Am achten und letzten Tag des Dokumentarfilmfestivals Ethnocineca waren im Rahmen eines Gastprogramms Filme in Schwarz-Weiß zu sehen, die sich mit Gerechtigkeit und Identitätsfindung beschäftigen. Auch im Programm: jene drei Langfilme, die bei der diesjährigen Award-Verleihung prämiert wurden.
Donnerstag, 19. Mai
Am letzten Tag des Festivals wird neben dem erneuten Screening der preisgekrönten Langfilme ein Gastprogramm von Katarina Hedrén präsentiert. Die in Äthiopien geborene schwedische Filmkritikerin und -kuratorin wurde eingeladen, drei Langfilme auszuwählen, um sie mit drei Kurzfilmen aus dem Programm in Dialog zu setzen.
Am Nachmittag wurde »Fatherland – Zahlvaterschaft« in seiner Österreichpremiere aufgeführt. Der 22-minütige Film von Moritz Siebert und Hanna Keller begleitet den vor dem Roten Rathaus in Berlin in Hungerstreik getretenen Gerson Liebl. Als Enkel eines deutschen Kolonialbeamten aus Togo bemüht sich dieser seit 30 Jahren um die deutsche Staatsbürgerschaft. Da alle bisherigen Versuche seinerseits erfolglos blieben, sieht er den Streik als einzigen Ausweg, um auf die ihm widerfahrene Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen. Begleitet werden die Bilder von Gesetzestexten, politischen Positionierungen und Zeitzeugnissen aus der Kolonialzeit. Mit diesen wird Liebls Geschichte in den Kontext der deutschen Kolonialgeschichte gesetzt und gezeigt, dass deren Einflüsse noch heute deutlich zu spüren sind.
Der Film ist in Schwarz-Weiß gehalten. Im anschließenden Gespräch erklärt der Filmemacher, er habe dieses Stilmittel gewählt, um in Kombination mit den hochauflösenden Bildern eine bildsprachliche Verbindung zwischen den im Film thematisierten verschiedenen Zeiten herzustellen. »Fatherland« bewegt auf eine unaufgeregte Art und Weise und zeigt dem interessierten, aufmerksamen Publikum die Geschichten jener Menschen, deren Lebensrealität der Weißen Mehrheitsgesellschaft (nicht nur) in Deutschland oft verborgen bleibt.
Identität und Herkunft
Der im Anschluss aufgeführte und von Kuratorin Hedrén zu »Fatherland« in Dialog gesetzte Film ist »The Unseen«, ein zwischen Spielfilm und Dokumentation positioniertes Werk von Perivi John Katjavivi. Erzählt wird darin von drei Menschen in Namibia und wie diese versuchen, die unterschiedlichen Hürden des Lebens zu meistern und ihren Weg zu finden. Fragen zu Identität und Herkunft stehen im Zentrum – und dazu, wer wessen Geschichte erzählen darf.
Auch »The Unseen« ist in Schwarz-Weiß gehalten, er scheint einen starken poetischen und künstlerischen Anspruch zu haben. Im anschließenden Gespräch betont Katjavivi, ihm habe die Ästhetik des Schwarz-Weiß-Filmes gefallen, er wolle zudem aber den Fokus weg von ablenkenden äußeren Einflüssen auf die innere Welt lenken und dabei mit den Klischees brechen, die mit afrikanischen Stereotypen einhergehen: bunte und leuchtende Bilder.
Der angestrebte stark künstlerische und poetische Anspruch des Filmemachers wirkt teils etwas gewollt und scheint den Erwartungen der Zusehenden nicht gerecht zu werden: Bereits während der Vorstellung verlassen einige den Saal. Und auch die inhaltliche Grundidee mag zwar spannend sein, in der Umsetzung fällt es dem Film aber schwer, das Publikum mitzunehmen und bei sich zu behalten.
Beeindruckend feinfühlig
Im Kino De France wird am Abend der Gewinnerfilm des Excellence in Visual Anthropology Awards gezeigt: »Perpetual Person – Persona Perpetua« von Javier Bellido Valdivia bildet somit neben dem Abschluss des Abends auch den der Ethnocineca 2022. Der Filmemacher porträtiert darin den Alltag mit seiner an Alzheimer erkrankten Großmutter. Und bereits nach wenigen Minuten wird deutlich: Die lobenden Worte der Juror*innen sind sehr berechtigt. Der Schwarz-Weiß-Film beeindruckt durch seine feinfühlige Erzählweise, die die Nähe und den liebevollen Umgang der Menschen rund um die Protagonistin in einer fesselnden und bewegenden Art und Weise darstellt.
Als roter Faden ziehen sich Rituale wie das gemeinsame Beten und Singen der Familienmitglieder durch die Erzählung. Zwischendurch werden immer wieder Fotos der Großmutter eingeblendet, welche die Erinnerungen an ein ereignisreiches Leben festhalten. Obwohl sich erahnen lässt, dass der Alltag als Angehörige*r einer an Alzheimer erkrankten Person nicht immer einfach ist, strahlt der Film eine starke Ruhe und Liebe aus. Besonders im Gedächtnis bleibt sein Ende, das den Filmemacher in einem sehr intimen Moment im Gespräch mit seiner Großmutter zeigt.
Danach ist es still im Saal. Die Bilder wirken nach. Die Geschichte hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck – auch auf emotionaler Ebene. Der gelungene Abschluss einer ereignisreichen Festivalwoche.
Das Festival Ethnocineca zeigte von 12. bis 19. Mai 2022 internationalen ethnografischen Dokumentarfilm im Votiv Kino sowie im De France.
Dieser Artikel entstand im Rahmen eines Schreibstipendiums, das die Ethnocineca gemeinsam mit The Gap vergeben hat. Weitere Einträge in unser Ethnocineca-Festivaltagebuch findet ihr hier.