»Ghost of Tsushima«: Upcycling mit Stil

Das optisch beeindruckende Samurai-Open-World-Spiel macht kaum was neu, aber vieles hervorragend.

Es steckt ein bisschen »Far Cry« in »Ghost of Tsushima«. Da sind eine kräftige Brise »Nioh« und ein gutes Stück »The Witcher«; vielleicht auch ein bisschen »Horizon: Zero Dawn« Aber in erster Linie haben die Leute von Sucker Punch das »Assassin’s Creed« im mittelalterlichen Japan-Setting geliefert, das sich viele schon lange von Ubisoft gewünscht haben. Nichts Neues also, ließe sich mit Recht sagen. »Ghost of Tsushima« bedient sich ausgiebig in den vorhandenen Werkzeugkästen der Games-Industrie. Und trotzdem hat das Spiel das Zeug dazu, dem Open-World-Genre wieder einmal einen gehörigen Schubser in die richtige Richtung zu verpassen.

Gespielt wird der Samurai Jin Sakai, einer der letzten seiner Art auf der Japan vorgelagerten Insel Tsushima. Die Samurai der Region haben sich – ganz ihrem Ehrenkodex und historischen Berichten entsprechend – den mongolischen Invasoren in einer aussichtslosen Schlacht entgegen geworfen und kaum einer hat’s überlebt. Nach einer eher mau inszenierten Anfangssequenz macht sich Jin also auf in die offene Spielwelt, und arbeitet Marker auf einer Karte ab, um stärker zu werden und Verbündete zu finden, die helfen sollen, den gefangenen Herrscher der Insel, Jins Onkel, aus mongolischer Gefangenschaft zu befreien.

Prachtvolle, offene Welt

Ähnlich den letzten beiden »Assassin’s Creed«-Teilen liegt es weitgehend an den Spielenden zu entscheiden, ob Jin dem Weg der Samurai treu bleibt und seinen Feinden brüllend entgegentritt, oder ob er sich durch hohe Gräser und über Dächer schleicht, um aus dem Hinterhalt zu meucheln. Je nach Präferenz können dann Rüstungen und Waffen verbessert und Fertigkeitspunkte vergeben werden. Wer über die letzten Jahre hinweg eine nicht mehr verhandelbare Abneigung gegen diese Art der Open-World-Spiele entwickelt hat, sollte also die Finger von »Ghost of Tsushima« lassen. Wer dem Genre aber wieder einmal eine Chance geben will, ist hier genau richtig.

Seit der ersten Ankündigung war es vor allem auch die beeindruckende Optik des Spiels, die Aufmerksamkeit generiete. Trotz einer klaren Tendenz zum visuellen Realismus stehen hier im Landschafts-Design Farben und Atmosphären im Vordergrund. Gelbe Laubböden in Nebelverhangenen Wäldern, blütenüberzogene Felsgruppen im Sonnenschein und Pampasgräser deren weiße Ähren im herannahenden Gewitter aufleuchten: Die Natur ist nicht nur der visuelle Star des Spiels, sie hat auch Funktion, denn der Wind weist Jin Sakai den Weg und Gräser, Bäume und fliegende Blätter machen ihn sichtbar. Aber auch Vögel verweisen auf relevante Orte und Füchse führen zu verborgenen Schreinen. So wird die Erkundung der riesigen Spielwelt zum ästhetischen Genuss.

Motivierendes Gameplay, ambivalente Story

Wer schleicht und aus dem Schatten mordet wird auf Tsushima vor allem Altbekanntes erleben. Die offenen Konfrontationen hingegen spielen sich unverbrauchter und motivieren dazu, dem Setting entsprechend, auch dem Kampf ein gewisses Maß an Ästhetik aufzudrucken. Grundlage dafür sind die von »Nioh« entliehenen Kampf-Stellungen, die im Verlauf des Spiels freigespielt werden. Jede empfiehlt sich gegen bestimmte Typen von Feinden. Und die dynamischen Wechsel zwischen ihnen können dem Gefecht eine tänzerische Note verleihen, die nur durch mangelnden Skill und gelegentliche Aussetzer der Kameraführung unterbrochen wird.

Die Geschichte, die »Ghost of Tsushima« erzählt ist in ihren Grundzügen platt. In den Details verstecken sich aber gut geschriebene Dialoge, mehrdimensionale Charaktere und viel Respekt vor japanischer Kultur. Ganz ohne Stereotype kommt das Spiel natürlich nicht aus. Und die in Mini-Games verfassten Haikus sind laut Expertenmeinung Schrott. Aber das Japan der Epoche ist nicht nur seelenlose Requisite, sondern es prägt das Spiel und trägt zur Faszination bei.

Während man bei den »Assassin’s Creed«-Machern von Ubisoft damit beschäftigt ist, übergriffige patriarchale Strukturen und Missbrauchsvorwürfe nicht wirklich ernst zu nehmen, macht Sucker Punch also das bessere »Assassin’s Creed« und verzichtet dabei auch noch gänzlich auf Micro-Transaktionen. Gründe genug, dem Spiel eine Chance zu geben.

»Ghost of Tsushima« ist bereits für die PS4 erschienen.

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