In ihrem neuen Dokumentarfilm wirft Katharina Mückstein einen Blick auf feministische Themen und lässt unterschiedliche Expert*innen sowie Aktivist*innen zu Wort kommen. Im Interview spricht die Regisseurin über ihre Definition von Feminismus, Dreharbeiten auf Augenhöhe sowie ihre Hoffnung für eine feministische Zukunft.
In den Spielfilmen »Talea« und »L’Animale« erzählte Katharina Mückstein Geschichten über komplexe Frauenfiguren. In ihrer neuen Dokumentation »Feminism WTF« widmet sich die Regisseurin und Drehbuchautorin nun dokumentarisch dem Feminismus. Sie bat zahlreiche Expert*innen und Aktivist*innen zum Interview und ließ diese erzählen. Von Geschlechtervielfalt und Care-Arbeit bis hin zu europäischem Kolonialismus und rassistischen Stereotypen reichen die Themen; dazwischen gibt es Tanzszenen unterlegt mit Musik von Tony Renaissance. The Gap traf die Regisseurin zum ausführlichen Gespräch.
Wie ist dein feministisches Bewusstsein entstanden und wie lautet deine Definition von Feminismus?
Katharina Mückstein: Mein feministisches Bewusstsein ist in der Pubertät entstanden: Da merkte ich zum ersten Mal, dass ich als Mädchen anders behandelt werde als Jungs. Ich verspürte einen gewissen Rollendruck, denn als Mädchen sollst du dich klein machen, lieb sein und gefallen wollen – das widerstrebte mir sehr. Zudem ist meine Mutter Feministin und ich habe zwei ältere Schwestern, die starke und gebildete Personen sind. Als Teenager war ich in der Punkszene involviert und kam mit Themen sozialer Gerechtigkeit in Berührung, und Feminismus ist Teil davon. Später studierte ich eine Weile Philosophie und Gender Studies. Mir eröffnete sich nicht nur der Zugang zu feministischer Theorie, sondern ich begann mich auch zu fragen, wie mein Verständnis von Geschlecht aussieht.
Als ich auf die Filmakademie kam, war das wie ein Kulturschock, denn die Branche ist patriarchal geordnet und sexistisch. Das hat meinen Feminismus stark befeuert und daraus hat sich meine aktuelle feministische Position entwickelt: Feminismus bedeutet für mich, Machtstrukturen ständig zu analysieren und immer wieder Perspektiven zu suchen, mit denen man sich auf die Seite verletzlicher Personen stellt und auch die eigene Machtposition hinterfragt. Schlussendlich haben mich vor allem Schwarze Feministinnen wie bell hooks und Audre Lorde1 sowie die queer-feministische Community geprägt. Außerdem begann ich die Relevanz einer Community zu verstehen, denn diese ermöglicht es, solidarisch handeln zu lernen und sich selbst zu hinterfragen. Auch das ist Feminismus für mich: eine Offenheit dafür, andere Menschen zu sehen, sich mit ihnen zusammenzuschließen und einander zu stärken.
In »Feminism WTF« sprichst du mit Expert*innen aus der Wissenschaft sowie mit Aktivist*innen. Was war dir bei der Auswahl deiner Gesprächspartner*innen wichtig und welche Inhalte der Gespräche sind dir besonders im Gedächtnis geblieben?
Ich wusste, dass meine eigene Perspektive einer weißen europäischen cis Frau mit gewissen Privilegien eine eingeschränkte ist, daher war mir Folgendes klar: Ich werde keinen Film produzieren können, der alles abbildet, was Feminismus ist. Darüber hinaus war es mir wichtig, das Thema intersektional zu denken und Menschen, deren Leben durch verschiedene Formen von Diskriminierung geprägt ist, zu Wort kommen zu lassen. Allerdings kann Intersektionalität nie zu 100 Prozent erfüllt werden. Ich habe also viele Personen kontaktiert und sie gefragt, was ihrer Ansicht nach im Film enthalten sein muss.
