Bro Homo bringt neo-masc trans enby queere Energie in die Wiener Drag-Szene

Drag ist im Mainstream angekommen. Spätestens seit Staffel 16 der amerikanischen Kultserie »RuPaul’s Drag Race«, unzähligen internationalen Franchise Staffeln – nicht zuletzt dem deutschsprachigen Pendant »Drag Race Germany« – und immer öffentlicheren Protesten rechter Gruppierungen und Parteien gegen Drag-Events lässt sich nur noch schwer von einer »Underground Culture« sprechen. Doch das Kollektiv Bro Homo, mischt die Wiener Drag-Szene auf und bringt frischen Wind rein.

© Josepha Pakesch

Extravagante Outfits, aufwändige Choreografien und waghalsige Kunststücke

Die Wiener Drag Szene floriert: mit mehreren Drag Shows pro Woche und einer Bandbreite an Angebot von Kabarett Dinner, über Clubbing Events bis zu Performances bei Demonstrationen ist für jeden Geschmack etwas dabei.

Der Nachteil des Mainstreams? Bei so mancher Show sehnt man sich als zusehende Person nach etwas mehr Substanz oder einer tieferen Message. Was früher überspitzte Performances waren, um Genderstereotype zu subvertieren und die Performativität von Geschlecht aufzuzeigen, wird heute oft durch reines Entertainment mit extravaganten Outfits, aufwändigen Choreografien und waghalsigen Kunststücken ersetzt. Das ist deshalb nicht weniger Drag, aber die politischen und aktivistischen Wurzeln der Kunstform scheinen mit der Popularität zu schwinden.

Auch in Wien hat sich über die Jahre ein breites Spektrum an Drag-Performances entwickelt. »Es gibt Künstler*innen die rein kommerziell Drag machen und andere, die ehrenamtliche Bildungsarbeit leisten«, erzählt das Kollektiv Bro Homo im Interview. »Es gibt Kinderbuchlesungen aber auch Kabarett mit Boomer Humor. Es gibt Shows in schwulen Clubs bei denen Gender (aber nur das cis männliche) großgeschrieben wird und Frauen nicht erwünscht sind und es gibt die Underground Szene, in der das System auf ganzer Ebene auseinandergenommen wird. Es gibt Queens, die den Begriff ›ACAB‹ nicht kennen oder selbst Fotos mit der Polizei auf der Pride Parade machen und es gibt Kings, die am Antifa Straßenfest performen oder einer Versammlung von TERFs auf einer Gegendemo die Hölle heiß machen.«

Bro Homo (Foto: Chistopher Glanzl)

Bro Homo vereint atemberaubende Shows und Aktivismus

Im Herbst 2022 gegründet besteht das Kollektiv Bro Homo aus in Wien lebenden FLINTA*-Performer*innen. Sie sind politisch engagiert, satirebegeistert und setzen ihre Schwerpunkte auf Awareness und Repräsentation von Identitäten abseits von Cis-Männlichkeit.

Auf die Frage, wovon sie sich abgrenzen wollen, sagen sie: »Von der Idee, dass Drag Performer*innen einem Ideal zu entsprechen haben.« Durch Formate wie »RuPaul’s Drag Race« bekommt Drag immer mehr Aufmerksamkeit von einer breitgefächerten Masse. Laut Bro Homo habe das auf vielen Ebenen etwas Gutes, aber vermittle auch das Gefühl, dass man ein großes Budget und viele materielle Dinge brauche, um Drag zu machen und ernst genommen zu werden. »Drag ist eine Form des Sich-Ausdrücken-Könnens und dabei darf es auch um viel mehr gehen als wer das beeindruckendste Makeup, die am tollsten gestylte Perücke oder das teuerste Kostüm hat«, so das Kollektiv.

Der Name Bro Homo ist ein Wortspiel, das sich über den schwulenfeindlichen Spruch »No Homo« lustig macht, der meist von cis-hetero Männern verwendet wird, wenn sie sich gegenseitig Zuneigung zeigen und Angst haben, diese könnte als mehr als freundschaftlich gesehen werden. Gleichzeitig klingt »Bro« auch wie »pro«, was die Homofeindlichkeit des Spruchs weiter subvertiert.

