Gender Gap: Ist das Feminismus oder kann das weg?

Mit dieser Ausgabe tritt Imoan Kinshasa die Nachfolge von Astrid Exner in der Kolumne »Gender Gap« an. Sie beschäftigt sich hier ab sofort mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus.

© Roman Strazanec

Bringt man das Thema Feminismus in ein Gespräch ein, folgen meist noch immer Monologe über »Kampflesben«, die Männer hassen, Genderwahn und #notallmen. Und obwohl viele Männer verstehen, dass es für Frauen eine Menge Gründe gibt wütend zu sein: Feminismus ist doch ein wenig zu radikal. Oder? In diesem ersten Text von mir in dieser Kolumne möchte ich mein Verständnis von Feminismus umreißen.

Am meisten scheinen sich Männer davor zu fürchten, von Frauen gehasst zu werden. Eine Projektion, denn Männer hassen anders als Frauen. Sogenannter Männerhass ist nichts, was Männern über­proportional das Leben erschwert. Es gibt keine Serie an Hassmorden an Männern. Sie haben keine Probleme, Jobs zu finden, weil sie Männer sind. Sie werden nicht finanziell benachteiligt aufgrund ihres Geschlechts. Sie müssen sich nachts nicht in Gruppen bewegen, um sich vor Übergriffen von Frauen zu schützen. Jetzt fühlen sich vermutlich einige verpflichtet zu erklären, dass es auch männliche Opfer gibt und warum diese nicht stärker in den Fokus treten. Niemand sagt, dass es keine übergriffigen Frauen gibt. Doch Statistiken sagen, dass selbst die Übergriffe auf Männer größten­teils von Männern verübt werden. Es ist also wahr­scheinlicher, dass ein Mann von seinem männlichen Umfeld miss­braucht wird, als von seiner Partnerin. Bei Frauen sieht die Geschichte anders aus.

Das »Konzept« Mann

Der moderne Mann hat es aber auch schwer. Damals, als Frauen noch nicht wählen und Auto fahren durften, war der Mann noch eine Respektsperson. Er hat das Geld verdient, die Familie ernährt und somit seine Daseins­berechtigung gesichert. Für die Frauen dieser Zeit war es über­lebens­wichtig, sich in eine Hostage-Situation zu begeben: Haus und Kinder hüten, mehr Ambitionen durfte eine Frau nicht haben. Heute sieht es anders aus. Zumindest auf dem Papier gibt es kaum noch Unterschiede. Frauen leben selbst­bestimmt, lassen sich nicht mehr zum Heiraten und Kinder­kriegen zwingen. Alles kann, nichts muss mehr. Daher hat das Patriarchat, anstatt Verantwortung für männliche Privilegien zu übernehmen, den Hashtag #notallmen erfunden. Die Diskrepanz lautet: Während Frauen neue Wege gehen, zur Unab­hängigkeit erzogen werden, werden die meisten Männer weiterhin dazu sozialisiert, der »Herr im Haus« zu sein. Männer werden nicht dazu erzogen, schön, angenehm oder leidlich zu sein. Doch das Haus braucht keinen Herren mehr.

Diese hauslosen Herren hätten gerne die 50er-Jahre zurück, aber ohne die finanziellen Verpflichtungen. Die moderne Frau kann ja wohl Vollzeit Kind und Haushalt schaukeln. Das hat sie sich schließlich die letzten Jahre so erkämpft, diese »Unab­hängigkeit«. In meinem Feminismus geht es nicht (nur) ums Männer­hassen. Es ist viel mehr das Konzept »alter weißer Mann«, mit dem ich und viele andere Menschen nicht einver­standen sind. Denn unter diesem Konzept leiden auch Männer. Vor allem darunter, emotions­lose harte Kerle sein zu müssen. Trägst du Pink, weinst du, lachst du nicht über den Rape-Joke, wirst du als schwul »beschimpft«. Dass man in weiten Teilen der öster­reichischen Gesell­schaft nicht als »Mann« gilt, wenn man nicht hetero­sexuell ist, ist eine eigene Problematik, die hinter­fragt werden sollte – Feminismus macht genau das. Toxische Männ­lich­keit schadet allen Mitgliedern einer Gesellschaft.

