film in der Ausstellung "Dream and Reality – Modern and Contemporary Women Artists from Turkey“ im Istanbul Modern Museum gesehen, die den Frauen gewidmet war. Ich war sehr überrascht über den offenen Umgang mit diesen Themen in einem muslimischen Land. Immerhin sind 99% der Türken muslimischen Glaubens. Auch wenn gerade in Istanbul Menschen jüdischen oder katholischen und anderen Glaubensrichtungen leben, ist die Stadt sehr stark vom muslimischen Glauben geprägt.

Die Medien berichteten kürzlich wieder von Zensurvorfällen in der Türkei. Wie haben Sie das erlebt?

Simon Rees: Ja, in der Presse ist das extrem und ein ernstes Thema. In Wien gibt es das Presseinstitut, das eine Mission in Istanbul organisierte. Zurzeit sind nämlich rund 44 Journalisten in türkischen Gefängnissen in Haft. Wegen dem Gesetz, das besagt, dass auch nur das berichten über türkischen Terrorismus eine Straftat ist. Alles was zum Beispiel mit dem Kurdenproblem zu tun hat, ist sehr schwierig journalistisch zu vermitteln. Wie der jüngste Vorfall in Paris in der Türkei vermittelt wird wäre auch interessant zu verfolgen. (Erdogan hatte dem französischen Präsidenten vorgeworfen, sich mit PKK-Aktivisten getroffen zu haben, Anm.)

Leider spreche ich überhaupt kein türkisch. Zu diesem Thema haben wir sogar eine Künstlerin: Banu Çennetoğlu. Sie hat Zeitungen aus der Türkei, Zypern und Schweiz gesammelt, die an einem bestimmten Tag erschienen sind. Sie zeigen wie unterschiedlich über ein Thema berichtet wird. Sie will informativ aber nicht interpretierend darlegen, wie Medien Informationen aufarbeiten – welche Nachrichten werden weitergegeben, welche aufgeblasen? Es ist eine Möglichkeit dieses Thema zwar nicht direkt zu behandeln, aber zum Nachdenken anzuregen.

Konnte sie in Istanbul ausstellen?

Simon Rees: Ich glaube sie könnte – das wäre kein Problem. Ihr Werk richtet sich nicht offensichtlich gegen etwas. Es ist nur eine Ansammlung von Zeitungen.

Und die anderen Künstler? Ist jemand bei der Ausstellung dabei, dessen Arbeit in der Türkei zensuriert wurde?

Simon Rees: Nicht das ich wüsste. Außerdem haben wir einige kurdische Künstler, wie Halil Altindere, wo nicht seine Herkunft der Grund war, warum wir uns für ihn entschieden haben, sondern seine Arbeit. Unser Konzept dreht sich nur um die Kunst, nicht um den nationalen Kontext. Auch für die Künstler ist es wichtig, dass nicht immer die nationale Identität im Vordergrund steht. Viele türkische Ausstellungen richten ihren Fokus nur darauf.

Das wäre so, als ob jeder österreichische Künstler im Ausland eine Ausstellung über Österreich machen müsste. Es ist mit der polnischen und der türkischen Szene passiert, aber nach einer Weile ist es für die Künstler unangenehm. Wir sind sehr glücklich darüber eine Show produziert zu haben, die den Künstlern entspricht.

Die Ausstellung „Zeichen, gefangen im Wunder. Auf der Suche nach Istanbul heute“ findet vom 23. Jänner bis 21. April 2013 in der MAK-Ausstellungshalle statt.

Bild(er) © MAK/Katrin Wißkirchen _ Canan
Newsletter abonnieren

Abonniere unseren Newsletter und erhalte alle zwei Wochen eine Zusammenfassung der neuesten Artikel, Ankündigungen, Gewinnspiele und vieles mehr ...