Dornröscheneffekt am Karlsplatz

1.000 Stunden haben sie an der Einreichung zur architektonischen Neugestaltung gearbeitet – Die Architekten Certov, Winkler&Ruck im Gespräch.

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Das Wien Museum braucht Platz. Die Diskussion um Raumnot gibt es hier schon eine Weile. Es mangelt an Flächen für Sonderausstellungen und an einem adäquaten Museumscafé, heißt es. Eine Zeit lang war ein neues Wien Museum geplant. 2013 fiel dann die Entscheidung am Karlsplatz zu bleiben und das Museum zu erweitern. Heuern im März 2015 wurde ein internationaler, anonymer, zweistufiger Architekturwettbewerb ausgeschrieben. Aus 274 Einreichungen konnte sich das Team Certov (Graz), Winkler & Ruck (Klagenfurt) durchsetzen. 2017 wird mit dem Umbau begonnen, 2019 soll es fertig sein.

Wir haben ihnen ein paar Fragen gestellt – über ihre Ideen und die Architekturszene im Allgemeinen.

Ihr habt euch gegen 273 andere Vorschläge durchgesetzt. Was war das Besondere an eurem Konzept?

Es war wohl einerseits eine Frage der Angemessenheit die Aufgabenstellung betreffend, andererseits die Präzision der Umsetzung. Nachdem im Vorfeld des Wettbewerbs die grundsätzliche Entscheidung gefällt worden war, den Haerdtl-Bau zu belassen, stand für uns außer Frage, diesen Bestand zu respektieren, ja ihn sogar durch unseren Eingriff in seiner städtebaulichen Wertigkeit zu stärken. Wir entwickeln Raum und Konstruktion aus dem Bestand heraus, nehmen Abstand, wo es notwendig erscheint und gleichen Schwächen aus, indem wir Höhe und Gewicht ergänzen, ohne das Bestehende damit zu konterkarieren. Die Entscheidung, in den Zwischenraum von Alt und Neu – gleichsam als leuchtende Fuge – den Wien-Raum zu positionieren, einen Raum, der inhaltlich wohl eine eben solche Vermittlerfunktion ausübt, war vielleicht so etwas wie das Zünglein an der Waage.

Die Aufgabenstellung war ja recht komplex, wie ihr schon sagt, musste der denkmalgeschützte Bau erhalten bleiben, sowie Sichtbezüge zur Karlskirche etc. Was hat euch dennoch gereizt?

Der Dornröscheneffekt: Wie sieht der Kuss aus, der das Hardtl Museum wieder quicklebendig auf den Karlsplatz zurückholt. Wie gewinnt man Stärke nicht auf Kosten der Umgebung, sondern mit ihr – oder im besten Falle: aus ihr. Gelingt das nicht, bleiben beleidigte Teilnehmer am Ort des Geschehens: ein Wien Museum, in die zweite Reihe gerückt, noch weiter aus dem Platz geschoben als bisher, tut sich bestimmt schwer, mit guter Miene die zweite Geige zu spielen. Also war für uns entscheidend, dass das Museum, gestärkt durch neue Aufgaben, aus sich heraus wächst.

Mit welchem Zugang seid ihr an die Sache gegangen?

Wir wollten knapp an der gestellten Frage bleiben: Was sind die Probleme des Museums, was sind die Probleme des Ortes. Wie gelingt es, die Schwächen in Stärken umzukehren: Hier liegt die meiste Effizienz.

Wie lange habt ihr an der Einreichung gearbeitet?

Etwa 1.000 Stunden.

Wie viele Leute waren bei dem Projekt involviert?

Bis zu neun.

Glaubt ihr, dass Ausschreibungen wie diese den Arbeitsmarkt für Architekten gefährden?

An und für sich sind Wettbewerbe absolut notwendig für die Erhaltung sowohl der Qualität der Architektur, als auch für die Aufrechterhaltung der Chancengleichheit, insbesondere für junge Büros. Und sie sind in gewissem Sinne auch ein – von freiwilligem Engagement geleisteter – Beitrag der Architekten zur Förderung der Baukultur. Eine sich aufschaukelnde Unsitte mancher Auslober besteht allerdings darin, in diesem Stadium viel zu detaillierte Informationen abzuverlangen. Der Markt wird nicht durch Wettbewerbe gefährdet, sondern durch das kontinuierlichen Schwinden des Einflussbereiches der Architekten im Bauprozess.

Wie denkt ihr über die aktuelle österreichische Architekturszene?

Die ist unserer Meinung nach sehr in Ordnung, wahrscheinlich hochwertiger als je zuvor, und in einigen Sparten sogar international Vorreiter, beispielsweise im Holzbau. Was uns bremst, sind mehr oder weniger selbst aufgelegte Ketten in Form überbordender Normenhörigkeit. Was uns allerdings beinahe Einhalt gebieten könnte, ist die Rolle, die die Gesellschaft den Architekten in Zukunft geben wird. Zweifellos kann die Architkturarbeit als hierarchisch funktionierendes Konstrukt gesehen werden. Ein Konzepte, Visionen und Ziele entwickelnder Beruf wird – wenn er mit kontrollierenden, überprüfenden, ausführenden Berufen auf eine Ebene gestellt wird – unausführbar. Da geht es schlicht um Reihenfolge: was ist ganz wichtig, was ist wichtig, was ist teilwichtig. Was ist ein Ganzes, was ist Teil, was ist Detail. Was ist zuerst, was ist danach. Was ist ein Plan, was ein Prozess, was ein Ergebnis.

Im Wien Museum am Karlsplatz werden vom 26.11. bis zum 7.2.2016 alle Ergebnisse des Architekturwettbewerbs für das Wien Museum Neu bei freiem Eintritt präsentiert.

Bild(er) © 1,2,4: Entwürfe, © Winkler,Ruck, Certov 3: v.l.n.r. Matti Bunzl, Klaudia Ruck, Roland Winkler, Ferdinand Certov, Andreas Mailath-Pokorny, Benjamin Hossbach, Emanuel Christ © David Bohmann 
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