»Der Nische ihren Platz« – FM4-Chefin Doroteja Gradištanac im Antrittsinterview

Mit der Bestellung des neuen ORF-Generaldirektors Roland Weißmann und dem Wechsel an der Spitze von FM4 ist zuletzt etwas Unruhe aufge­kommen, was die Zukunft des jüngsten unter den öffentlich-rechtlichen Radio­sendern anbelangt. Ist er zu spitz positioniert? Zu alt? Seine Zeit gar abgelaufen? Die neue Sender­chefin Doroteja »Dodo« Gradištanac, auch bekannt unter ihrem Geburts­namen Roščić, über Stärken und Schwächen von FM4, das Mission Statement und die DNA des Senders. Sowie darüber, warum sie sich auch mit 49 zu dessen Ziel­gruppe zählt.

© ORF / Roman Zach-Kiesling

Sie sind seit Jahresbeginn neue Chefin von FM4. Wie haben Sie denn die ersten Wochen im neuen Job angelegt?

Doroteja Gradištanac: Ich bin gleich am Samstag, den 1. Jänner, ins Büro gefahren. Ich hab das total gebraucht, hier – nach dem Neujahrskonzert – symbolisch meinen Karton auszupacken und meinen Gummibaum aufzustellen. (lacht) Seitdem versuche ich, viel hier zu sein und nicht im Homeoffice. Es ist nicht ganz einfach, die Führung eines Senders zu übernehmen, wenn sehr viele im Homeoffice sind, wenn man die Leute teilweise noch gar nicht kennengelernt hat bzw. nur mit Maske oder über den Computer. Aber ich mache das Allerallerbeste daraus und freue mich täglich herzukommen. Ich lege es in der Kommunikation transparent an – mit sehr vielen Kennenlerngesprächen. Damit man weiß, woran man ist, woran ich bin und woran FM4 mit mir ist.

Konnten Sie sich schon ein Bild machen – vom Sender, von den Mitarbeiter*innen?

Ich konnte mir ein Bild machen, bin aber nach wie vor auf der Rundreise, um ehrlich zu sein. Ich kann zum Beispiel nicht behaupten, dass ich schon alle Sitzungsstrukturen einmal durchlaufen habe. Ich versuche gerade, wann immer es geht, an Sitzungen teilzunehmen, und mir einen Eindruck zu verschaffen, welche Entscheidung in welchem Gremium und zu welchem Zeitpunkt gefällt wird. Das sind neue Abläufe für mich, die ich auch erst lerne.

Bereits Monate vor der offiziellen Entscheidung hieß es immer wieder, dass Sie die besten Karten für den Job als FM4-Chefin hätten. Anders als im Management-Hearing konnte sich im Redakions-Hearing (beide sind für den Generaldirektor nicht bindend; Anm. d. Red.) aber ein anderer Bewerber durchsetzen. Wie gehen Sie es an, das Vertrauen der Mitarbeiter*innen zu gewinnen?

Ich verstehe total, dass die Redaktion jemandem die Stimme gibt, mit dem man lange und gut zusammengearbeitet hat, den man respektiert und kennt. Das ist völlig legitim. Was ich mache – und das ist auch das Einzige was man machen kann –, ist in der täglichen Arbeit, am lebenden Objekt zu beweisen, wie ich arbeite, wofür ich stehe, wie ich bin. Ich glaube, man kann einander nur kennenlernen und gegenseitig Vertrauen gewinnen, wenn man alle Themen sachlich und gemeinsam diskutiert. Und das machen wir jeden Tag.

Sehen Sie sich als Teil der Zielgruppe von FM4?

Ja, auf jeden Fall! Obwohl ich 49 bin, wenn Sie darauf anspielen … (lacht) Ich bin genau Zielgruppe oder, wie es so flott heißt, »mitgealterte Zielgruppe«. Es gab ja in Ihrer Publikation diesen sehr spannenden Artikel, in dem sinngemäß herausgearbeitet worden ist, dass FM4 niemals nur ein reiner Jugendsender war, sondern ein Fenster zur Welt und eine Lifestyle-Kultur-Leistung. Genau dieser Meinung bin ich auch. Und ich bin Adressatin dessen gewesen.