Gatekeeper*innen der Weiblichkeit

Viele nicht-weiße Menschen haben ein Problem damit, sich mit Feminismus zu identifizieren. Obwohl es in vielen Bereichen Schwarze (trans) Frauen waren, die den Weg für die Befreiung aller Frauen ebneten. Aber selbst in radikal-feministischen Räumen werden immer noch Frauen ausgeschlossen. Da wären einmal die TERFs (Trans Exclusionary Radical Feminists), die der Meinung sind, trans Frauen seien keine Frauen. Erinnert euch diesbezüglich an J. K. Rowling, die in den letzten Monaten offen darüber twitterte, dass sie eine verbitterte Boomerin ist, die Geschlecht, Gender und Sexualität nicht auseinander­halten kann.

Und es gibt die White-Saviour-Queens, die ihren Feminismus bei Anti-Kopftuch-Diskussionen so richtig ausleben können. Es werden schließlich irgendwo auf dieser Welt Frauen zum Burka­tragen gezwungen, darum zwingen wir Frauen hier dazu, sie abzulegen. Gleich­berechtigung! Denn Frauen sollen bloß nirgends das Gefühl haben, freie Menschen zu sein. Wer sich als feministisch bezeichnet, aber Marginali­sierungen wie Herkunft, Sexualität, Glauben und Klasse nicht mitdenkt, ist Teil des Problems. Die unreflektierte weiße Frau ist da das Pendant zum alten weißen Mann, denn nur ihr Geschlecht trennt sie von der Macht­position. Gerade als weiße Frau kann man schnell vergessen, dass die eigenen Tränen und Emotionen sehr effektiv als Waffe gegen Schwarze Menschen und People of Color eingesetzt werden können, um diese zum Schweigen zu bringen. Auch Frauen mit Behinderungen, besonders die, die sich nicht durch gesprochene Sprache mitteilen können, werden sowieso so gut wie gar nicht in den feminis­tischen Diskurs mitein­bezogen – sofern sie nicht irgendeine »inspirierende« Geschichte zu erzählen haben, damit die Zuhörenden mal wieder so richtig spüren können, wie gut es ihnen doch geht.

Frauen, die Frauen hassen

Feminismus bedeutet nicht, dass man als Frau nicht mehr Hausfrau und Mutter sein kann, ohne seine Werte zu verraten. Es bedeutet vielmehr, dafür zu kämpfen, dass alle Menschen selbst­bestimmt und frei von gesellschaft­lichen Zwängen leben können. Was mich wirklich in Rage bringt, sind Frauen, die ihre eigene Unter­drückung klein­reden, sexuelle Belästigung als »Kompliment« verstehen und nicht zulassen, dass sich andere Frauen davon bedrängt fühlen. Internalisierte Misogynie, also wenn Frauen Frauen hassen, steckt in jeder von uns. Das äußert sich, wenn wir Dinge sagen wie »Ich bin nicht wie andere Frauen« oder Männer verteidigen, die objektiv übergriffig und gewalt­voll sind. Das Patriarchat hat ganze Arbeit geleistet, wenn wir uns darüber streiten, wie man wirklich feministisch heiratet (kotz), ob eine Frau eine Vagina braucht, um eine Frau zu sein, oder ob ein Stück Stoff generell als Unter­drückung anzusehen ist.

Wer sich tiefer mit dem Thema Feminismus beschäftigt, wird merken, dass er umfassend in all unsere Lebens­bereiche eingreift. Es geht darum, Strukturen und Systeme zu hinter­fragen, Menschen aufzu­rütteln und feministische Themen allen nieder­schwellig zugänglich zu machen. Wir sollten zum Beispiel darüber diskutieren, warum es keine kosten­losen Hygiene­produkte auf allen öffent­lichen Toiletten gibt, warum dieses Jahr schon 22 Frauen von ihren Partnern, Ex-Partnern oder anderen Männern ermordet wurden und warum Österreich sich weigert Afghan*innen aufzunehmen.

Alles andere ist kein Feminismus und kann definitiv weg.

Imoan Kinshasa ist per Mail unter kinshasa@thegap.at sowie auf Twitter unter @imoankinshasaa zu erreichen.

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