Die Bilder und Vorgehensweisen des vergangenen Wochenendes werfen einige Fragen auf. Statt diese zu behandeln und auszuräumen, verfängt sich die Diskussion immer wieder in gegenseitigen Schuldzuweisungen, obwohl die Verantwortlichkeiten klar und die sinnvollen Handlungsmöglichkeiten gegeben sind. Eine Zusammenfassung samt Ausblick.
Die Bilder und Videos des vergangenen Wochenendes sind mittlerweile bekannt und müssen nicht mehr groß ausgeführt werden. Zusammenfassend: Am Freitag und am Samstag (und auch an und zwischen den Feiertagen davor) nutzten überwiegend junge und sehr junge Menschen die sommerlichen Temperaturen, um angesichts einer relativ niedrigen Covid-Inzidenz nach Monaten des solidarsichen Daheimbleibens mal wieder etwas Druck, Frust und Energie abzulassen – und feierten im öffentlichen Raum.
Die Polizei reagierte unter anderem mit Sperren am Donaukanal, Schildern, Schlagstöcken und Pfefferspray und letztlich einem Platzverbot am Karlsplatz, das einen halben Tag später wieder aufgehoben wurde. Auf der anderen Seite wurden Flaschenwürfe (zu Recht) kritisiert und die großen Mengen an zurückgelassenem Müll zum Thema gemacht. Außer Frage: Wer an öffentlichen Plätzen feiert, kann und soll diese auch ungefähr so zurücklassen, wie sie vorgefunden wurden. Dennoch bleibt die Frage der Verhältnismäßigkeit unbeantwortet im Raum. Und die, ob denn tatsächlich ganz Wien die Polizei hasst, wie auch am vergangenen Wochenende skandiert wurde. Oder ob die Polizei nicht tatsächlich als Projektionsfläche für Nichtbeachtung von Bedürfnissen junger Menschen herhalten muss. Bevor die Phalanx aus Schildern und Helmen aufzog, waren die Assoziationen der Menge immerhin eher schwedische Melodien statt schwedischer Gardinen. ABBA statt ACAB?
Letztlich verfängt man sich jetzt trotzdem in sinnlosen Henne-Ei-Fragerunden, die das Problem nicht wirklich behandeln, sondern eher Raum für Verantwortungs-Pingpong schaffen. Um die schon länger verkrusteten Strukturen der Stadt zu durchleuchten und zu überwinden, braucht es wohl mehr als den vielzitierten gesunden Menschenverstand und ein paar Kommentare in diversen Stadtmedien – ein paar Vorschläge für alternatives Vorgehen von Stadtpolitik und Polizei (Hashtag konstruktiv) können offensichtlich dennoch nicht schaden.
Mehr Freiraum ohne Konsumzwang
Dass die Stadt öffentliche Plätze ohne Konsumzwang immer mehr zu Oasen der Kapitalinteressen umwidmet, wird nicht erst seit gestern kritisiert. Diverse Sell-outs am Donaukanal, die auch während der Pandemie fröhlich fortschritten, gießen Öl ins Feuer. Zugegeben: Manche Konzepte, die zum Beispiel am Donaukanal präsentiert wurden, klingen aufs erste Hinhören cool, hip und umweltbewusst. Meistens werden sie aber schon in der Sekunde der Präsentation zerpflückt – und zwar von denen, die sich auskennen, wie Anrainer*innen, Menschen, die die Verkehrsstrecken am Donaukanal regelmäßig verwenden oder schlicht Gastro-Vertreter*innen, die die Konzepte als nicht funktionierend einordnen.
Mehr Mistkübel, überall
Die Müllinfrastruktur in Wien ist nicht die schlechteste – ganz im Gegenteil. Dennoch gibt es auch hier massive Bottlenecks, beispielsweise bei den bekannten Sammelplätzen im Prater, am Donaukanal sowieso; aber auch auf der Donauinsel sind die Möglichkeiten zum sauberen Verweilen rar gesät. Viele junge Menschen machen sich die Mühe und stellen ihre Hinterlassenschafften zumindest in die Nähe der überfüllten Mistkübel, um der MA 48 die Arbeit zu erleichtern. Beim leisesten Lüftchen ist dieser gute Wille jedoch gleich nicht mehr so viel wert und die zwei, drei Meter in den Donaukanal sind für jede rollende Bierdose leicht zu überwinden.
