Gender Gap: »Schaffst du das, Puppal?«

Imoan Kinshasa beschäftigt sich in dieser Kolumne mit den großen und kleinen Fragen zu Feminismus. Diesmal mit falscher Besorgtheit, alten Rollenbildern und der Annahme, Frauen seien Männern körperlich unterlegen.

© Roman Strazanec

Seit meinen Kindertagen haben mich Berufe interessiert, die man klassisch als »Männerberufe« bezeichnet. Als Mädchen wollte ich Polizistin werden, wie mein Onkel. Später wollte ich Automechanikerin werden, weil mich das Schrauben an den Autos meines anderen Onkels faszinierte. Oft war ich mit meinem Opa auf seinen Baustellen, habe Ziegel geschleppt, Rasen gemäht und Bauschutt zusammengekehrt.

Das alles war für mich keine Besonderheit, ich habe mir keine großen Gedanken darüber gemacht. Doch laut Patriarchat verstoße ich damit gegen meine Natur als Frau.

Kürzlich veröffentlichte das Magazin National Geographic einen Artikel darüber, dass es vor 9.000 Jahren wohl keine festgefahrenen Genderrollen wie heute gab: Auch Frauen haben gejagt, während sich Männer um die Kinder kümmerten. Es war notwendig, Frauen über Jahrtausende zu gaslighten, damit das erfolgreichste Konzept des Patriachats, der Kapitalismus, aufgeht: Nur der Mann kann aufgrund seiner angeblichen körperlichen und geistigen Überlegenheit bestimmte Arbeiten erledigen. Frauen können nur putzen, kochen und die Kinder hüten. Diese Hackordnung ermöglichte es Männern, ihre Karrieren zu pflegen, Affären zu haben und die Welt zu ruinieren, ohne lästige Dinge wie Hausarbeit erledigen zu müssen. Und lange hielten wir das für die natürliche Ordnung der Dinge.

Schrödingers Frau?

Als es bei mir dann wirklich ernst wurde und ich mich für einen Beruf entscheiden musste, war sofort klar, dass eine Frau sicher nicht Mechanikerin werden kann – egal wie talentiert und motiviert sie ist. Daher ging es an die Tourismusschule. Wenn auch widerwillig. Bei meinem ersten Pflichtpraktikum arbeitete ich in einer Hotelküche. In einem Team von circa zehn Köchen und Küchenhilfen war ich die einzige Frau. Einer riss einen Witz darüber, dass Frauen in der Küche eigentlich nichts verloren haben, weil sie zu sehr ablenken. Alle grölten vor Lachen. In der Mittagspause verkündet der andere, dass Frauen in die Küche gehören. Wieder Gelächter. Der Einstieg in die Arbeitswelt warf bei mir viele neue Fragen auf. Gibt es Schrödingers Frau, die gleichzeitig außerhalb und in der Küche zu sein hat?

Das Buch »Das Märchen von der Gleichheit: Frauen, Männer und die Zukunft der Arbeit« von Suzanne Franks erklärt mein Erlebnis: Der Beruf des Kochs hat lange Tradition und Prestige. Wenn es also um das kommerzielle Kochen geht, haben sich traditionell Männer in den Vordergrund gedrängt. Geht es um das erledigen einer Notwendigkeit wie das Kochen für die Familie, welches maximal mit einem »Danke!« entlohnt wird, dann sind die Frauen zuständig. Eine Tätigkeit hat also mehr Wert und ist »professioneller«, sobald sie ein Mann für Geld ausführt. Mittlerweile gibt es gezielte Kampagnen wie den Girls’ Day, bei dem Mädchen Betriebe besuchen, um in technische und handwerkliche Berufe reinzuschnuppern. Aber das allein reicht nicht, um diesen Arbeitsmarkt für Frauen zu öffnen.

Weibliche Repräsentation

So gibt es kaum bis keine Teilzeitstellen als Maurer*in, Elektriker*in oder Kranführer*in – also so ziemlich alles, was außerhalb eines Büros stattfindet. Der Schrei nach weiblicher Repräsentation in sogenannten MINT-Berufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) wie Programmiererin oder Chemikerin ist besonders laut. Spätestens seit anderthalb Jahren wissen wir, wie wichtig ein reibungslos laufendes IT-System ist. So haben diese Berufe einiges an Prestige erlangt: #Girlboss.

Die notwendigen, aber dreckigen, gefährlichen und körperlich anstrengenden Jobs auf dem Bau, bei der Müllabfuhr und im Bergbau sind auch noch Männerdomänen. Für sie entscheiden sich noch immer wenige Frauen. Ist ein Beruf aber als Frauenberuf gelesen, dann ist es egal, wie dreckig und hart dieser Job ist. Niemand fragt sich, ob die Oktoberfest-Kellnerin 14 Maß Bier (ca. 30 Kilo) heben kann. Es ist einfach so. Aber wenn dieselbe Frau auf einer Baustelle einen Sack Zement (25 Kilo) schleppen soll, dann ist man sich nicht mehr sicher, ob das klappt.

Ich bin heute Rettungssanitäterin. Bereits vor der Ausbildung wusste ich, was mich erwarten würde. Mir war bewusst, dass ich schwere Menschen umlagern und mehrere Stockwerke rauf- oder runtertragen muss. Trotzdem werde ich jeden Tag daran erinnert, dass ich eine Frau bin und dass das, was ich mache, komisch ist. Besonders die älteren Herren sind erstaunt, dass eine junge Frau ein Einsatzfahrzeug lenken darf. »Schaffst du das, Puppal?«, fragte mich ein »besorgter« Patient, den ich in den zweiten Stock tragen sollte.

Rollenbilder verwerfen

Das sind harmlose Auszüge der Frauenfeindlichkeit und des Sexismus, den ich täglich im Dienst erlebe. Wenn ich Patient*innen auf die Wirkung ihrer Kommentare hinweise, beteuern sie, dass sie sich ja nur Sorgen um mich und meine Bandscheiben machen. Historisch gesehen wurden Frauen schon immer vor diesen sogenannten »dreckigen Jobs« »beschützt«.

Aber wen interessieren eigentlich die wirklich harten Berufe? Niemand fragt Pfleger*innen, Gebäudereiniger*innen oder Kellner*innen, ob sie dieses oder jenes heben können. Niemand scheint bei Planung und Bau von öffentlichen Gebäuden besorgt, wie eine Mutter samt Kinderwagen ohne Aufzug in den zweiten Stock kommt. Kein Hahn kräht danach, welche organisatorische Meisterleistung Alleinerziehende (meist Mütter) tagtäglich hinlegen. Also lasst mich mit eurer falschen Besorgtheit um meinen körperlichen Zustand zufrieden. Es ist an der Zeit, alte Rollenbilder und Annahmen zu verwerfen: Frauen sind Männern nicht körperlich unterlegen. Frauen können sich nicht besser kümmern. Frauen sind nicht zerbrechlich. Stehen wir auf und tun was dagegen. Die Töchter dieses Landes haben Besseres verdient.

Imoan Kinshasa ist per Mail unter kinshasa@thegap.at sowie auf Twitter unter @imoankinshasaa zu erreichen.

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