Dummy

Du machst dich high zwischen diesen Schenkeln und lässt dich von der Scheiße heilen. Niemand vertont so einzigartig die Balance zwischen Freiheit und Abhängigkeit. Ein unheimlich perfektes Debüt.

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Glaub es einfach. Da ist kein schlechter Song drauf, kein einziger, nicht ansatzweise. Ja, die haucht ja dauernd, klingt schwierig und ist gerade überall. Aber sie ist von einem anderen Planeten, tanzt wie eine Marionette an ihren Fäden und bringt dir Liebe in all ihren strahlendsten und finstersten Momenten.

Früher hatte man das viele Stöhnen, Seufzen, Kieksen und Schnauben einmal Melisma genannt. Das ist wie Schreien nach innen. Hier muss das so sein, weil einfach zu viel Soul in den Worten steckt. Nicht immer, denn manchmal singt die jamaikanisch-englisch-spanische Britin wie eine Heilige, dann wieder mit all dem Nachhall der Kirche des Körpers. Zwei Jahre nach Frank Ocean, Autre Ne Veut oder Kelela muss man das hoffentlich nicht mehr rundum erklären. Alt R’n’B wäre das Schlagwort. Wir flicken uns ein Nest aus Gefühlen, Likes und Dating Apps, machen uns ein bisschen krank und füttern damit gleichzeitig die Seele. Und draußen tobt der echte Krieg, in der Ukraine, in Ferguson, im Irak. Wie soll man sich da nicht wie in der besten aller Zeiten, in der schlimmsten aller Zeiten fühlen? Noch nie waren so viele Menschen auf der Welt Teil der Mittelklasse und konnten sich statt ums Fressen um ihr Glück scheren. Und du machst dich high wie ein Motherfucker zwischen diesen Schenkeln und lässt dich von all der Scheiße heilen. Das letzte, das sind fast genau ihre Worte. Bei ihr ist der Körper die Droge und natürlich geht das nie nur gut oder nur schlecht aus.

Trip Hop ist damit auch irgendwie wieder da. Die Unruhe wurde damals oft auf die Jahrtausendwende geschoben, die Pre-Millenium-Tension, nicht wissend, was hinter der nächsten großen Schranke kommt. FKA Twigs ist auch finster, betörend und ertrinkt in schweren Rauchschwaden. Aber während damals noch alles transatlantisch groovte und der Bass rollte, holpert heute der Rhythmus, synthetische Sounds klackern, die Stimmen sind digital verfremdet und in schizoide Schichten gelegt. Die Bilder dazu wurden am Rechner gebürstet und poliert. Das macht man heute so, und sie macht es eben besonders gut.

Denn so einzigartig wie FKA Twigs hat noch niemand die Balance zwischen Freiheit und Abhängigkeit vertont, von den Umständen, von den anderen und den eigenen Neigungen. Sie schlafwandelt über diesen schmalen Grat. Verletzlichkeit ist der stärkste Zustand, sagt sie in einem Interview. »LP1« ist ein Album, mit dem man verlässt, betrogen wird, sich abklopft, wächst und später einmal genau an diesen Moment, in diesem Jahr, in diesem Sommer denkt. War sie das aus dem Video, war sie das aus dem Video? Du lügst, du lügst, du lügst. Da stockt das Tempo kurz vor dem Refrain, weil die Welt gerade zusammenbricht. »LP1« ist voll von solchen Momenten, voller schwarzer Magie. Es ist mehr als nur ein Album des Jahres.

»LP1« von FKA Twigs ist bereits via Young Turks erschienen.

Bild(er) © Dominic Sheldon
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