Das ist für mich auch eine feministische Art, Filme zu machen: Ich habe die Mittel und das Handwerk, allerdings bin ich auf die Perspektive anderer angewiesen. Eigentlich haben mich alle Interviewpartner*innen geprägt. Personen wie Nikita Dhawan, Expertin für Postkolonialismus, oder Persson Perry Baumgartinger aus den Trans Studies, haben mich mit meiner Sozialisation und meinem Denken konfrontiert. Ich hatte Glück, dass sie alle Teil meines Films sein wollten, unter anderem, weil sie mein Anliegen teilen: Ich wollte einen Film machen, der Themen der Gender, Trans und Queer sowie Postcolonial Studies sichtbar macht und für ein Mainstream-Publikum aufbereitet. In den Massenmedien gibt es meist polemisierte Debatten über Feminismus und dieser wird oft als Kampf gegen Männer stilisiert. Ich wollte dem einen Film entgegensetzen, der mit Leichtigkeit, Freude und Stolz zeigt, wie großartig Feminismus ist.
Zwischen den Interviewszenen sind Tanzeinlagen zu sehen, unterlegt mit Musik von Tony Renaissance. Warum?
Wenn über feministische Themen gesprochen wird, wird meist auf die Theorie fokussiert und nicht darauf, dass Feminismus eine gewisse Körperlichkeit in sich birgt. Ich kenne viele tolle Leute, die ihren Körper politisch einsetzen, und die habe ich gefragt, ob sie Lust auf das Projekt haben. Auch hier wollte ich auf deren Wünsche eingehen. Ich schlug ihnen Musik vor, wir bauten das Set auf und suchten Kostüme aus. Den gemeinsamen Dreh wollte ich lustvoll gestalten und so sind die Performances entstanden. Denice Bourbon war für das Casting verantwortlich. Es war total schön, sie als Partnerin zu haben, da sie in der queeren Szene sehr gut connected ist. Tony Renaissance stieg später in das Projekt ein und komponierte zu allen Performances eigene Tracks. Das war cool, denn Tonys Musik ist sehr vielschichtig. Die Musik gibt dem Film nun viel Emotionalität und Kraft, das gefällt mir.
Der Film zeichnet sich auch durch seine Optik aus. Immer wieder sind Zitate zu lesen und alle Interviewpartner*innen harmonieren – etwa durch ihre Kleidung – mit dem Szenenbild. Wieso war dir diese optische Gestaltung wichtig?
Mir ist es wichtig, Filme zu drehen, die gut aussehen. Ich hatte also die Idee, den Film in verlassener kapitalistischer Architektur zu drehen. Meine Vorstellung von Feminismus ist immer eine Kritik des Kapitalismus. Mir gefiel daher die Idee, anhand der Location die Überreste von Kapitalismus zu zeigen. Ich bin davon überzeugt, dass wir das kapitalistische Zeitalter irgendwie überwinden müssen, wenn wir eine gute und feministische Zukunft haben möchten. Ich wünsche mir, dass Feminismus auf den Ruinen des Kapitalismus erblühen kann. An unserem Set mochte ich auch, dass ein Haus ein Symbol für Community ist, ein Ort, an dem alle zusammenkommen. Alle Menschen, die an »Feminism WTF« mitgewirkt haben, vereint ein feministisches Grundverständnis und alle kamen dann in dieses Haus, um den Film zu drehen.
Betrachtest du den Film als Aktivismus und wenn ja, was ist dein Ziel mit »Feminism WTF«?
Ich wollte einen Film drehen, den ich selbst gerne sehen würde. Ich wünsche mir, dass der Film Informationsquelle ist und zugleich das Zusammenspiel von verschiedenen Unterdrückungsformen in unserer Gesellschaft aufzeigt. Mir ist es wichtig, dieses Zusammenspiel mitzudenken, denn verschiedene Formen von Diskriminierung gehen Hand in Hand: Zum Beispiel ist die Ausbeutung von Arbeitskraft nicht zu trennen davon, wer Care-Arbeit macht, und Rassismus ist nicht zu trennen von Kapitalismus.
Wir leben in einem Gesellschaftssystem, das darauf aufbaut, dass es privilegierte und weniger privilegierte Menschen geben muss. Wir haben zwar einen starken Diskurs über soziale Gerechtigkeit, zugleich aber auch ein Wirtschaftssystem, das eben nicht gleiche Voraussetzungen für alle schafft. Wenn wir alle gleich wären, dann würde dieses System nicht funktionieren. Ich hoffe, der Film macht schlau, aber auch wütend. So gesehen ist er natürlich Aktivismus. Ich kann mir nicht vorstellen, diesen Themenkomplex in meiner Arbeit fürs Kino zu ignorieren, da er zentral für das Verständnis unserer Welt ist.