Also haben Sie FM4 auch früher regelmäßig gehört?

Ab 1995. Ich bin eigentlich Core-Userin. Bei der Radiokonsumption ist es halt so, dass sie sich je nach Lebensphase anders entwickelt. Aber FM4 hab ich immer auch gehört. Der beste Beweis ist: FM4 war bei mir im Autoradio immer auf der korrekten Taste eingestellt, auf der Vier.

Wie würden Sie FM4 aktuell beschreiben? Wo sehen Sie die Stärken und die Schwächen des Senders?

Die Stärken sind definitiv seine Mitarbeiter*innen, die spannenden Menschen, die hier arbeiten. Ihre Expertise und ihr Know-how in Bereichen wie Klimajournalismus, Gaming, Film. Natürlich die unglaubliche Expertise in Sachen Musik. FM4-Musik gilt ja als eigenes Genre – das muss man erst einmal schaffen als Radiosender. Schwächen wiederum sehe ich nur da, wo die Stärken nicht gut genug in die Auslage gestellt werden. Ich glaube, dass alles vorhanden ist, dass man es nur sehr selbstbewusst nach vorne bringen und in die Auslage stellen muss.

Wie wäre das konkret möglich?

Indem gewisse Rubriken zum Beispiel institutionalisiert an einem bestimmten Tag stattfinden, gewisse Rubriken nicht einmal in der Woche, sondern jeden Tag. Ich glaube, man muss die Auffindbarkeit erhöhen. Da geht es teilweise um die Schlagzahl und teilweise darum, wie ich mich verkaufe. Manchmal muss man besser dazusagen, warum man manche Dinge gemacht oder beauftragt hat.

Ich möchte Ihnen gerne ein Zitat vorlesen, das Sie kennen werden: »In seiner Ausrichtung als Jugendradio verfehlt FM4 sein Mission Statement und ist in der erreichten Zielgruppe zu spitz positioniert.« Es stammt aus dem Bewerbungskonzept des neuen ORF-Generaldirektors Roland Weißmann. Das klingt ein wenig so, als wäre der Sender ein Misserfolg?

Nein, das ist er natürlich nicht. Wenn man ein Fan der Musik und der Inhalte von FM4 ist – und das ist Generaldirektor Roland Weißmann und das bin ich –, dann will man, dass das so viele Menschen wie möglich erreicht.

Es ist natürlich immer die Frage, was in einem Mission Statement festgehalten ist. FM4 ist der Sender für die digitalen, die jungen, wahnsinnig spannenden, umkämpften Zielgruppen: die digitalen Individualisten und die Postmateriellen. Das sind Menschen, die sich abseits des Mainstreams definieren. Daher kann man sie auch logischerweise mit Mainstream-Angeboten nicht erreichen. Das ist in sich schon eine Einschränkung, wenn man so möchte. Und so gesehen ist FM4 natürlich spitzer positioniert als andere Angebote des ORF. Gleichzeitig ist FM4 als Touchpoint für diese Communitys wahnsinnig wichtig. Sich für diese Menschen zuständig zu fühlen und mit ihnen in einen Austausch zu treten, das ist unglaublich wichtig und bereichernd für alle Beteiligten und für unsere Gesellschaft.

Würden Sie sagen, dass das das Mission Statement ist, das Sie mit auf den Weg bekommen haben?

Das würde ich sagen, ja. Darüber hinaus kann man die Dinge, die schon vorhanden sind, auch besser an den Mann und die Frau bringen. Wenn man immer für die sendet, die einen eh schon kennen, und wenn man Dinge nicht neu erklärt, dann wird man keine neuen Menschen erreichen. Also: sich ein bisschen öffnen, ohne den Markenkern zu verlassen, Dinge anders und neu erzählen.

