Festivaltagebuch Ethnocineca 2022, Tag 8: Persönliches und eine Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte in Schwarz-Weiß

Am achten und letzten Tag des Dokumentar­film­festivals Ethnocineca waren im Rahmen eines Gast­programms Filme in Schwarz-Weiß zu sehen, die sich mit Gerechtigkeit und Identitäts­findung beschäftigen. Auch im Programm: jene drei Langfilme, die bei der dies­jährigen Award-Verleihung prämiert wurden.

© »Fatherland – Zahlvaterschaft« von Moritz Siebert und Hanna Keller

Donnerstag, 19. Mai

Am letzten Tag des Festivals wird neben dem erneuten Screening der preis­gekrönten Langfilme ein Gast­programm von Katarina Hedrén präsentiert. Die in Äthiopien geborene schwedische Film­kritikerin und -kuratorin wurde eingeladen, drei Lang­filme auszuwählen, um sie mit drei Kurz­filmen aus dem Programm in Dialog zu setzen.

Am Nachmittag wurde »Fatherland – Zahlvaterschaft« in seiner Österreich­premiere aufgeführt. Der 22-minütige Film von Moritz Siebert und Hanna Keller begleitet den vor dem Roten Rathaus in Berlin in Hunger­streik getretenen Gerson Liebl. Als Enkel eines deutschen Kolonial­beamten aus Togo bemüht sich dieser seit 30 Jahren um die deutsche Staats­bürger­schaft. Da alle bisherigen Versuche seiner­seits erfolg­los blieben, sieht er den Streik als einzigen Ausweg, um auf die ihm wider­fahrene Ungerech­tigkeit aufmerk­sam zu machen. Begleitet werden die Bilder von Gesetzes­texten, politischen Positio­nierungen und Zeit­zeug­nissen aus der Kolonialzeit. Mit diesen wird Liebls Geschichte in den Kontext der deutschen Kolonial­geschichte gesetzt und gezeigt, dass deren Einflüsse noch heute deutlich zu spüren sind.

Der Film ist in Schwarz-Weiß gehalten. Im anschließenden Gespräch erklärt der Filme­macher, er habe dieses Stil­mittel gewählt, um in Kombination mit den hochauflösenden Bildern eine bild­sprachliche Verbindung zwischen den im Film thematisierten verschiedenen Zeiten herzu­stellen. »Fatherland« bewegt auf eine unauf­geregte Art und Weise und zeigt dem interes­sierten, aufmerk­samen Publikum die Geschichten jener Menschen, deren Lebens­realität der Weißen Mehrheits­gesell­schaft (nicht nur) in Deutsch­land oft ver­borgen bleibt.

Identität und Herkunft

Der im Anschluss aufgeführte und von Kuratorin Hedrén zu »Fatherland« in Dialog gesetzte Film ist »The Unseen«, ein zwischen Spielfilm und Dokumen­tation positio­niertes Werk von Perivi John Katjavivi. Erzählt wird darin von drei Menschen in Namibia und wie diese versuchen, die unter­schiedlichen Hürden des Lebens zu meistern und ihren Weg zu finden. Fragen zu Identität und Herkunft stehen im Zentrum – und dazu, wer wessen Geschichte er­zählen darf.

© »The Unseen« von Perivi John Katjavivi

Auch »The Unseen« ist in Schwarz-Weiß gehalten, er scheint einen starken poetischen und künstle­rischen Anspruch zu haben. Im anschlie­ßenden Gespräch betont Katjavivi, ihm habe die Ästhetik des Schwarz-Weiß-Filmes gefallen, er wolle zudem aber den Fokus weg von ablen­kenden äußeren Einflüssen auf die innere Welt lenken und dabei mit den Klischees brechen, die mit afrika­nischen Stereo­typen einher­gehen: bunte und leuch­tende Bilder.

Filmemacher Perivi John Katjavivi ist online zum Filmgespräch zugeschaltet. (Foto: Deborah Sie)

Der angestrebte stark künstlerische und poetische Anspruch des Filme­machers wirkt teils etwas gewollt und scheint den Erwar­tungen der Zusehenden nicht gerecht zu werden: Bereits während der Vor­stellung verlassen einige den Saal. Und auch die inhalt­liche Grund­idee mag zwar spannend sein, in der Umsetzung fällt es dem Film aber schwer, das Publikum mitzu­nehmen und bei sich zu behalten.

Beeindruckend feinfühlig

Im Kino De France wird am Abend der Gewinner­film des Excellence in Visual Anthropology Awards gezeigt: »Perpetual Person – Persona Perpetua« von Javier Bellido Valdivia bildet somit neben dem Abschluss des Abends auch den der Ethno­cineca 2022. Der Filme­macher porträtiert darin den Alltag mit seiner an Alz­heimer erkrankten Groß­mutter. Und bereits nach wenigen Minuten wird deutlich: Die lobenden Worte der Juror*innen sind sehr berechtigt. Der Schwarz-Weiß-Film beein­druckt durch seine fein­fühlige Erzähl­weise, die die Nähe und den liebe­vollen Umgang der Menschen rund um die Protago­nistin in einer fesselnden und bewe­genden Art und Weise darstellt.

© »Perpetual Person – Persona Perpetua« von Javier Bellido Valdivia

Als roter Faden ziehen sich Rituale wie das gemeinsame Beten und Singen der Familien­mitglieder durch die Erzählung. Zwischen­durch werden immer wieder Fotos der Groß­mutter eingeblendet, welche die Erinnerungen an ein ereignis­reiches Leben festhalten. Obwohl sich erahnen lässt, dass der Alltag als Ange­hörige*r einer an Alz­heimer erkrankten Person nicht immer einfach ist, strahlt der Film eine starke Ruhe und Liebe aus. Besonders im Gedächtnis bleibt sein Ende, das den Filme­macher in einem sehr intimen Moment im Gespräch mit seiner Groß­mutter zeigt.

Danach ist es still im Saal. Die Bilder wirken nach. Die Geschichte hinterlässt einen nach­haltigen Eindruck – auch auf emotio­naler Ebene. Der gelungene Abschluss einer ereignis­reichen Festivalwoche.

Das Festival Ethnocineca zeigte von 12. bis 19. Mai 2022 inter­nationalen ethno­grafischen Dokumentar­film im Votiv Kino sowie im De France.

Dieser Artikel entstand im Rahmen eines Schreibstipendiums, das die Ethnocineca gemeinsam mit The Gap vergeben hat. Weitere Einträge in unser Ethnocineca-Festivaltagebuch findet ihr hier.

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