Die letzten Jahre sind durch einen antifeministischen Backlash gezeichnet. Warum müssen die Rechte von Frauen und marginalisierten Gruppen immer wieder verhandelt werden? Wieso kommen wir nicht schneller von der Stelle?
Ich denke nicht, dass wir bei diesen Kämpfen immer von vorne anfangen. Das merke ich schon, wenn ich mein Leben mit dem meiner Mutter oder meiner Oma vergleiche. Wir haben uns von Generation zu Generation immer mehr Freiheiten erkämpft. Die Backlashes zeigen, dass emanzipatorische Fortschritte immer erkämpft werden mussten. Wir leben in einer spannenden Zeit: Einerseits gibt es viele progressive Bewegungen, man merkt zum Beispiel, wie sehr ein Thema wie Trans-Rechte im Bewusstsein angekommen ist. Andererseits stellt ein Thema wie Geschlechtervielfalt unsere Gesellschaft dermaßen in Frage, dass natürlich sehr stark zurückgeschlagen wird. Die Kämpfe von marginalisierten Gruppen werden lange ignoriert oder es wird so getan, als seien diese nur Nischenprobleme. Zugleich kommt große Panik auf, wenn diese marginalisierten Gruppen sich etwas erkämpft haben, denn dann muss das wieder unterdrückt werden. Trotzdem werden in den emanzipatorischen Kämpfen ständig neue Menschen mit diesen Ideen angesteckt.
Feminismus gilt in letzten Jahren – zumindest innerhalb gewisser Kreise – wieder als modern, viele Marken geben sich feministisch und Promis äußern sich vermehrt zu Feminismus. Journalistinnen wie Beate Hausbichler (»Der verkaufte Feminismus«) oder Andi Zeisler (»We Were Feminists Once«) haben sich diesem Phänomen gewidmet. Wie beurteilst du diese Entwicklung?
Das sehen wir seit ca. 20 oder 30 Jahren, dass Subkulturen unschädlich gemacht werden, indem sie kommerzialisiert werden. Man erhebt etwas, das eigentlich am Rande der Gesellschaft steht, zur Mode oder man integriert es in eine kapitalistische Logik und macht es dadurch unschädlich. Ich bin zum Beispiel eine Befürworterin von Quoten, aber mir ist auch klar, dass man dadurch nur auf der repräsentativen Ebene etwas ändert. Repräsentation, also die Frage, welcher Körper anwesend ist, spielt zwar eine Rolle, wenn jedem Körper bestimmte Erfahrungen eingeschrieben sind. Gleichzeitig wissen wir aber, dass zum Beispiel nicht jede Frau Feministin ist. Wenn jetzt im Vorstand eines börsennotierten Unternehmens drei Frauen sitzen, heißt das nicht, dass das drei Feministinnen sind.
Man muss das halt so sehen: Es ist okay, dass es so eine Art Enttabuisierung gibt, zugleich muss man sich ansehen, welche Art von »Feminismus«, und damit meine ich nun Feminismus unter Anführungszeichen, da eben in der Gesellschaft als akzeptabel erachtet wird. Man sieht ja zum Beispiel beim Girlboss-Feminismus, dass dieser sich total gut ausgeht mit kapitalistischer Logik, denn er bezieht sich auf privilegierte, weiße, heterosexuelle Frauen. Mein persönlicher Feminismus endet eben nicht bei Repräsentation, sondern er stellt immer die Frage nach den Machtverhältnissen.
Du kritisierst auf deinem Instagram-Profil die österreichische Filmbranche und verschaffst Betroffenen von Sexismus Gehör. Sexismus gibt es bekanntlich überall, jedoch gab es in den letzten Jahren besonders viele Berichte über den Sexismus in der Filmbranche. Hat diese – nicht nur in Österreich – ein besonders großes Problem mit Sexismus, Hierarchien und Machtverhältnissen? Und falls ja, warum?
Ja, und das ist aus verschiedenen Gründen so: Einerseits geht es um viel Geld und Anerkennung. Wo Geld wartet, ist die Männerdominanz meist nicht weit. Die Herstellung eines Films verlangt eine gewisse Hierarchie und es braucht eine große Verantwortung, die eine Person – meist ein Mann – tragen muss. Die Person mit mehr Verantwortung steht dann in gewisser Weise in Hierarchie zu den Menschen, die weniger Verantwortung haben, und diese Art von Arbeitshierarchie wird oft missverstanden als persönliche bzw. zwischenmenschliche Hierarchie. Das führt zu Machtmissbräuchen und Übergriffen. Betroffene können sich schlecht wehren, ohne die eigene Existenz gefährdet zu wissen.