Es geht um Zugehörigkeit und Zusammenhalt

Ihren ersten Auftritt als Kollektiv haben Bro Homo Anfang Dezember 2022 in einem Hörsaal bei der Besetzung der Uni Wien durch Erde brennt. Ein paar Wochen später veranstalten sie ihre erste eigene Show: »Broly Night: The First Supper«. Der Titel ist eine Parodie des letzten Abendmals, die Show eine Persiflage der katholischen Kirche und ihrer tiefsitzenden Homofeindlichkeit.

Bro Homo (Foto: Josepha Pakesch)

Von einem Priester im Lederharness, der sich im Takt zu Madonnas »Like A Prayer« selbst peitscht zu Jesus, der zu Chester Lockharts »Our God Is an Awesome God« seinen Pelzmantel öffnet und einen riesigen gehäkelten Penis entblößt, ist an diesem Abend an Katholizismus-Satire und Blasphemie alles dabei.

Wie es dazu kam? »Wir konzipieren unsere Shows fast immer um ein Thema. Oft sind das politische Themen oder Themen, die negativ vorbelastet oder schwer verdaulich sind. Darum ist es uns wichtig, sie mit Humor und ein bisschen Leichtigkeit zugänglicher zu machen – denn nicht darüber reden hilft auch nicht«, erklärt das Kollektiv. Rund um ihre Performances wollen Bro Homo einen Raum für Austausch und Vernetzung kreieren. Es gehe ihnen um Zugehörigkeit und Zusammenhalt und darum, diesen zu stärken: »Es ist – und das wissen wir alle aus eigener Erfahrung – schwierig, sich als junge queere Person einzufügen, zu behaupten oder gesund zu bleiben in einem System, das nicht auf unserer Seite ist. Geteiltes Leid ist halbes Leid und geteiltes Wissen ist doppeltes Wissen, das wollen wir bewirken«, so Bro Homo.

Abseits von Drag Shows veranstalten Bro Homo deshalb auch Panel Talks zu queer-feministischen Themen, zuletzt im März mit Podiumsgästen wie der Trans-Aktivistin Steffi Stanković, LGBTQIA*-Aktivist*in Faris Cuchi Gezahegn, Denise Van De Cruze, der Leiterin des Queer Community Cafés Villa Vida, Pepper, eine*r der Kläger*innen in der Genderklage und Vertreter*innen des Awareness Kollektivs Awa*. Bro Homo lenken immer wieder bewusst Aufmerksamkeit auf diskriminierende Strukturen, bieten Informationsmaterial an und holen Organisationen und Aktivist*innen zu ihren Events, die ihr Wissen und ihre Ressourcen mit ihnen und ihren Zuseher*innen, die sie liebevoll »Bromies« nennen, teilen. »Die politische Arbeit so vieler beeindruckender Einzelpersonen, die viel für die queere Szene in Wien leisten haben, ist wahnsinnig inspirierend und wir sind so dankbar für alles, das wir gelernt und mitgenommen haben von den Menschen, die wir durch Bro Homo kennenlernen durften«, meint das Kollektiv.

Bei ihrem Awareness- und Fundraising Event »Tit 4 Tat« im Sommer gelang es Bro Homo genug Geld für die Gesamtfinanzierung einer Mastektomie für eine trans Person auf die Beine zu stellen. Neben Drag und Comedy Shows von über einem Dutzend Gastperformer*innen, die alle TIN (trans, inter oder nicht-binär) sind, gibt es an dem Abend unter anderem Infostände von Peer-Gruppen, Anlaufstellen für psychische und medizinische Unterstützung und lokal produzierte Binder für trans-maskuline Personen.

Mit ihren atemberaubenden und gut konzipierten Shows, Humor und einer klaren Aktivismus-Botschaft mischen Bro Homo die Wiener Drag-Szene auf. Im Gegensatz zum zunehmenden Mainstream-Fokus auf Entertainment setzen sie auf politische und aktivistische Wurzeln. Ihre Performances, angefangen bei Parodien der Kirche und Kritik toxischer Männlichkeit bis hin zu erfolgreichen Awareness- und Fundraising-Events, zeigen nicht nur die Vielseitigkeit von Drag, sondern schaffen auch einen Raum für wichtige Diskussionen. Damit beweist das Kollektiv, dass Drag mehr ist als glamouröse Shows – es ist eine Form des Selbstausdrucks, des Engagements und der Solidarität. In einer Welt, die oft nicht auf der Seite junger queerer Menschen steht, zeigen Bro Homo und ihre Performances eindrucksvoll, wie Veränderung durch kollektives Engagement und geteiltes Wissen möglich ist.

Auf der nächsten Seite: Die Mitglieder des Kollektivs.

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