Mit Hyperreality – Festival for Club Culture erhalten die Wiener Festwochen im ersten Jahr unter der neuen Leitung durch Tomas Zierhofer-Kin ein eigenes Clubkultur-Format. Wir trafen Kuratorin Marlene Engel zum Gespräch.
Fotografin Anna kommt ins Café Drechsler und gibt zu Protokoll, dass sie das bisher veröffentlichte Line-up von Hyperreality, dem neuen Musikformat der Wiener Festwochen noch immer nicht „dapackt“ hat. Alle Namen und die Location – so viel sei verraten: Auch diese wird etwas Besonderes sein – werden erst bei der Pressekonferenz nächste Woche bekannt gegeben, aber schon der erste Schwung von Announcements, lässt die Münder von Fans avantgardistischer, globaler Clubmusik offen stehen. „Die gesamte Soundcloud-Elite“, so fasst Anna das Booking zusammen, das – möchte man eher mit einer Genre-Bezeichnung arbeiten – man mit dem Künstler und Schriftsteller Jace Clayton zumindest teilweise als World Music 2.0 bezeichnen könnte, wird sich Ende Mai in Wien einfinden. Es soll hier aber auch nicht darum gehen, die Acts unter einem einprägsamen Begriff zusammenzufassen, ist bei vielen von ihnen gerade das Arbeiten gegen solche Kategorisierungen Teil der Kunst und nicht zuletzt wichtiges Thema des Festivals selbst, das die Utopie des Clubs als paradigmenfreien Raum für vier Tage verwirklichen will – und im besten Fall natürlich darüber hinaus. Wir sprachen mit der Kuratorin Marlene Engel über Drum-&-Bass-Kellerpartys, Beyoncé und natürlich die Herausforderungen und Chancen, die ein Festival wie Hyperreality bietet.
Was war dein musikalisches Erweckungserlebnis?
Die ersten Events, die ich mit meinem Bruder zusammen in Krems gemacht habe, als ich 17 war, waren Drum-&-Bass-Kellerpartys. 2000 war ich dann erstmals bei Events in Wien, als dort die Minimal-Szene größer geworden ist. Da waren damals auch bei den großen Festivals noch viel undergroudigere Acts, sogar beim Urban Art Forms, was ja heute weit nicht mehr der Fall ist. Die Szene war damals noch ein bisserl anders, auf andere Art spannend als heute, aber auch überschaubarer. Nach einem Praktikum in Berlin bei einem Label bin ich dann in Wien langsam reingeschlittert und habe angefangen mit zwei Freunden selbst Partys zu organisieren.blss
Den Namen Bliss hat es dann erst später gegeben. Am Anfang war die Intention, die Partys über die Inhalte zu promoten, immer über die Musikerinnen, aber keinen Event-Namen zu haben. Wir wollten uns eigentlich keine Marke erschaffen, die man den Acts überstülpt, aber das hat dann mit der Promo nicht so gut funktioniert. Also haben wir diesen Bliss-Namen erfunden und machen unter dem Namen aber auch ganz unterschiedliche Sachen, fahren nicht nur eine Schiene.
Gehen die Leute nicht zuletzt deinetwegen zu Bliss, weil du die Marke bist und die Acts quasi Marlene-approved sind, auch wenn die Genres vielleicht unterschiedlich sind?
Ich weiß nicht. Dass das in einer Community manche so wahrnehmen, vielleicht. Aber ich denke, es geht schon um die Sache, für die Bliss einsteht – queere Themen, Gegenentwürfe, der Vibe der Nacht, wegen dem die Leute auch wieder kommen, auch wenn es dann immer ganz unterschiedliche Musik spielt.
In dem Bliss-Kollektiv sind halt viele Musikerinnen dabei, die schon lange Musik gemacht haben, aber keine Plattform gehabt haben und ich habe mich oft gefragt, warum das so ist. Als wir aufgehört haben, irgendwelche Kompromisse einzugehen und sich verschiedene Szenen begonnen haben zu vermischen, als man auch angefangen hat, sich für Input zu öffnen und die beteiligten Leute einfach machen lässt, funktioniert das jetzt auch breit und gut. Ich will nicht der Kurator sein, der alles beherrscht und keine anderen Blickwinkel zulässt.
