»Es gibt schon jetzt einen unglaublichen Anpassungsdruck«

In Ruth Maders Science-Fiction-Film „Life Guidance“ zweifelt die Hauptfigur am System. Wir sprachen mit der Regisseurin und Drehbuchautorin über Dystopien und Technologiekritik, Selbstoptimierung und Abstiegsangst.

„Um wie viel ist Ihnen Freiheit wichtiger als Transparenz in der Gemeinschaft?“ Alexander Dworsky (Fritz Karl) zögert nicht lange und antwortet dem Mitarbeiter der Agentur Life Guidance, dass man diese Werte nicht gegeneinander aufheben solle. Er, tätig im Finanzsektor, verheiratet, ein Kind, ein stilvolles Haus – von außen hat er das perfekte Mittelschichtsleben und zählt somit zur Mehrheit der gut gelaunten Leistungsträger in Ruth Maders Film, der in der nahen Zukunft spielt. Doch Alexander hat auch: Zweifel. Ein vermeintlich falscher Satz zu seinem Sohn ist Anlass genug, dass eines Tages die titelgebende Agentur Life Guidance vor seiner Haustüre steht und um Einlass bittet; besteht doch deren Aufgabe in der Optimierung der Menschen. The Gap traf die Regisseurin und Drehbuchautorin, die in Wien ihr Studium bei Michael Haneke absolvierte, zum Gespräch.

Regisseurin Ruth Mader

Wie würden Sie jemanden, der den Film und die darin vorkommende Agentur Life Guidance nicht kennt, das Leben der Menschen und ihre Einstellungen in ein paar Stichworten beschreiben?

Der Film spielt in der nahen Zukunft, in einer Welt des perfektionierten Kapitalismus, in der die Menschen optimiert werden sollen. Der Film spielt in der hellen Mittelschichtswelt, in der Alexander Zweifel am System hat. Dann taucht die Agentur Life Guidance auf, die eben die Optimierung der Menschen vorantreibt. Sie drängt immer mehr in sein Leben ein und raubt ihm seine Freiheiten.

Das Genre der Dystopie scheint derzeit wieder im Trend zu sein, wenn man etwa an den Erfolg von Produktionen wie „Black Mirror“ oder die „The Handmaid’s Tale“ denkt. Warum interessieren uns derzeit Dystopien besonders?

Ich kann mir vorstellen, dass die Leute mit der Gesellschaft unzufrieden sind, dass es ein gewisses Unbehagen gibt. Das war auch unsere Motivation. Aber man kann dieses Unbehagen nicht genau fassen. Da ist Science-Fiction ein sehr gutes Genre um diese Eindrücke fassbar zu machen, da man gesellschaftliche Zustände gut abbilden kann.

Sie haben zwei Jahre mit Martin Leidenfrost an dem Film geschrieben. Wie gestaltete sich Ihr Schreibprozess und welche Herausforderungen gab es bei diesem Projekt?

Ich glaube, die größte Herausforderung bestand anfangs darin, zu kanalisieren, was uns genau an der Gesellschaft stört. Das hat uns die meiste Zeit und Mühen gekostet. Dann gab es eben die Idee mit der Agentur Life Guidance und davon ausgehend haben wir geplottet. Wir arbeiten auch immer zusammen, sitzen in einem Raum. Ungefähr die Hälfte der Zeit haben wir jeweils daran gearbeitet, da wir beide auch noch an anderen Projekten gearbeitet haben.

Sie haben sich dazu entschlossen, verschiedene Generationen einer Familie in Ihrem Film und deren Umgang mit den im Film propagierten Dogmen in den Fokus zu rücken. Warum?

Mir ging es um den unterschiedlichen Umgang der Generationen: Der Vater ist ein alter Rebell und mag das System nicht, der Sohn hat das System verinnerlicht und ist geradezu begeistert davon. Alexander steht zwischen diesen beiden Positionen und beginnt eben am System zu zweifeln.

Der Film ist mitunter sehr von den verschiedenen Orten und Gebäuden geprägt, die zu sehen sind, wie etwa die Szenen, in der die Agentur Life Guidance ihr Büro hat. Wie haben Sie diese Drehorte gefunden und was war Ihnen besonders wichtig bei der Auswahl?

Das war sehr, sehr schwierig, da es nicht so viele moderne Architektur in Wien gibt. Das Büro der Agentur Life Guidance haben wir dann aus fünf verschiedenen Motiven zusammengestellt wie etwa der WU, dem ORF und dem Viertel Zwei. Die Orte passen alle sehr gut zusammen.

© KGP

Eine Szene wurde in Afrika gedreht. Wie verlief der Dreh?

Wir haben zwei Tage dort gedreht und das hat eine Service Produktion organisiert. Es war gut zu bewältigen, der Ablauf des Drehs und die Einhaltung der Drehgenehmigungen laufen dort genau so ab wie bei uns. Im Vorfeld recherchiert man ja im Internet und sieht Fotos, etwa auch von den Teilen des Dorfs, wie die Loggia aussieht und so weiter und dann arbeitet man eben vor Ort zusammen.

