Flucht in den Nebel

Was gehört verboten? Was bedarf der Kontrolle? Und was bleibt vom großen Freiheitsversprechen des Marlboro Man? – Von der Freiheit der Kunst als letztem Refugium (der Tabakindustrie).

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Ist eine Welt ohne Marken anstrebenswert? Auch nicht wirklich. Und das meine ich nicht nur, weil wir fast alle, ob wir es wollen oder nicht, irgendwie davon leben. Denn der Glaube daran, dass das Gute per se als solches erkannt und das Bessere sich sowieso durchsetzen wird, ist naiv. Gerade gute Ideen brauchen Fürsprache und das Hirnschmalz der Propagandisten. Das Problem bleibt freilich: Die Propaganda macht auch vor Mist nicht Halt und lebt mitunter gerade davon, Bedürfnisse zu behaupten. Machen wir uns nichts vor: Auch davon leben viele von uns. Und die erfolgreichsten von uns haben sich damit arrangiert und selbst zur Marke gemacht.

Dabei verhält es sich mit Marketing wie mit Beton: Es kommt drauf an, was der Mensch draus macht. Was also tun? Dem Bösen das Marketing verbieten? Ein interessantes Gedankenexperiment ist sie allemal, die Welt ohne Marken – und gar nicht so utopisch fern, zumindest als Feldversuch im Kleinen. „Klein“ allerdings bloß im globalen Maßstab betrachtet. Immerhin geht es um die Europäische Union, die gerade dabei ist, den Anbietern von Markenzigaretten in ihrem Hoheitsgebiet den Garaus zu machen. Genau daraufhin läuft es schließlich hinaus, wenn diese nach einem immer weiter gehenden Werbeverbot und obligaten Warnhinweisen, welche die Risiken des Tabakkonsums anführen, wie es derzeit aussieht demnächst auch verbietet, ihre Produkte als eigenständige, wiedererkennbare Marken zu verkaufen. In designbefreiter Reformhausanmutung bleibt nicht viel vom großen Freiheitsversprechen des Marlboro Man. In den Kampagnen der Ad Busters und Culture Jammer ist er ohnehin längst an Lungenkrebs krepiert. Jetzt verurteilt ihn die europäische Gesetzgebung des Todes. Ohne die Insignien der Werbewelt, ohne Corporate Design, Logos und Wortbildmarken werden die Erzeugnisse der Tabakindustrie beliebig, austauschbar, uniform. Kann einem egal sein, klar.

Doch sind tatsächlich alle Zigaretten gleich schlecht? Vermutlich nicht. Das darf man den Tabakkonzernen wahrscheinlich glauben. Dass die geschmuggelte, gefälschte Ware, deren Import durch solche Verbote begünstigt würde, noch gesundheitsschädlicher sind als das unter staatlicher Aufsicht abgegebene Nikotin. Rechtfertigt dieses relative Besser-Sein die Möglichkeit, Zigaretten anzupreisen? Rechtfertig der Schutz des Menschen vor sich selbst gravierende Einschränkungen und Verbote? Sollen wir als nächstes gleich auch Werbung für Bier und Wodka untersagen? Ich meine: eher nicht.

Nicht ganz reizlos ist jedenfalls die gegenwärtige Allianz zwischen Kunsteinrichtungen und Tabakindustrie. Letztgenannte flüchtet sich derzeit nämlich in „Kooperationen“ mit kulturellen Institutionen und Ausbildungsstätten. Die Freiheit der Kunst gewährt einen letzten legalen Unterschlupf für Sponsoring – und damit Werbung. Verlogen? Vielleicht. Aber den einen fehlt das Geld, die anderen wissen nicht, wohin damit. Das klassische Geben und Nehmen.

Vielleicht sollten wir die Sache aber ohnehin radikaler angehen. So viele rauchen und keiner kommt auf die Idee, selbst anzubauen.

Der BAT Kunstpreis wurde am 21. Mai in der Akademie der Bildenden Künste in Wien vergeben.

Thomas Weber ist Herausgeber von The Gap. Magazin für Glamour und Diskurs sowie von Biorama. Magazin für nachhaltigen Lebensstil. Feedback unter @th_weber

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