Mit der Digitalisierung und dem Aufkommen von Streaming haben Kinos und die Fernsehbranche eine Krise erfahren, aber ich sehe das als Chance, sich neu zu ordnen. Wir müssen anerkennen, dass die Gesellschaft, für die wir produzieren, eigentlich viel progressiver ist als unsere eigenen Strukturen. Wir befinden uns grundsätzlich hinsichtlich Sexismus und sexueller Gewalt in einer Art Zeitenwende. Sexismus und sexualisierte Gewalt zu thematisieren und zu bekämpfen, war bis vor Kurzem sehr stark tabuisiert. Die #MeToo-Bewegung hat vieles aufgebrochen und es bricht noch immer auf. Das ist noch lange nicht abgeschlossen, doch es gibt keinen Weg zurück.
Dem Filmemachen ist zudem eingeschrieben, dass es immer um das schauende Subjekt hinter der Kamera und um das angeschaute Objekt vor der Kamera geht. In der Filmgeschichte war das schauende Subjekt ein Mann und das angeschaute Objekt eine Frau. Da ist unsere Kulturgeschichte so sexistisch, dass es einen langwierigen Prozess des Verlernens braucht. Die Frage, was eine feministische Filmsprache ist und wie ein feministisches Arbeiten – also Kooperation auf Augenhöhe – aussehen kann, das steht ja nun sehr stark im Raum. Einerseits sehe ich viele FLINTA*-Personen, aber auch Männer, die sich sehr stark damit befassen. Andererseits sehe ich eine Industrie, die ihre Strukturen dahingehend noch nicht ausreichend verändert hat.
#MeToo wurde in den sozialen Netzwerken weitergetragen, das Bewusstsein für Sexismus scheint zumindest größer geworden zu sein und mittlerweile gibt es in der österreichischen Kulturszene Initiativen wie #we_do! oder Vera*. Hinsichtlich Geschlechtergerechtigkeit: Mit welchen Gedanken und Gefühlen blickst du in die Zukunft?
Veränderungen passieren in Wellen und nicht auf einen Schlag. Es ist extrem wichtig, dass es nun diese Anlaufstellen gibt, gleichzeitig brauchen wir aber einen Kulturwandel. Wir müssen aufhören, die alten Strukturen aufrechtzuerhalten und zu rechtfertigen. Es muss Priorität werden, faire und sichere Bedingungen für alle zu haben. Das muss eine kollektive Aufgabe sein. Ich denke, dass Betroffene von Diskriminierungen und Übergriffen nun anfangen, sich zusammenzuschließen, zu sprechen und sich zu wehren. Das wird der Auslöser für Veränderung sein.
In den letzten Monaten hat sich viel verändert: Ich selbst habe gemerkt, dass der Kampf gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt anstrengend ist und viele Risiken mit sich bringt, gleichzeitig gibt es viel Solidarität. Diese Kämpfe und Diskurse zeigen sich in der Filmbranche genauso, wie in der Gesellschaft. Vieles passiert gleichzeitig. Es gibt progressive Menschen, die früher eventuell keine Stimme hatten, die sich nun zusammenschließen und solidarisch sind. Und es gibt Menschen, die wollen, dass alles so bleibt, wie es bisher war. Es ist jedoch in der Gesellschaft nie alles so geblieben, wie es war, also kann man nur optimistisch sein.
»Feminism WTF« von Katharina Mückstein ist am 24. März (18:15 Uhr, KIZ Royal Kino 1) und am 25. März (11 Uhr, Annenhof Kino 6) im Rahmen der Diagonale ’23 in Graz zu sehen. Regulär läuft der Film am 31. März in den heimischen Kinos an.
1 Zuordnungen in Bezug auf Hautfarben sind gesellschaftlich konstruiert. Um diese Konstruktion zu verdeutlichen, wird »Schwarz« in diesem Text großgeschrieben. Die Kleinschreibung von bell hooks begründet sich hingegen in (afro-)feministischen Diskursen der 70er-Jahre. Aus Respekt vor den Wünschen der 2021 verstorbenen Autorin und ihren politischen Forderungen verwenden wir diese Schreibweise.
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