Hurra, die Welt geht unter

Das Debütalbum der neuen Vertigo-Cashcow wünscht einen in den Atomschutzbunker. Vorausgesetzt, man hört dort nicht "Alles nix Konkretes" von AnnenMayKantereit. Das ist Musik für unmündige Massen.

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Eine zweistellige Millionenzahl hat »Barfuß am Klavier« – ja, AnnenMayWürgereiz, so die interne Bezeichnung in so mancher Redaktion, haben ihre alten Hits noch einmal verwurstet und aufs Album geklatscht – auf Youtube gesehen. Der Top-Kommentar ist okay lustig: »Ich sitz schon wieder in Unterhose am PC.« Man wird das Gefühl nicht los, dass bei Letzterem mehr und kulturell Relevanteres herauskommt, als wenn sich Henning May an die Tasten setzt und zu schreiben beginnt. Er ist Sänger, Posterboy für Teenager-Träume und manövriert seine Band durch eine Treibjagd. AnnenMayKantereit werden sich einreihen in die Säue, die durch das mediale Dorf des Deutsch-Pop-Kuschelrock getrieben wurden, als Nachfolger von Juli, Rosenstolz, Revolverheld, Tim Bendzko und Andreas Bourani. Beim Hören von »Alles nix Konkretes« vermisst man urplötzlich Philipp Poisel, der der ganzen Chose Fremdscham entziehen würde. Das muss man auch erst mal über eine Band sagen können.

Postpubertäre Schmonzetten

Marketingtechnisch hat das Major-Label wenig falsch gemacht: Wie eben erwähnte Vorgänger ergehen sich AnnenMayKantereit in vordergründig postpubertären Schmonzetten, werden dabei auch von Kassenwarten, Einzelhandelskauffrauen und fiktiven Doku-Soap-Protagonisten wahrgenommen, während sie für unerfahrene Junghörer – die Zielgruppe wird auf 9- bis 12-jährig geschätzt – weiterhin den Status einer »Entdeckung« haben. Ein wahrscheinlicher Sticker für die CD-Hüllen von »Alles nix Konkretes« in Mega-Elektronikmärkten und Drogerien.

Musikalisch werden neben genannten Garanten des schlechten Geschmacks auch immer wieder böse Erinnerungen an Mumford & Sons geweckt, aber selbst diese Stücke, wie etwa »Wohin du gehst«, sind noch Lichtblicke. Wer das Schmalzpoppige an den bekannten Hits – warum auch immer – mag, wird sich aber von den übrigen Songs des Albums betrogen fühlen. Die sind sperriger, überraschend unmelodisch kakophon und laden noch mehr zum Skippen ein. Eine Empfehlung: Wer mutig ist und sich das Album besorgt, sollte es digital oder als CD erwerben, da geht das Skippen nämlich leichter.

Wer AnnenMayKantereit übrigens gut findet, kann sie sich beim Out of the Woods in Wiesen (15.07 – 16.07) oder am Nuke in Graz (02.09 – 03.09.) gönnen. Infos hier.

Bild(er) © © Fabien J. Raclet
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