»Ich mag es, wenn wer am Abgrund steht« – Evi Romen über ihr Regiedebüt »Hochwald«

Im Film »Hochwald« kämpft ein junger Mann aus der Südtiroler Provinz mit dem Leben, dem Tod des besten Freundes und seinem Umfeld. Regisseurin Evi Romen mag es, Grenzen auszuloten und die Räume zwischen den Konventionen zu erforschen.

© Ingo Pertramer

Mit dem Regiedebüt gleich einen Film­wett­bewerb zu gewinnen, ist eine besondere Leistung. Evi Romen aber lächelt, wenn man sie fragt, wie sich das anfühlt. Die knallrot lackierten Fingernägel umspielen entspannt ihre Teetasse. In ihren braunen Augen, umrahmt von dem ebenfalls braunen, hochgesteckten Haar, blitzt es. »Das war ein bisschen das Hadern. Zeige ich den Film jetzt in Berlin oder Zürich? Gott sei Dank habe ich Zürich gemacht«, erklärt sie, gefolgt von einem kernigen Lachen. Evi Romen lacht viel, man fühlt sich in ihrer Gegenwart sofort wohl. Ganz anders als bei ihrem unangepassten Protagonisten Mario (Thomas Prenn), dessen tragische Geschichte ihr Anfang Oktober beim 16. Zürich Film Festival das Goldene Auge für den besten Film im Fokus Wettbewerb einge­bracht hat.

Dabei ist Evi Romen streng genommen kein Filmneuling, sie arbeitet bereits seit 30 Jahren erfolgreich als Cutterin. Die Leidenschaft für die bewegten Bilder entdeckte die Südtirolerin, die in einem kleinen Dorf nahe Bozen aufwuchs, schon in jungen Jahren bei einem Foto­workshop in Salzburg. Ihre Momentaufnahmen entpuppten sich immer mehr als zusammenhängende Story. »Irgendwann kam der Fotografie­professor zu mir und sagte, dass das, was ich mache, filmische Montage sei.« Bald darauf heuerte Romen in einem Programm­kino an, um sich ihr Taschengeld aufzubessern – »da war’s dann um mich geschehen«.

Der Weg führte die ambitionierte Filme­macherin an die Film­akademie in Wien, wo sie sich zunächst für Kamera interessierte. Dort, so Romen, sei ihr dann der Schnitt dazwischen­gekommen. »Obwohl«, unterbricht sie sicht selbst, »das kann ich so nicht sagen, weil es an sich der schönste Beruf beim Film ist.« Dass Romen nun erstmals selbst Platz im Regiesessel nahm, liegt daran, dass der sonst gut beschäftigten Cutterin ein Projekt ausfiel. Nun konnte sie jene Geschichten schreiben, die sie auf der Leinwand sehen wollte.

»Sch­öne, junge Frauen werden immer von alten Männern inszeniert. Ich wollte den Spieß umdrehen.« — Evi Romen über »Hochwald« (Foto: Amour Fou / Flo Rainer)

Der Kampf mit sich selbst

»Ich mag es, wenn wer am Abgrund steht und man nicht weiß, fällt er oder fällt er nicht.« In »Hochwald« ist es Mario, dessen Leben allmählich aus den Fugen gerät, als sein Jugend­freund und Schwarm Lenz (Noah Saavedra) bei einem Anschlag auf eine Gay-Bar stirbt. Mario, der mit ihm vor Ort war, ist nun nicht nur vom Überlebensschuld-Syndrom geplagt, sondern auch von den eisigen Anfeindungen seiner kleinen Südtiroler Gemeinde. Denn Lenz hätte mehr Perspektiven gehabt im Leben. Warum hat gerade Mario überlebt? Und überhaupt: Warum kann er nicht wie ein normaler Mensch trauern?

Mit seiner exzentrischen, sensiblen Art eckte Mario in dem konservativ-katholischen Dorf schon immer an. Der ambitionierte Tänzer wollte ursprünglich, genau wie sein nun verstorbener Freund, aus der Enge der Provinz ausbrechen und sein Glück in Rom suchen. Doch ungleich Lenz, Sohn einer gut situierten Winzerfamilie, stand das bei Mario vermutlich schon vorab nie in den Karten. »Es ist ein noch oft vorhandenes soziales Gefälle«, erklärt Romen die fein in den Film eingewobene Sozialkritik. »Mit all den Stipendien heutzutage könnte man meinen, dass man aus fast jedem Milieu entfliehen kann. So ist es aber nicht. Wo du hinein­geboren wirst – das gibt dir deine Zukunfts­chancen mit.«

Romen drückt diese Sonder­stellung Marios in seinem Dorf durch passionierte Tanzszenen aus. Schon in der ersten Einstellung, in rotes Licht getaucht, mit der Kamera immer nah am Körper, dreht Mario seine Runden im Gemeindesaal. Optisch wie frisch aus »Saturday Night Fever«, variiert sein Stil zwischen John Travolta und Patrick Swayze, während aus den Lautsprechern Disco dröhnt. Ein perfekter, idyllischer Moment.