Vermittlung statt Durchprügeln
Partys machen Lärm – geschenkt! Und obwohl es ein relativ nachvollziehbares Argument ist, dass man in der Innenstadt zu keiner Tages- und Nachtzeit stilles Vogelgezwitscher erwarten könne, ist es niemandem zuzumuten, regelmäßig aufgrund von feiernden und singenden Horden (die Textsicherheit lässt manchmal zu wünschen übrig, handelt es sich mal nicht gerade um die allerbekanntesten Hits) um den Schlaf gebracht zu werden. Und das soll auch trotz der Erfindung von Ohropax noch immer vorkommen. An dieser Stelle wäre anzudenken, sich seitens der Stadtregierung einen Modus zu überlegen, der die Konfliktparteien an einen Tisch bringt, um dort die guten, alten Kompromisse auszuhandeln. Ständiges Agieren zugunsten der Anrainer*innen sorgt logischerweise dafür, dass der Platz ständig weiter schrumpft und sich die Menschenmassen immer weiter auf einzelne Standpunkte konzentrieren.
Leiser macht das erst mal gar nichts. Und wieder: Die Strukturen (Sozialarbeiter*innen, Jugendarbeit-Initiativen) sind grundsätzlich ja gegeben, vielleicht wäre ein Bewohner*innenforum einen Versuch wert? Positiver Nebeneffekt von Sozialarbeit statt Hundertschaft: Die Expert*innen können gleich auch Arbeit im Bereich der Suchtprävention erledigen und direkt mit dem jüngsten Klientel in Verbindung treten. Auch Suchtproblematiken werden schließlich gerne von Standort zu Standort verlagert. Dabei erinnern wir uns auch an die eskalierten Polizeieinsätze am 1. respektive 8. Mai, an das Ende friedlicher Demos im Prater vergangenes Jahr – die Beispiele für eskalierendes Vorgehen sind endlos.
Bestehende Locations supporten und hören
Es wirkt schon fast papagei-esk, wie sich Akteur*innen aus der Clubkultur seit Monaten wiederholen. Es gibt aus der Nachtkultur Konzepte zu sicherem Feiern samt Contact Tracing fast genau so lange, wie es Lockdowns gibt – Erstere wurden allerdings nie wirklich ernst genommen (wie Zweitere, vielleicht mitunter deswegen, letztendlich auch nicht mehr wirklich). Denn auch in Clubs arbeiten Menschen, die wissen, wie man mit jungen Menschen(massen), Konflikten und sozialen Problemen umgeht – zumindest ansatzweise. Diese Leute schauen nun dabei zu, wie teilweise in unmittelbarer Nähe zu ihren potenziellen Safer Spaces ihr Publikum unter Tränengas durch die Nacht gejagt wird. Dabei haben Akteur*innen der Nachtgastro und Clubkultur immer die kommende Deadline für Umsatzersatz-Anträge im Nacken, um nicht die letzten paar Locations aufgeben zu müssen, in denen ein signifikanter Teil von Wiens Jugend (und Tourist*innen) Refugium nach Einbruch der Dunkelheit findet. Es darf nicht vergessen werden, dass längst nicht alles wieder normal ist, nur weil Restaurants und Bars am Graben wieder betretbar sind. Jene, die nun wieder Freiheiten genießen können (die ihnen gegönnt seien), sollten nicht vergessen, dass es auch Menschen gibt, denen diese Freiheiten nach wie vor, wenn nicht sogar dauerhaft fehlen.
Fazit: So schwer warat’s ned – zumindest nicht die anfängliche Initiative zu ergreifen, um einen Stein des urbanen Miteinanders ins Rollen zu bringen. Letztlich bleibt das harmonische Zusammenleben eine Frage von Umgang, Prioritätensetzung und Kommunikation, die allerdings voraussetzt, dass Menschen in Verantwortungs- und Machtpositionen die Arbeit machen, für die sie eingesetzt und bezahlt werden, anstatt sich eine vermeintliche Traumstadt nach Boomer-Vorstellungen zaubern zu wollen. Denn das scheitert – wie vergangenes Wochenende eindrücklich unter Beweis gestellt hat – auf alle Fälle.