Diedrich Diederichsen hat das wichtigste Buch über Pop-Musik geschrieben, das es auf Deutsch gibt. Weil man das sowieso lesen muss, haben wir mit ihm eher über die Gegenwart und Zukunft – nicht nur von Pop-Musik – geredet.
Michael Kirchdorfer: Kann man Pop überhaupt je statisch benennen? Oder ist es ein wandelndes Phänomen?
Ich hab mich da ja aus der Verantwortung gestohlen, indem ich von Pop-Musik rede – und was das ist, versuche ich einzuordnen. Es ist für mich ein historisches Phänomen, es hat seine Zeit. Dass man aber mit dem Populären und mit Pop oder Popularem oder was es da für Begriffsvarianten gibt – dass man sich da in einer eher fluiden Gegenstandslandschaft bewegt, das sehe ich auch so. Bloß, das Problem sehe ich mir in dem Buch nicht an. Ich versuche es links liegen zu lassen, indem ich das Populäre am Anfang diskutiere und zu schauen versuche, welches Verhältnis das Populäre zur Pop-Musik hat. Und dann bleib ich bei der Pop-Musik, nachdem ich das geklärt hab.
Es geht ja nicht nur um Pop an sich, sondern vor allem auch um die Rezeption der Pop-Musik. Und die ist höchst wandelbar.
Für mich aber nicht. Für mich ist als entscheidendes Phänomen wichtig: Rezeption gehört zur Pop-Musik dazu, sie ist Bestandteil der Pop-Musik. Die Pop-Musik ist noch gar nicht zu Ende, ehe die Rezeption eingesetzt hat. Ich würde dir zwar Recht geben – es verändern sich alle möglichen Parameter in der Rezeption – aber die Rolle, die sie spielt für die Vollständigkeit des Pop-Musik-Paradigmas, das ist, was sie genau für die Pop-Musik ausmacht. Es geht darum, dass sie die Verbindung herstellt zwischen dem öffentlichen Draußen und dem intimen Privaten Drinnen – nicht über eine mediale Konstruktion, nicht über einen Sender, nicht über ein Broadcasting, nicht über einen Treffpunkt –, sondern über die Körper der Rezipienten. Die Körper der Rezipienten sind dafür zuständig, zwischen den einzelnen Sendestationen hin und her zu laufen und die Verbindung herzustellen – während es in allen anderen Dispositiven dafür medial technische Installationen gibt, die das leisten. Das ist der entscheidende Punkt.
Stefan Niederwieser: Das klingt so, als könnte das jetzt noch sehr lange so weiterlaufen, diese Vermittlung, die Pop da schafft.
Mit dem Internet hat sich diese Kommunikation verändert, weil die Rolle von Drinnen und Draußen anders geworden ist. Viele Elemente davon bleiben auch affektive Elemente. Aber was nicht bleibt, ist zum Beispiel die ganze Verabredungskultur, die in meinem Buch eine große Rolle spielt. Es gibt Parallelen zwischen den Formen der Verabredungskultur, das Sich-An-Straßenecken-Treffen ohne irgendeinen Grund zu haben. Man hat Hangouts und Straßenecken virtueller Art, die eben genau dieses mit dem Körper durch die Welt gehen nicht mehr brauchen. Das verschaltet jetzt schon das Internet. Nach wie vor gibt es ein Draußen. Und nach wie vor muss mit diesem Problem irgendwie umgegangen werden. Das Problem hat die Netzkultur auch. Aber viele der Dinge, die in der Pop-Musik Menschen zusammenführen, stellt jetzt die elektronische Verbindung her.
Michael Kirchdorfer: Findest du, dass in der digitalen Zeit des Webs, in der alles mit einem Mausklick erreichbar ist, es noch einen Underground in der Pop-Musik gibt? Oder ist Pop einfach alles, was medial ist?
Es gibt sozusagen das soziologische Phänomen von Underground-Devianz, aber auch Kennertum, die gibt es halt noch. Die Frage ist: Beschreibt man Underground und Subkultur als etwas, dem irgendeine massive soziale Realität jenseits von Lebensstilen zukommt? Oder sind es tatsächlich nur Lebensstile, die mehr oder weniger frei gewählt sind, die nicht hart differenziert sind? Es gibt immer Leute, die extrem leben. Oder Leute, die extrem ironisch leben. Und das gebiert natürlich kulturelle Formate und Gestalten, die man schon so nennen kann, die unzugänglich sind. Sie sind nicht medial unzugänglich, aber kulturell ästhetisch unzugänglich. Man findet also die Webseiten, aber sie bleiben unzugänglich für andere. Es gelingt also noch, dass Leute sich absentieren.
Aber sie sind dabei weniger sichtbar. Wenn man Underground war, wurde man dabei beobachtet, auch dann, wenn man gar nicht beobachtet werden wollte, und auch von Leuten, die sich eigentlich nicht für einen interessierten, für die man ein Ärgernis war. Und das war natürlich viel konfrontativer. Das ist anders geworden, ja.