Folkin' A!

Es wird gesungen. Zwei aktuelle Folkmusik-Filme führen vor, welche Magie Musik als Grundbaustein einer Story entfalten kann. Besonders den Gebrüdern Coen gelingt dies beeindruckend.

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Hand hoch, wer sich an den berühmten Song des Guilty-Pleasure-Epos »Armageddon« erinnert: Ben Afflecks A-Capella-Version von »Leaving On A Jetplane«. Filmfiguren singen heutzutage selten, umso genauer sollte man daher hinhören, wenn sie es tun. Reichlich Gelegenheit dazu bieten die in Kürze anlaufenden Streifen »Inside Llewyn Davis« und »I Used To Be Darker«. Der erste, der neueste Streich der Coen-Brüder, beginnt mit einem Abgesang. Wir sehen ein Close-up des Titelhelden Llewyn Davis, der, sich selbst auf der Gitarre begleitend, ein Klagelied über Verzweiflung und Ausweglosigkeit anstimmt. Bis auf einige wenige Cuts in sein gebannt lauschendes Publikum bleibt die Kamera auf Davis. Er performt »Hang Me, Oh Hang Me« in voller Länge. Als der letzte Akkord verklungen ist, kündigt er die nächste Nummer an … Ein dreiminütiger Song vermag mitunter mehr zu sagen als ein Roman von 700 Seiten. So formulierte Mike Mills, Bassist der legendären R.E.M., die Binsenweisheit, die der Pop-Ära zugrunde liegt. Gute Songs erklären uns – in einfacher, komprimierter Form – die Welt. Im Film erklären sie die Protagonisten. Eine anspruchsvolle Angelegenheit wird es dann, wenn sich die Musik ausnahmsweise nicht im Hintergrund versteckt, sondern als Handlungselement im Rampenlicht steht.

Stimmungsbarometer und Plottransmitter

Abseits von Musicals und Biopics sind singende Protagonisten in Filmen eine Rarität, gelegentliche Duschkabinen-Serenaden und Radio-Singalongs ausgenommen. Performt eine Hauptfigur jedoch, handelt es sich meist um tief im kulturellen Gedächtnis verankerte oder aus der jüngsten Charts-Historie bekannte Songs. Denn in der Regel kennt das Publikum beides, verbindet damit bestimmte Stimmungen oder Gefühle. In den richtigen Kontext gesetzt, lässt sich mit dem entsprechenden Klassiker oder einem aktuellen Hit ein allgemeines Befinden – oder ein Kontrast dazu – erzeugen. In »Die Hochzeit meines besten Freundes« (1997) gibt die Tafelrunde gemeinsam Aretha Franklins »I Say A Little Prayer For You« zum Besten. Nur der angehende Ehemann und seine BFF enthalten sich, verweigern ein wohlwollend gegröltes »Forever Together« mit dem Rest der Gäste und offenbaren dadurch ihre Gefühle füreinander. In »Spring Breakers« (2012) klimpert ein Drogendealer für seine Girlie-Killer-Brigade Britney Spears’ »Everytime« auf dem Piano. Die Mädchen, in Sturmmasken und Bikinis gekleidet, tanzen im Kreis, eine Hand an der eigenen Waffe, die andere am Gewehrlauf der Nachbarin. Hier wird die Popschnulze zum realitätsfernen Echo einer überzeichneten, entrückten Traumwelt. Musik-Performances im Film können jedoch noch mehr als Figuren zu charakterisieren und ihre Gemütszustände zu offenbaren. Sie können Geschichten erzählen, die die eigentliche Handlung ergänzen, vorantreiben oder vorwegnehmen – wie das berühmte Banjo-Duell im Hillbilly-Thriller »Deliverance« (1972). Zuseher und -hörer müssen dabei die Musik nicht kennen. Besonders eignen sich hierfür Stücke aus dem Folk- und Singer/Songwriter-Bereich wegen ihrer bildlichen Geschichten. Wie etwa »Hang Me, Oh Hang Me«, das die Geschichte eines verarmten, umherstreunenden Musikers erzählt. Womit wir wieder bei »Inside Llewyn Davis« wären.

Musik wie aus dem Tagebuch

Der neue Coen-Film orientiert sich am Leben des 2002 verstorbenen Sängers und Gitarristen Dave van Ronk, ist aber in keinster Weise als Biopic zu verstehen. Der Streifen erzählt vielmehr die universelle Geschichte eines brot- und wohnungslosen Künstlers, der sich mit Couchsurfing und gelegentlichen Studiogigs durchs Leben schlägt. Llewyn Davis (Oscar Isaac) ist ein wenig zu selbstverliebt, um als sympathischer Verlierer durchzugehen. Seine Musik ist die einzig wahre, sein Genie wird permanent verkannt. Wer ihm Obdach spendet, ist zumeist schlecht beraten. Einem Freund (Justin Timberlake) schwängert er die Freundin (Carey Mulligan), einem anderen entführt er versehentlich die Katze.

Bild(er) © Constantin Film, Stadtkino
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