Wie du ja schon über Bliss gesagt hast: Da gibt es nicht die große Brand. Bei den Festwochen, die ja unglaublich etabliert sind, schon. Wie ist das jetzt, wenn man unter so einer Marke etwas veranstaltet, was sich Marken ja eigentlich eher entzieht und wie schafft man es, das authentisch zu machen?
Das muss man die ganze Zeit mitbearbeiten, weil es eine große Gefahr ist, dass Subkulturen durch so etwas institutionalisiert werden. Auf der anderen Seite geht es auch viel um Umwertung, also zu sagen: Das ist vielleicht die neue Hochkultur, das ist die spannendste zeitgenössische Musik, das ist die Avantgarde. Und in dem Spannungsfeld bewegt man sich.
Ich möchte keinen Footwork-Künstler auf eine große Bühne stellen mit 40.000 Scheinwerfern, wo das, worum es geht, untergeht. Das sind Leute, die wollen dann vielleicht mitten im Publikum sein. Das musst du halt bei allen Dingen in so einer großen Produktion mitdenken: Wie viel ist da wirklich Eintritt, was kostet das an der Bar, wer macht das … Adam Harper fasst all diese Dinge unter dem Begriff Musikobjekte zusammen.
Da gibt es natürlich auch Kompromisse, die man eingehen muss, und genauso viele Dinge, wo man drum kämpfen muss, dass sie eben nicht passieren. Es wird auch sicher Kritik hageln, dass die Festwochen so etwas machen. Und ich finde, dass das auch dazugehört, weil es hoffentlich den Diskurs vorantreibt. Hyperreality versucht so gesehen auch in einen offenen Dialog bzw. Austausch mit dem Publikum zu gehen, dass neben allen anderen Aspekten so einer Veranstaltung ein ganz wesentlicher Teil der Sache ist, nicht nur als möglicherweise passiver Zuseher.
Wie würdest du die Musik denn Leuten beschreiben, die so was noch nie gehört haben.
Ich würd’s wohl kurz vorspielen, das wär das Einfachste. (lacht) Es ist ja auch Musik. Man macht dann mit zu vielen Worten oft eine Blase auf, die dann eh nichts erfüllt, weil so viel subjektive Erwartungshaltungen suggeriert werden.
Davon abgesehen, schwierig, weil die Worte „Club“ und „Clubkultur“ einfach für so viele Leute eine andere Assoziation auslösen, aber das, was wir machen, ist natürlich auch „Club“, aber im Sinne einer Gegenkultur.
Ich schätze die Community, die sich für die Musik interessiert, immer mehr so als lonley Soundcloud-Jäger ein, die zwar untereinander Kontakt haben, aber eher online. Wie erreicht man die, wie kann man die mobilisieren, vor allem in Wien?
Total unterschiedlich, ich hatte schon mal im F23 einen Event mit ähnlichen Künstlerinnen, dichtem Programm, aber ohne großen Headliner, wo dann doch 1.000 Leute aufgetaucht sind. Also oft ist es halt die Vermischung von Szenen, weil die Acts aus ganz unterschiedlichen Richtungen kommen. In dieser Verdichtung kann viel passieren.
Es stimmt, dass Vieles online passiert, das ist auch was Positives, aber es ist nicht dasselbe, wie wenn man in einem Raum zusammenkommt und das gemeinsam feiert. Das Internet ist kein Ersatz für Community, meiner Meinung nach. Der Ort selber ist schon noch extrem wichtig, besonders für Musik.
Wie viel soll/kann man so was vermitteln? Was sagst du zum kuratorischen Begriff? Wie viel Erklären braucht es und wie?
Oft ist das wichtig, gerade wenn es um Musikrichtungen, die mit Tanz in Verbindung stehen, wie Twerk oder Bounce oder Voguing geht. Das sind mitunter Tanzstile, wo es um Selbstermächtigung geht, unter anderem von POC und wenn die dann durch eine kapitalistische Struktur vereinnahmt werden – bei Voguing durch Madonna bei Twerking durch Miley Cyrus zum Beispiel –, wird das auf eine ganz andere Bühne gehoben. Auf einmal steht das halt so unter weißer Vereinnahmung, außerhalb eines Safe Spaces, weil da, wo es herkommt, z. B. schwarze Frauen den Dancefloor dominieren.