Es wird im Film nicht genau angegeben, in welchem Jahr er spielt. War es für Sie schwer, die Balance zu halten zwischen den Gegebenheiten, die es bereits in unsere Gesellschaft und auch im Film gibt, und denen, die nur im Film Einzug gehalten haben? Und war es für Sie von Bedeutung, dass die Leute sich denken: „Das gibt es schon bzw. das noch nicht.“?

Die Idee war, einen Science-Fiction-Film zu schreiben, bei dem sich das Publikum im Laufe des Betrachtens denkt: Das könnte ja schon jetzt sein. Da haben wir dann schon die Balance finden müssen und das ist eben ein Teil des Schreibprozesses.

In einem Interview haben Sie erklärt, dass im Film keine Technologien zu sehen sind, da Sie wollten, dass er auch in einigen Jahren Aktualität besitzt. Dennoch sind Technologien und deren Auswirkungen auf unser alltägliches Leben gerade im Hinblick auf Themen wie Freiheit und Transparenz sehr von Bedeutung. Welche technischen Errungenschaften der letzten Jahren finden Sie befremdlich und warum?

Die sozialen Netzwerke, also dass Menschen freiwillig ihre intimsten Dinge einspeisen und für alle sichtbar machen, sich selbst zum gläsernen Bürger machen. Das Interessante daran ist ja, dass es freiwillig passiert, es ist ja nicht etwa von außen ein Diktat der Regierung oder so. Das ist unsere Kritik und das setzen wir im Film auch voraus, das muss man nicht extra zeigen.

© KGP

Interessant fand ich auch die Darstellung des Klassensystems im Film, da in gesellschaftlichen Debatten das Thema ‚Klasse’ eher ausgespart wird. In einigen Szenen wird die Hauptfigur mit den sogenannten Minimumbeziehern, die außerhalb der restlichen Gesellschaft leben, in Bezug gesetzt. Ist es – denken Sie – die Angst vor gesellschaftlichem Abstieg, die die Figuren im Film oder allgemein Menschen in unserer Gesellschaft dazu veranlasst, gesellschaftlichen und ökonomischen Anforderungen gerecht zu werden?

Das war überhaupt eine der Beweggründe für uns, diesen Film zu machen: Die Beobachtung, dass es eine Separation der Klassen gibt, dass die Mittelschicht absteigt und es viel mehr Leute gibt, die nicht mehr am Erwerbsleben teilhaben können, da sie zum Beispiel nicht mehr arbeitsfähig sind oder keine Arbeit finden. Sie beziehen dann Mindestsicherung, in unserem Film gibt es ja die Minimumbezieher. Solche Viertel, wie sie auch im Film gezeigt werden, gibt es ja jetzt schon. Den Abstieg der Mittelschicht sieht man ja auch an den Banken, wie die Leute gekleidet sind, welche Zähne sie haben und so weiter. Man sieht, dass sich alles verschlechtert hat. Es gibt allgemein eine Angst vor dem Abstieg, daher gibt es auch diese Anpassung.

Und im Anschluss daran: Worin sehen Sie die ebenso im Film präsente Selbstoptimierung begründet?

Ich glaube, dass es einfach schon so in unseren Köpfen verankert ist, dass man etwa den optimalen Körper haben möchte, das optimale Haus oder das optimale Kind. Letzteres merkt man ja bereits beim Thema Fortpflanzung, also bei der Reproduktionsmedizin, wo Menschen schon vorab versuchen, bestimmte Krankheiten genetisch auszuschließen oder Kinder abgetrieben werden, wenn eine Behinderung während der Schwangerschaft festgestellt wird. Bei allem, was nicht in eine Norm passt, gibt es schon jetzt einen unglaublichen Anpassungsdruck.

Welchen Stellenwert haben wohl Kultur und Kreativität in „Life Guidance“?

Eigentlich den gleichen Stellenwert wie heute, Alexander liest ja sehr viele Bücher. Es wird sicher auch in Zukunft Menschen geben, die Bücher lesen und ins Theater gehen.

Ich hatte ja eher das Gefühl, dass Kultur für die Menschen im Film keinen allzu großen Wert hat.

Es kommt sicher darauf an, für wen. Auf die Minimumbezieher mag das schon zutreffen, aber für die restlichen ProtagonistInnen nicht, das sieht man ebenso an Alexanders Zuhause.

Der Film ermöglicht den ProtagonistInnen am Ende keine Katharsis. Warum? Als Appell?

Genau, als Appell. Alexanders Druck ist so hoch. Er will gar nicht seinen Lebensstandard aufgeben, so dass er wieder zu seiner Frau und in sein gewohntes Leben zurückkehrt. Es gibt für ihn keinen anderen Ausweg – außer er würde die Schicht wechseln. Es gibt, finde ich, ebenso für die Menschen keinen anderen Ausweg. Ich halt es für ziemlich realistisch, denke aber trotzdem, dass so ein Ende die Menschen am besten aufrütteln kann.

„Life Guidance“ feiert heute Österreich-Premiere und ist ab 12. Jänner 2018 in den österreichischen Kinos zu sehen. Wir verlosen 2×2 Tickets für die heutige Vorstellung im Gartenbaukino. 

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