Einteiler: Zwischen Tür und Mantel

In seiner Modekolumne »Einteiler« bespricht Gabriel Roland unter dem Motto »die österreichische Modeszene Stück für Stück« jeweils ein Teil aus einer Kollektion. Dieses Mal: ein kimonoartiger Hausmantel von Kalissi.

© Fabian Gasperl

Was zieht Grace Kelly an, wenn sie dem Foodora-Fahrer die Türe aufmacht? Die Dienstboten sind weg – auf Urlaub oder streiken –, und so ist es die Fürstin selbst, die sich vom Sofa bequemen muss. Der getreue Lieferant hat sich mit der gehetzten Selbstverständlichkeit des unechten Selbstständigen durch das Gewusel aus Fackeln und Mistgabeln gestohlen. Oder waren es Smartphone-Blitze und Selfiesticks? Jetzt steht er an der Schwelle des Palais Princier und fragt sich, was Gracie, die Stilikone, beim Entgegennehmen ihrer Poké Bowl wohl tragen wird.

Eine Türschwelle ist die symbolische Grenze zwischen dem Draußen und dem Drinnen. (In Verbindung mit einem Türblatt ist sie auch eine tatsächliche Barriere, das tut hier aber nichts zur Sache.) In Gesellschaften, die das Häuslich-Private klar vom Öffentlichen trennen, gilt daher eines: Tritt man über die Schwelle, so zieht man Straßenkleidung an, in der man von anderen, möglicherweise unbekannten Menschen, gesehen werden kann und soll. Ist man diesseits der Schwelle, wo man höchstens den Vertrauten des eigenen Haushalts begegnet, so steht es einem frei, das Straßengewand gegen Hausgewand zu tauschen.

Neue Formalität

Die Grenzen zwischen dem, was als in der Öffentlichkeit akzeptabel gilt, und dem, was nur in der Intimität des eigenen Heims angemessen ist, verschieben sich natürlich laufend. Momentan erleben wir eine umfassende Casualisierung der Bekleidungsnormen. Das Formelle ist in so gut wie allen Bereichen der Gepflogenheiten am Rückzug. In der Mode tritt an seine Stelle eine immense Ausdifferenzierung des inzwischen kaum mehr überblickbaren Sportswear-Activewear-Loungewear-Komplexes, der längst vom privaten und halböffentlichen Bereich ausgehend die Straße und auch das Büro erobert hat.

Gleichzeitig empfangen wohl nur die wenigsten Vorgesetzten ihr engstes Team als Zeichen ihrer Verbundenheit beim Ankleiden oder im Bad. Und während Roubiliacs Händel-Statue als candid im Sofaoutfit durchgeht, ist athletische Nacktheit dann doch weniger casual als der Tristrip-Anzug. Die Demarkation dessen, was angemessen ist – ganz zu schweigen von dem, was cool sein könnte –, bleibt ein mäandernder Fluss. Mode ist unser aller Versuch, in der sandigen Au herumstapfend seinen Lauf zu vermessen und dabei auszusehen, als gingen wir nur mal eben kurz spazieren.

Eine weitere Aufweichung der symbolischen Bedeutung der Türschwelle kam mit Corona. Das Zuhausebleiben in Kombination mit dem durch Social Media und Videokonferenzen gesteigerten Blick in das Intime des Wohnorts brachte eine biedermeierliche Lust am entspannt-repräsentativen Heimoutfit. Der kimonoartige Hausmantel von Kalissi ist ein hervorragendes und hochattraktives Beispiel für eine Art Kleidungsstück, die spezialisiert ist auf ein diffuses Aufgabengebiet irgendwo zwischen Serienmarathon, dekorativem Sonntagsfrühstücks-Instapost, Paketannahme, allgemeiner Selfcare, Rauchen am Altbaubalkon und Supermarktbesuch in Schlapfen. Grace Kelly hätte der baumwollfrische Mantel jedenfalls gefallen – dem monegassischen Fahrradboten sicher auch.

Den Hausmantel »Frederika« gibt es ebenso wie den dazugehörigen Bucket Hat und einen Pyjama im gleichen Stoff (»Cecilia«) auf kalissi.com zu kaufen.

roland@thegap.at @wasichgsehnhab

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