Es sei ihr nicht darum gegangen, zu zeigen, ob Mario ein guter oder schlechter Tänzer ist, so Romen. Ins Zentrum rückt die Verwandlung. Die Möglichkeit der Figur, in andere Rollen zu schlüpfen. Gerade dieses Fluide in der Sexualität ihrer Figuren war Romen sehr wichtig: »Das ist nicht mehr unsere Zeit, zu sagen, ›der ist schwul, der ist hetero, der ist dies, der ist jenes‹. Wenn ich junge Leute beobachte, habe ich immer das Gefühl, ›who cares?‹.«

Dieses Rütteln an den starren Konventionen ist für Romen auch Mitgrund, warum sie als »alte Frau«, wie sie sich selbst bezeichnet, nun einen Film über junge Männer gemacht hat. »Schöne, junge Frauen werden immer von alten Männern inszeniert.« Sie habe den Spieß umdrehen wollen. Die Inspiration für ihre Figuren? Das eigene Familienumfeld.

Versucht die Enge der Provinz hinter sich zu lassen: Thomas Prenn als Mario in »Hochwald« (Foto: Amour Fou)

Inspiration aus der Heimat

Es seien die eigenen Brüder gewesen, erklärt die Regisseurin mit einem weiteren amüsierten Lachen. »Die bemitleidens­werteren waren immer die männlichen Familienmitglieder, die mehr im Leben gestrugglet haben als die Frauen.« Es sei nicht so, dass weibliche Heraus­forderungen sie nicht berühren würden. Aber Männer finde sie als Beobachterin interessant. »Wie gehen die mit solchen Situationen und solchen Gefühlen um?«

Doch die Inspiration aus der eigenen Familie und das Setting im heimatlichen Südtirol sind nur Mittel zum Zweck. »Die Geschichte an sich ist ja weltweit vorhanden. Das kann man von Island bis Südafrika erzählen.« Vielmehr erlaube ihr das Setting nicht nur, sich im bekannten Terrain zu bewegen, sondern auch den idyllischen Blick auf das Panorama der Landschaft auszusparen. »Ich möchte im Film den Blick haben, den man hat, wenn man tatsächlich dort lebt.«

Dass Südtiroler Geschichten in Zukunft öfter im Kino präsent sein werden, bleibt zu hoffen. Die Szene baut sich langsam auf, es gibt auch eine Filmschule. Aber »es ist leichter wegzugehen und dann zurückzukommen und einen Film vor Ort zu machen«, erklärt Romen. Über die österreichische Filmbranche, in der Romen hauptsächlich arbeitet, lasse sich nur Gutes berichten. »Ich höre oft: ›Wahnsinn, so eine kleine Landschaft, so viele Filme und so viele Festival­erfolge!‹ Ich muss sagen, ich bin ziemlich stolz auf den österreichischen Film.« Als österreichische Produktion mit Südtiroler und italienischer Unterstützung reiht sich »Hochwald« nun ebenfalls in diese Liste von erfolgreichen, ausgezeichneten Werken ein. Nach dem ersten Erfolg in Zürich wurde der Film auch auf der Viennale, in Tallin und in Turin gezeigt.

Im Geiste arbeitet Romen bereits an weiteren Projekten. »Ich habe beschlossen, dass ich erst mal nicht zum Schnitt zurückkehre, um in der Regieenergie zu bleiben, und schreibe bereits an neuen Projekten.« Welche Geschichte möchte sie erzählen? »Es wird wieder ums Heimkommen gehen, es wird wieder um Herkunft gehen, und es wird wieder eine Person am Abgrund sein.«

Update (16. September 2021): »Hochwald«, das Regiedebüt von Evi Romen, startet nach mehreren corona­bedingten Verschiebungen am 17. September endlich in den öster­reichischen Kinos. Der Film wurde in der Zwischenzeit auch bei der Diagonale (als bester Spielfilm) sowie beim Österreichischen Filmpreis (für die beste männliche Hauptrolle, das beste Kostümbild und die beste Musik) ausgezeichnet.

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