In seiner Modekolumne »Einteiler« bespricht Gabriel Roland unter dem Motto »die österreichische Modeszene Stück für Stück« jeweils ein Teil aus einer Kollektion. Dieses Mal: ein zeitgenössischer Take eines koreanischen Trachtenmantels.
»Bro do you wanna be seen or not« – diese Frage stellt das Internet in einem inzwischen ikonischen Bild dem darauf abgebildeten Mann. Er trägt eine neongelbe Jacke mit Reflektorstreifen – an sich kein außergewöhnlicher An- blick in einem Zeitalter, das ständische Kleidervorschriften gegen Health-and-Safety-Regeln eingetauscht hat. Dazu hat der Mann eine Cargohose in Camouflagemuster angezogen. Auch das ist keine allzu aufsehenerregende Wahl, die uns von der postmodernen Freiheit und Beliebigkeit gleichermaßen bereitwillig wie gleichgültig zugestanden wird. Es ist natürlich die Kombination der beiden Kleidungsstücke, die zu der belustigten Frage führt, ob der Mann denn nun gesehen werden wolle oder nicht. Schnippisch gibt man vor, nicht erkennen zu können, auf welche Funktionalitäten seines Gewandes und damit einhergehende Identitätskonstrukte er denn nun abziele. In weiterer Folge wendet sich die Frage sokratisch gegen die Betrachtenden und weist sie auf unser bisweilen erratisches Bekleidungsverhalten hin.
Neon-Tracht
Mit diesem Bild aus dem Internet hat der hier abgebildete Mantel zuvorderst einmal nichts als die Neonfarbe gemeinsam, eine der jüngeren Entwicklungen in der Welt der Farben, die wir in erster Linie mit Workwear und in Autositztaschen gestopften Warnwesten verbinden. Der Schnitt hingegen ist Anleihe aus einer Zeit, in der weder lustige Bilder aus dem Internet noch Neonfarben oder Autos ein Thema gewesen wären: Er entstammt der Welt des Hanbok, der historischen Tracht der koreanischen Halbinsel. Genauer gesagt handelt es sich um eine Version der Jeogori genannten Jacke, die in verschiedenen Ausführungen über mehrere Jahrhunderte wichtiger Teil der Oberbekleidung von sowohl Frauen als auch Männern war. Im Unterschied zu Internet, Autos und Neon waren Arbeit und Arbeitskleidung sicher auch schon im alten Korea Themen. Wie es die Entwicklung einer Tracht von einer durch die Umstände vorgegebenen Alltagskleidung zu einem ethnischen Symbol und schließlich zu einem historischen Versatzstück aber nun einmal will, sind an einem gewissen Punkt anstatt der einst überwiegenden Kleidung für körperliche Arbeit nur mehr Festtagstrachten und Varianten der Oberschicht übrig.
Das Entweder-oder umgehen
An dieser Stelle schreitet Hansol Kim, der Designer des Mantels, ein: nicht rekonstruktiv, indem er versucht, historische Formen koreanischer Arbeitskleidung auszuforschen und als Gegenprogramm zum bestehenden nationalen Kostüm wiederzubeleben, sondern innovativ. Er verknüpft die Charakteristika des Jeogori – die einfache geometrische Konstruktion und den asymmetrischen Verschluss – mit Material, das zeitgenössischer kaum sein könnte, zu einer über die einzelnen Teile hinausdeutenden Synthese. Die identitätspolitische Aufladung von Trachten und Uniformen (womit wir wieder bei der Camouflage wären) ist evident. Bei Arbeitsgewand neigen wir hingegen dazu, funktionalistisch zu denken und symbolische Ebenen oder Identifikationsmuster auszublenden. Hansol Kims Kittel erinnert uns daran, dass das kurzsichtig ist. Und er beweist, dass der spannendere Weg oft derjenige ist, der das Entweder-oder ignoriert und umgeht. Gesehen werden oder versteckt bleiben, grell oder einfach, zurück oder nach vorne, Funktion oder Identität – wer den Kittel trägt, muss sich nicht entscheiden.
Wer Hansol Kims Arbeit, aktuell etwa eine Kollaboration mit der Weberin Marie Kopiske, verfolgen will, kann das auf Instagram unter @hansoriktm tun. Für das Kieler Label No Talent hat er einen auf Hanbok aufbauenden Mantel entworfen, der über www.no-talent-shop.org erhältlich ist.