Wenn ich hier – und das wird so sein – 500 weiße Kids stehen hab, die das vielleicht falsch interpretieren, ist es schon ein bisserl wichtig zu sagen: Da geht’s nicht darum, dass ich mich gebärde, damit ein weißer Mann mich anschaut, es geht nicht um die hedonistische Inszenierung meiner Sexualität, sondern es geht um mich und meinen Ausdruck. Menschen die marginalisiert sind, haben Macht am Dancefloor. Es geht um nichts Antifeministisches, um nichts Rassistisches. Aber die Grenze zwischen Aneignung und Subversion ist halt ziemlich schmal und deshalb soll man vielleicht doch ab und zu was dazu sagen.
Gleichzeitig ist es wahrscheinlich auch nicht in eurem Sinne, viel vorzuschreiben …
Nein, und das ist ja das Nächste: Ich finde, man darf auch mal was falsch machen. Es ist nicht so die große Schande, mal was falsch verstanden zu haben, besonders bei so komplizierten Themen oder Realitäten. Man kann ja diskutieren und sich austauschen.
Das sind Themen, die nicht so leicht sind. Bei den Wiener Festwochen haben wir bei allen Projekten das Ziel, keine einfachen Antworten auf schwierige Fragen zu geben. Es ist halt nicht so, dass jeder Aneignung verstanden hätte und nicht selbst in Fallen tappen kann.
Wenn man Acts in so einem großen Setting präsentiert, läuft man ja auch Gefahr, dieser Aneignung gewissermaßen Vorschub zu leisten …
Ich kann nur sagen: Wenn man sich was aneignet, ist das sehr oft schlecht. Man nimmt Leuten, die Musik als Ausdrucksmittel verwenden, nicht nur ihr Gehör, sondern potenziell auch eine Existenzgrundlage.
Die Plattform soll jedenfalls nicht bereits die Aneignung werden. Man kann sich Gedanken machen, wie man Acts präsentiert und man kann sie möglichst viel für sich selbst sprechen lassen, dazu haben wir die Showcases, wo Kollektive wie NON selbst kuratieren. Den Rest muss man auch passieren lassen. Auf einer wieder anderen Ebene bin ich schließlich nicht die Musikpolizei und die Rezipienten muss man auch selbst denken lassen, ohne alles vorzukauen. Wichtig ist dabei trotzdem Stellung zu beziehen, ein Ziel von Hyperreality ist, soziales Bewusstsein für genau solche Themen zu schaffen.
Das Kollekiv NON bei einer Probe beim CTM-Festival in Berlin.
Aneignung ist ein schwieriges Thema. Beyoncé ist da ein lustiges Beispiel, die hat ja zum Beispiel diese Schriftstellerin, Chimamanda Ngozi Adichie, auf einem Track zitiert, und im Endeffekt ist es ja cool, wenn Beyoncé in einem Pop-Track feministische Botschaften hat. Aber es ist halt auch nicht mein Feminismus, weil Beyoncés Feminismus einer ist, der sich auf Männer bezieht – „if you like it put a ring on it“. Da sie aber ein viel breiteres Publikum erreicht, muss ich das trotzdem nicht verhindern oder bekämpfen.
Wie unterscheidet sich denn deine und Tomas Zierhofer-Kins Arbeit, die ihr beim Donaufestival gemacht habt, von dem, was ihr jetzt bei den Wiener Festwochen macht?
