Disney-Image zur Schlachtbank

Harmony Korine, Skandal-Regisseur und –Drehbuchautor, schickt in seinem neuesten Streich eine zugedröhnte Fräulein-Clique auf die Partymeilen Floridas. „Spring Breakers“ punktet mit einer ungewöhnlichen Erzähltechnik und verstört mit grenzwertigen Gewaltszenen.

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Stehen in den US-amerikanischen Colleges die Frühlingsferien (Spring Break) an, zieht es die Studierenden scharenweise ins sonnige Florida. Dort steigt eine mehrwöchige Party-Orgie, bei der kein Auge trocken, keine Kloschüssel unbesudelt und kein Bikini ungeöffnet bleibt. Vier Mädels (u.a. Selena Gomez und Vanessa Hudgens) rauben kurzerhand einen Fast-Food-Laden aus, um sich den Trip dorthin leisten zu können. Im vermeintlichen Paradies angekommen, geraten sie an den Dealer Alien (James Franco) und durch ihn erst recht auf die schiefe Bahn.

Ein Film in Strophen und Refrains

„Spring Breakers“ ist ein kompromissloses Party-Movie mit eingelagerten Crime-Elementen. Es ähnelt über weite Strecken jedoch mehr einer Sequenz reizüberfluteter Musikclips, als einem kohärenten Film. Drehbuchautor und Regisseur Harmony Korine spricht in diesem Zusammenhang von einer fließenden Erzählform („liquid narrative“), die Momentaufnahmen zu Handlungssträngen verdichtet. Dem „Slant Magazine“ erzählte er, elektronische Musik habe ihn zu dieser Technik inspiriert. Vom Pop hingegen sei die Idee des Refrains oder Mantras entlehnt.

Die Handlung von „Spring Breakers“, sprich der Werdegang der vier Protagonistinnen, wird schubweise zwischen echter Spring-Break-Footage und inszenierten Party-Szenen erzählt. Der oben genannte Refrain fungiert als Bindeglied zwischen den Handlungs- und Partyelementen. Er besteht aus mehreren Fragmenten, beispielsweise aus im Voice Over gehauchten Wortfetzen von James Franco alias Alien („Spring Break… Spring Break“); oder Aufnahmen der vier Freundinnen bei alltäglichem „Girl Stuff“ abseits von Drogen und Gewalt.

Die Technik von Regisseur Korine zielt darauf ab, die harten Strophen-Parts ins Unwirkliche zu entrücken. Dieser Coup gelingt. Selbst die bedrückendsten Szenen verlieren an Schärfe, bekommen den Traum-artigen Charakter überzeichneter Musikclips. Heraus kommt am Ende ein aus ausufernden Teeny-Fantasien zusammengestückelter Exzessreigen. Hinter den grellen Farben, dem Lärm und der nackten (vorwiegend weiblichen) Haut, lauert freilich auch der knallharte Realismus. Diesen Hang zur sozialen Wirklichkeit packte Korine bekanntermaßen bereits in die Skripten von "Kids" (1995) und "Ken Park" (2002). Wie in diesen beiden Filmen ist „Spring Breakers“ aber nicht zwingend ein Sittenbild eines gesellschaftlichen Verfalls. Korine prangert nicht an, dass es der gesellschaftlichen Norm entspricht, dem geordneten (Studierenden-)Leben für einen bestimmten, klar abgesteckten Zeitraum den Rücken zu kehren. Vielmehr reizt er mit Spring Breakers“ die Frage aus, wo die Norm endet und wo die imaginäre Grenze zum Abgrund überschritten wird.

Gleichzeit verweigert der Film jede Wertung – passend zur Erzählform sind in „Spring Breakers“ auch die Parameter des als normal und akzeptabel geltenden Verhaltens fließend. Das zeigt sich vor allem bei den Protagonistinnen des Films, die kontinuierlich zwischen kompromissloser Selbstverwirklichung und schwankenden Teenager-Launen, zwischen starken Frauen-Figuren und unreifen Gören pendeln.

Provokant und pubertär

Korine selbst sieht die vier Mädels als Aspekte einer Persönlichkeit, die langsam auseinander bricht, bis nur noch pure Anarchie übrig bleibt. Diese Entwicklung, dieses Herausschälen aus der gesellschaftlichen Norm und den angelernten Hemmungen, spiegelt sich in der Besetzung von Gomez und Hudgens.

Zwei Kinderstar-Karrieren lang schienen sie zur Gänze aus unschuldigen Rehaugen und kindlichen Schmolllippen zu bestehen. Nun führen sie ihr Disney-Image zur Schlachtbank. Korine macht keinen Hehl daraus, dass er damit provozieren will, die Zuseher zu einer emotionalen Reaktion zwingen möchte. Wie diese ausfällt, ist hingegen nebensächlich (soviel zum Verzicht auf Wertung). Man mag Befremdung, Ekel oder schadenfrohe Befriedigung empfinden, wenn die zwei jungen Schauspielerinnen, die den Inbegriff des braven Mädchens verkörpern, Koks von versifften Kloschüsseln ziehen (metaphorisch gesprochen). Wegsehen ist jedoch keine Option.

Der an Gomez und Hudgens zelebrierte moralische Niedergang macht – neben James Francos herrlich grauslicher Darstellung eines weißen Gangsterrappers und Möchtegern-Zuhälters – den besonderen Reiz des Films aus. Zugleich liegt darin aber auch seine größte Schwäche. Die Gomez/Hudgens-Schiene funktioniert zwar als Identifikationshilfe und Emotions-Pusher, es steht jedoch zu keinem Zeitpunkt außer Frage, dass die Image-Kehrtwende der Mädels bewusst provozieren soll. Die enthemmte Party- und Gewalt-Orgie verkommt dadurch zur pubertären Laune, wird nicht zum emanzipatorischen Akt. Unreife Gören also, keine starken Frauen-Figuren. Nicht, dass es Korine stören würde. Er bekommt seine Reaktionen, nicht nur in emotioneller, sondern auch finanzieller Sicht. Keiner seiner Filme war in den USA jemals so erfolgreich wie „Spring Breakers“.

"Spring Breakers" ist bereits im Kino angelaufen.

Bild(er) © Constantin
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