Wo sehen sie eine klare Abgrenzung im Vergleich zu anderen ORF-Angeboten?

Es gibt diesen schönen Vergleich, dass Andreas Gabalier und Conchita Wurst ja beides steirische Männer in ähnlichem Alter sind, woran man erkennt, wie wenig man eigentlich weiß, wenn man nur nach Alter, Geschlecht und Herkunft fragt. Das Universum von FM4 ist definitiv ein die Generationen umfassendes. Es ist ein Universum in sich. Mit Inhalten, die nicht unbedingt mehrheitsfähig sind, es aber werden können. Für diese Gruppen bietet FM4 ein Zuhause, in dem sie sich auch erproben können. Egal, ob das die Musik betrifft, Gender-Themen oder Queer-Themen etc., sie besitzen eine hohe Relevanz für die Gesellschaft, auch wenn sie zu einem Zeitpunkt vielleicht noch nicht mehrheitsfähig sind. Und wir wollen, dass diese Zugänge und Auseinandersetzungen für mehr Menschen relevant werden.

»Wenn wir bei den Inhalten und bei den Personalitys nachschärfen und in unseren Ansagen ganz deutlich werden, dann sehe ich kein Problem darin, jüngere Hörer*innenschichten zu erreichen.« – FM4-Chefin Doroteja Gradištanac (Foto: ORF / Roman Zach-Kiesling)

Würden Sie der Aussage zustimmen, dass man ein junges Publikum gar nicht mehr mit linearem Radio erreichen kann?

Nein, dem würde ich nicht zustimmen. Beim Fernsehen – wenn ich diese Analogie mit meiner Vergangenheit als TV-Entwicklerin und -Producerin ziehen darf – hat es ja auch immer geheißen, die Jungen schauen einfach nicht mehr fern. Aber das ist nachgewiesenerweise nicht wahr. Die Frage ist, was sie fernschauen und wo sie fernschauen. Und ich traue mir zu, diese Analogie insofern zu ziehen, als wir die Jungen und ganz Jungen mit einem FM4 Frequency ja durchaus erreichen. Gleichzeitig konsumieren diese Radio aber anders. Doch wenn wir bei den Inhalten und bei den Personalitys nachschärfen und in unseren Ansagen ganz deutlich werden, unsere Nuggets auffindbar machen, dann sehe ich kein Problem darin, jüngere Hörer*innenschichten zu erreichen.

Der Erfolg von FM4 bei einer jungen Zielgruppe hängt dabei sicher auch von Anpassungen im ORF-Gesetz ab, die etwa auch eigene Online-Formate erlauben würden. Mit welcher Zukunftsperspektive hat man Sie da ausgestattet?

Mit einer großen Portion Hoffnung. Nicht online first und online only arbeiten zu können, ist wirklich eine schmerzhafte Einschränkung, die es nicht erleichtert, sich jungen Zielgruppen anzunähern. Ich kann nur hoffen, dass uns diese Möglichkeit in Bälde endlich gegeben wird.

In diesem Zusammenhang ist auch immer wieder das Stichwort »Soundmodul« im ORF-Player gefallen – was darf man sich darunter konkret vorstellen?

Ich bin ein großer Fan der Player-Pläne, der Entwicklung vom Broadcaster hin zur Plattform. Und das in einem Koordinatensystem, wo unsere Audioangebote als Backbone des ORF eine eigene Bühne bekommen. Es ist eine wunderbare Chance für FM4, seine Inhalte auch in diese Auslage stellen zu dürfen.

FM4 solle auch mit der neuen Social-Media-Strategie des ORF synchronisiert werden, so Generaldirektor Weißmann. Wie sehen Ihre Pläne diesbezüglich aus?

FM4 ist ein Best-Practice-Beispiel unter den Social-Media-Kanälen beim ORF. Gerade bei FM4 zeigt sich schön, wie auf diesen Kanälen Hörer*innen und User*innen erfolgreich in ihrer Lebenswelt erreicht werden können. Zusätzlich zur Radiowelle.

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