Das Donaufestival hatte schon, glaube ich, mehr Pop-Namen am Programm. Ein großer Unterschied ist auch die Infrastruktur. In Krems hast du die Aufgabe, dass Leute da rauskommen, das ist schon noch mal was ganz anderes. Wir haben in Wien eine andere Plattform und die kann ich nutzen, insofern ist auch die Ausrichtung anders. Außerdem geht es, denke ich, mit dem Donaufestival auch anders weiter …
… genau das wollte ich dich ohnehin fragen. Seid ihr da in Kontakt gewesen? Es ist ja nicht so viel zeitlicher Abstand zwischen den Festivals, Equiknoxx steht bei beiden Festivals am Line-up …
Es gab Überschneidungen, Equiknoxx wollt ich unbedingt holen, wir fliegen die auch aus Kingston ein und haben sie schon im Juni angefragt. Klaus Moser hat mich dann vor ein paar Wochen gefragt, ob es okay ist, wenn die am Donaufestival auch spielen und das find ich schon in Ordnung. Wir wollten nie Acts österreichweit blockieren, da möchte ich nicht eingreifen. Ich nehme den Acts ja sonst Geld und Gehör weg, wenn ich sie blockiere und das gibt es ja schon bei vielen Festivals, die Strategie „Österreich exklusiv“, aber das finde ich überhaupt nicht gut. Umgekehrt hatte das Donaufestival auch kein Problem damit, dass Yves Tumor auch bei uns in Wien als Teil vom Projekt AS Sirens von Amnesia Scanner auftritt.
Hyperreality ist jetzt das Erste, was man von den Wiener Festwochen überhaupt mitbekommt, das ist ja auch ein Signal, das viele Festwochen-Kenner jetzt vielleicht nicht so feiern.
Hmm, gute Frage. Ich habe lang Events promotet und weiß, dass es Zeit braucht, das zu kommunizieren. Also für mich ist es eh schon gigantisch, dass wir so viele Acts gleich rausgeben mussten und dann mit allem weiteren am 16. Februar online gehen – das muss ja auch mal irgendwer verarbeiten. Ich wollte halt früher damit raus, damit es ein bisschen mehr Zeit gibt, das zu kommunizieren – auch international gedacht, damit das Festival auf der „Landkarte“ der Menschen auftaucht. Ganz pragmatisch. Andererseits ist Hyperreality ein klarer Bestandteil eines größeren Gesamtkonzeptes der Festwochen. Es gibt durchaus Überschneidungen zu andere Programmschienen wie dem Performeum oder der Akademie des Verlernens. Die Formate ergänzen sich in gewisser Weise gut und führen den Diskurs mit anderen Mitteln weiter. Die Akademie hat formal und inhaltlich neue Diskursformate im Programm, das Performeum ist ein Art Museum für Performance-Kunst mit vielen spartenübergreifenden Arbeiten, zu denen auch Musik gehört. Alles zusammen ergibt ein neues Kunstfestival, das an sich schon eine sehr umfangreiche Ankündigung wird.
Billige Frage, aber wie kam es denn überhaupt dazu, ein Clubkultur-Festival bei den Wiener Festwochen zu machen?
Ich rede seit knapp zwei Jahren mit Tomas darüber, für ihn war das auch klar, Clubkultur und Musikerinnen, die in der Popkultur mit diesen Ästhetiken arbeiten, bei den Festwochen dabeizuhaben. Da war ganz klar, dass das bei den Festwochen passieren soll, auch weil es etwas Vergleichbares in Wien noch nicht gibt.
Hyperreality findet von 24. bis 27. Mai in Wien statt. Am 16. Februar wird ein neuer Schwung an Acts bekanntgegeben, in Moment sind bereits bestätigt:
Alpha Tracks, ALX9696 (Balacore), Ancient Methods, Angel-Ho (NON), Asfast, Battle-ax, BLEID (Príncipe), Carla dal Forno, Chino Amobi (NON, Dinamarca (Balacore), Dj-Firmeza (Príncipe), Dj Nigga Fox (Príncipe), Dr. Rubinstein, DVA, DAMAS, Embaci (NON), ENDGAME (Balacore), Equiknoxx Music pres. Bird Sound Power, FAKA (NON), Forever Traxx, Ghazal (Balacore), Gnučči, Holly Herndon, Jlin, Juliana Huxtable, Jung an Tagen, Kamixlo (Balacore), Klein (NON), KLITCLIQUE x FAUNA, Lakker, Mechatok (Balacore), Nidia Minaj (Príncipe), Nkisi (NON), Okzharp & Manthe, Ribane, Princess Nokia, Puto Anderson b2b DJ NinOo (Príncipe), Rezzett, SKY H1, Tami T, Tomasa del Real, Toxe (Balacore), Tropic of Cancer, Uli K (Balacore), Visible Cloaks x Brenna Murphy und Why Be.