Ars Electronica 2017: Drohnendämmerung

Wenn in der Klimakatastrophe die Welt untergeht, wird trotzdem alles gut? Was machen dann die Maschinen? Kunst etwa? Und wie gehen wir mit unseren schwächsten Mitmenschen um? Vor einer Woche begann die Ars Electronica 2017.

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© Zoran Sergievski

Der Brustkorb drückt sich zusammen. Die Hände gehen an die Ohren, pressen sanft gegen das Dröhnen, das hier unten, in den Katakomben, alles durchdringt, die Wände, den Boden, die Decke, die Haut, die Lungen, den Schädel. Wie im Bauch eines sinkenden Schiffs, dessen Motoren nebenan noch auf Hochtouren laufen. Die Luft steht, sie zirkuliert nicht mehr, und tost doch, anstatt kaum vernehmlich zu rauschen. Unwillkürlich geht der Atem schneller. Im Dunkeln der Rampe glimmt nur eine lange Reihe Kupferringe, Techno-Götzen gleich auf Stelen erhoben.

ÆTER von Christian Skjødt. © Studio Christian Skjødt

Nur raus hier, raus aus dem ÆTER, den der Däne Christian Skjødt hier im Keller der Linzer POSTCITY, einem ehemaligen Paketverteilungszentrum, verdichtet hat. Er jagt die elektromagnetischen Wellen aus der Umgebung durch die Kupferringe. Sie sind mit Boxen verbunden, die das sich ständig ändernde elektromagnetische Feld als niederfrequentes Gesause wiedergeben. Ums Eck, es dröhnt noch, einen kahlen, kalten Gang entlang, ums nächste Eck, eine halbtote Lampe weist auf einen kleinen Raum, wo eine Hand in einem grünen Gel steckt. Die stärkste Lichtquelle in diesem Kämmerchen hier ist die Maschine, in der die Hand aufbewahrt wird. Eine dreidimensional ausgedruckte Hand. Die Zellen, die nun braun-gelb und tot am 3D-Kunststoffgerüst picken, stammen von lebenden, erwachsenen Spendern, erklärt Amy Karle, die Künstlerin. Damit die ganze Hand zuwächst, bräuchte es zwei Jahre.

„Als ich ein Kind war, nahm mich meine Großmutter zu katholischen Schreinen mit“, erzählt Karle, die in San Francisco lebt. Die US-Amerikanerin fragte sich immer, warum man Teile einer so angebeteten, toten Person abtrennt und öffentlich ausstellt. Die Hand bezieht sich auch auf den Schöpfer, künstlerisch wie religiös. „Für mich hat das mit dem Geheimnis des Lebens zu tun“, sagt sie, aber auch mit körperlich beeinträchtigten Kindern, denen sie Arm- und Handprothesen im 3D-Drucker anfertigt.

Regenerative Reliquary von Amy Karle. © Martin Hieslmair

Amy Karle selbst wurde mit einem lebensbedrohlichen Defekt geboren, ihr fehlten große Hautflächen. Keine experimentelle OP sollte funktionieren, ehe sie ins Teenageralter kam. Technologie, das ist für sie eine Chance, diese Beeinträchtigungen zu überwinden, den Körper aufzumotzen, zu augmentieren. Der Krebstod der Mutter, die an Pulmonaler Hypertonie leidende Freundin – ihnen hätte sie gerne geholfen, würde sie gerne helfen. „Wie großartig wäre das, wenn ich ihr Knochenmark ausdrucken oder gar neue Lungen züchten könnte?“

Die Technik ist noch weit entfernt davon, aber die Genetik gehe schon in diese Richtung.

Balance

Zwei, drei Stockwerke weiter oben, wo ein überraschend eisiger Wind durch die weiten, hohen Hallen pfeift, sitzt Shwetal Shah. Sie zeigt sich besorgt: „Jetzt sagt die Genetik, sie kümmere sich darum, all diese Krankheiten loszuwerden. Aber vielleicht werden sie eines Tages auch alle Menschen ausgrenzen, die nicht hineinpassen.“

Shah spinnt nicht. Und sie predigt auch nicht in Lumpen von einer Bierkiste herab. Die, die nicht hineinpassen, die zu langsam sind – das sind für Shah vor allem lernschwache Kinder.

Die junge Inderin ist eine Aktivistin im Bereich individualisierte Bildung und lebt in England. Dort arbeitet sie mit der Mozilla Foundation zusammen, der Stiftung hinter Firefox. Jetzt ist sie hier in Linz, wo sie genau wie Amy Karle am Future Innovators Summit bei der Ars Electronica 2017 über das Leben von morgen debattiert. Shah arbeitet im Bereich Gamification, also der Anwendung von Spielelementen auf nicht-spielerische Sphären. Ihr Schwerpunkt liegt in computergestützter Bildung. Sie sieht große Chancen darin, setzt aber nicht allein aufs Digitale.

„Es braucht eine Balance zwischen analogen und digitalen Medien“, meint sie. Beide Welten können Kindern Fähigkeiten vermitteln, die exklusiv, nicht auf die andere übertragbar sind. Genau so müsste sich weltweit die Schulen an den gesellschaftlichen Wandel anpassen. Ihre Fließband-Orientierung von 1917 passe nicht ins Jahr 2017. Es wäre auch falsch, Kinder und Jugendliche mit Technik allein zu lassen, etwa mit Sozialen Medien. „Es weckt den Irrglauben, dass es allein auf x Likes und Kommentare ankommt. Und wenn ich dieses und jenes Game nicht schnell genug gewinne, muss ja was falsch mit mir sein.“ Trotzdem sei es wichtig, junge Leute mit digitalen Medien zu konfrontieren. Sie werden wohl nimmer verschwinden. „Das ist heute kein Luxus mehr“, befindet Shah.

Ein Luxus ist auch sauberes Wasser immer mehr: Wir schauen ins Jahr 2047.

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