Es wird gesungen. Zwei aktuelle Folkmusik-Filme führen vor, welche Magie Musik als Grundbaustein einer Story entfalten kann. Besonders den Gebrüdern Coen gelingt dies beeindruckend.
Wunderbare Dialoge und herrlich trockener Humor gehören bekanntlich zur Coenschen Grundausstattung.»Inside Llewyn Davis« bildet diesbezüglich keine Ausnahme. Die Erzählstruktur des Films hingegen könnte selbst eingeschworenen Fans des Brüderpaares Probleme bereiten. Der Plot, im New York der frühen 60er angesiedelt, beschränkt sich großteils auf das Herumtingeln der Hauptfigur von Couch zu Couch und Bühne zu Bühne. Die Nebencharaktere (mit Ausnahme der Katze) treten episodenartig auf, anstatt ständig präsent zu sein. Ein durchgehender Handlungsfaden ist nicht erkennbar. »Inside Llewyn Davis« wirkt wie eine Aneinanderreihung von Tagebucheinträgen, nicht wie ein kohärenter Spielfilm.
Doch genau darin liegt der Charme des Films, und in eben dieses Konzept passen die zahlreich von Davis dargebotenen Songs perfekt. Seine Geschichte mag keinem klaren Muster folgen, doch wenn er spielt, rückt er sich selbst in den Mittelpunkt seiner eigenen, kleinen Welt, verleiht ihr Bedeutung und Größe.
Misstöne
Ungleich anders verhält es sich mit einem weiteren aktuellen Film, der – ähnlich wie »Inside Llewyn Davis« – vorab als Schmankerl für Folk- und Singer/Songwriter-Fans gehandelt wurde. Die Rede ist von Matthew Porterfields »I UsedTo Be Darker«, der dieses Jahr im Programm des Sundance Filmfestivals und bei der Viennale zu finden war. Die Independent-Produktion ließ vor allem durch zwei prominente Namen auf der Besetzungsliste aufhorchen: Ned Oldham, Bruder bzw. Teilzeit-Bandmate von Bonnie »Prince« Billy, und Singer/Songwriterin Kim Taylor spielen ein Musiker-Ehepaar, das eine unschöne Trennung durchmacht. Er trinkt Bourbon und zerschmettert seine Gitarre. Sie räumt den Proberaum im ehemals gemeinsamen Haus leer und bandelt mit einem ihrer Band-Kumpanen an. Nebenbei müssen sich die beiden um ihre Tochter und deren schwangere, dem nordirischen Elternheim entflohene Cousine kümmern.
Gitarre und Gesang kommen während des Films in regelmäßigen Abständen zum Einsatz. Songs zum Anzapfen des kollektiven Kulturgedächtnisses und vertonte Charakterstudien sind nicht darunter. Ja, der Trennungsschmerz schwingt in manchen Texten mit, doch die wirken nicht auf das Geschehen, nicht einmal auf die Figuren abgestimmt. Hier fügen sich die Songs in keinster Weise harmonisch ins Gesamtbild. Vielmehr erscheinen sie als bloße Lückenfüller in einem löchrigen Skript.
»I Used to Be Darker« über die volle Distanz zu verfolgen ist nicht die einfachste (oder angenehmste) Übung. Spätestens nach einem Drittel des Films wandern die Gedanken unweigerlich zu einem der berühmtesten Verrisse der Musikgeschichte. Vor knapp 40 Jahren veröffentlichte Bob Dylan »Self Portrait«, eine skurrile Sammlung traditioneller Folk- und gänzlich unbekannter Popsongs. Der Musikjournalist Greil Marcus schrieb eine Rezension über das Album im /Rolling Stone/. Sie begann mit dem legendär gewordenen Satz: »What is this shit?«
Dass die zerebrale Festplatte gerade diese Assoziation ausspuckt, liegt freilich auch daran, dass kürzlich »Another Self Portrait«, die zehnte Ausgabe von Dylans »Bootleg Series«, veröffentlicht wurde. Im Booklet der neuen Platte zieht Greil Marcus ein versöhnliches Resümee von Dylans durchwachsener Phase Anfang der 70er. Selbst Folk-Fans dürfen trotzdem getrost einen Bogen um Dylans Selbstporträts machen. Selbiges gilt auch für »I Used to Be Darker«. Wer gute (Folk)Songs im Kino genießen will, sieht sich stattdessen den neuen Coen an.
»Inside Llewyn Davis« startet am 6. Dezember in den österreichischen Kinos. »I Used to Be Darker« startet am 10. Jänner.