In seiner Modekolumne »Einteiler« bespricht unser Kunst-, Design- und Moderedakteur Gabriel Roland unter dem Motto »die österreichische Modeszene Stück für Stück« jeweils ein Textil aus einer Kollektion. Dieses Mal: der Badeanzug No. 9 von Veronica Dreyer
Die Nummer Neun ist ganz einfach: eine Form übereinander geschichteter Trapeze von einem Band tailliert. Am Rücken greift ein tropfenförmiger Ausschnitt den Schwung eines weiblichen Körpers auf. Die Fläche von lachsrosa Stoff ziert nur eine Schnalle hinten und ein Ring vorne. Überdies gibt es Öffnungen für den Hals, die Arme und Beine – Nummer Neun ist nämlich ein Badeanzug.
Genauer genommen ist »No.9« der neunte Badeanzug des Wiener Swimwear Labels Veronica Dreyer. Veronica Dreyer wiederum ist der Name der weiblichen Hauptrolle in Jean-Luc Godards Film »Le petit soldat«. Und Godard lässt den ihr gegenüberstehenden männlichen Hauptcharakter die bemerkenswerte These äußern, dass das Kino die eigentliche Wahrheit sei – und zwar 24-mal in der Sekunde. Demnach kann jede unserer Vorstellungen wahr werden, sooft sie sich auch verwandeln mag.
Was für eine Bedeutung ein derartiger Gedanke für die Mode und das Anziehen hat, ist offensichtlich. Man stelle sich vor, wie man sich fühlt, wenn man das Tauchermesser an der Hüfte baumelnd den gleißend blauen Wogen der Südsee entsteigt, woraufhin man die Augen öffnet und sich im verträumten Palmenschatten neben dem Swimming Pool einer Villa an der Côte d’Azur befindet. Abermals öffnet man die Augen, löst den Kastlschlüssel vom Ring des Badeanzugs und macht sich auf den Weg zum in die Abendsonne getauchten Kabinenblock des Gänsehäufels. Die Konstante all dieser Fiktionen ist der Badeanzug.
Eine Möglichkeit, ein solches Vorstellungsfeld zu öffnen, ist das Finden einer zeitlosen Form. Seit die Künstlerin Rosa Rendl ihrer vom Verlangen nach dem Badesee getriebenen Freundin, der Fotografin und Creative Directorin Anaïs Horn, einen im elterlichen Keller schlummernden Badeanzug (No.1) aus ihrer Hetzendorfer Abschlusskollektion geborgt hat, arbeiten die beiden unter dem Namen Veronica Dreyer an konsequent durchnummerierter Badebekleidung, die sich dem hastigen Wechsel der Geschmäcker eben nicht aussetzen will, sich dabei aber trotz beinahe strenger Reduktion der Fantasie nicht widersetzt.
Gabriel Roland hat Textildesign in England und Österreich sowie Archäologie in Wien studiert und twittert hier.
Näheres zu den Produkten von Veronica Dreyer lässt sich unter www.veronicadreyer.com finden.