Alle Jahre wieder macht die World Press Photo Ausstellung Halt in Wien. Preisgekrönte Fotos, die berühren, verwundern und schockieren. Angesichts der momentanen Flüchtlingssituation und der unzähligen Bilder, die uns täglich erreichen, stellt sich jedoch die Frage: Welche Bilder darf man zeigen?
Türkei, 2015. Ein Strand im türkischen Urlaubsort Bodrum. Ein kleiner Junge liegt am Boden und sein toter Körper wird immer wieder von Wellen überspült. Sein Name war Aylan Kurdi und er war drei Jahre alt. Ertrunken auf der Flucht von Syrien nach Europa. Sein Schicksal hält der Weltpolitik gerade den Spiegel vor und ist das Symbolbild der aktuellen Flüchtlingskrise, aber auch der Debatte darüber, ob man solche Bilder zeigen darf oder muss.
Braucht die Gesellschaft mittlerweile wirklich Bilder von toten Kindern, weil sie Fotos von überfüllten Flüchtlingslagern emotional schon so abgestumpft haben? Und muss man als Fotograf letztendlich wirklich Kinderleichen fotografieren, weil die Gesellschaft nicht im Stande ist Mitgefühl zu zeigen, wenn Millionen von Menschen Bomben um die Ohren fliegen?
Die richtige Entscheidung
Der Wiener Fotojournalist Manfred Klimek meint "ja". Er ist sich sicher, dass es die richtige Entscheidung der Fotografin war in diesem Moment abzudrücken und die Geschichte des kleinen Jungen zu teilen. "Wenn man auf Reportage ist und in unmittelbarer Umgebung geschieht etwas, dann sollte man auf jeden Fall abdrücken. Die Aufgabe des Fotografen ist es nun mal zu fotografieren. Und erst nachdem man abgedrückt hat, entscheidet der Fotograf, was er mit den Aufnahmen macht." Man könne den Fotografen nicht vorschreiben nach einem bestimmten Plan zu handeln, so Klimek. "Der Fotograf muss ethisch einfach so bewandert sein, dass er genau weiß, was er tut. Und wenn er das nicht ist, muss er den Beruf wechseln."
Drucken oder nicht?
Im Falle des Fotos des kleinen Aylan scheiden sich die Geister. Das machte vor allem die Entscheidung der einzelnen Medien deutlich, die das Bild entweder veröffentlicht haben oder nicht. Im Gegensatz zu vergangenen diskutablen Bildern konnte man dieses Mal keine eindeutige Linie zwischen Boulevard- und Qualitätsmedien ziehen. "Le Monde", "Daily Mail", "The Guardian" hatten es. Die "Bild" widmete dem Foto die ganze letzte Seite und das "Profil" entschied sich dafür Aylan auf der Titelseite zu platzieren. Der Shitstorm war vorprogrammiert. "Das Cover hättet ihr euch sparen können", "Ein unmögliches, pietätloses Titelbild", "Ich finde das eine Schande. So etwas ist pervers, wie die Idioten solche Schockbilder zu verbreiten und glauben es wird dadurch besser" – so die Reaktionen nur einiger Facebook-User auf das Cover. Sofort nach Erscheinen langten erste Leser-Beschwerden beim Presserat ein. Manfred Klimek (er selbst leitete von 1998 bis 2003 die Fotoredaktion des "Profil", aber auch diverse Fotoredaktionen in Deutschland und schulte Bildredakteure im Medienausbildungszentrum Zürich/Luzern) dazu: "Es ist eine widerliche Bigotterie, wenn man dem "Profil" vorwirft, dieses Kind abgedruckt zu haben. Es handelt sich um keine manipulierte Aufnahme, also kann man dieses Foto ruhig abdrucken. Ich finde es ekelerregend die eigene Betroffenheit in den Mittelpunkt zu rücken und diese sogar über das Leid des Kindes zu stellen. Das ist das Widerlichste, das ich seit langem gesehen habe."
Grauflächen
Dieser Meinung dürfte auch die als Kampagnenfan bekannte „Bild“-Zeitung sein. Hat sie sich schließlich nicht lange bitten lassen und als Reaktion auf die Kritik erschien sowohl die Print- als auch die Online-Ausgabe der Zeitung für einen Tag komplett ohne redaktionelle Bilder. Stattdessen wurden Grauflächen abgedruckt. Man wollte damit zeigen, wie wichtig Fotos im Journalismus sind, so die offizielle Begründung "Man darf alles zeigen, wenn es der Fotochef, der Chefredakteur und der Herausgeber für richtig halten," fordert Manfred Klimek.
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