"Ich kann nicht sagen, ich hätte nichts erlebt"

Raf Camora ist einer der bekanntesten, deutschsprachigen Rapper zur Zeit. Anlässlich seines neuen Albums "Ghost" haben wir ihn vorab getroffen und er hat uns erzählt, warum ein Joint der Ursprung seines Albumnamens war und wieso der erste Splash-Auftritt unvergesslich war.

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Wer ist Raf Camora, wer Raf 3.0 und wer Raphael Ragucci?

Raf Camora ist der Künstler. Raf 3.0 ist ein Kunstprodukt das ich gemacht hab, um mich eine Zeit lang von der Straßenrapecke zu lösen. Jetzt beim neuen Album ist aber alles wieder miteinander verbunden. Aber man kann nie seine Persönlichkeit komplett von der Kunstfigur trennen, weil ich halt auch nicht so eine Kunstfigur wie Marylin Manson bin, der sich schminkt und mit Satanskreuzen herumrennt. Also sagen wir so, Raphael unterscheidet sich jetzt nicht so von Raf Camora. Raf Camora achtet nur darauf, dass er sich auf Fotos schöner präsentiert und in Interviews gewählter spricht.

Du bist ja Italiener, der in der Schweiz geboren wurde und dann nach Wien gekommen ist. Du erwähnst hin und wieder, dass du in der Schweiz in einer Art Schloss gewohnt hast. Wie war der Kontrast von der Schweiz in den 15. Bezirk zu ziehen?

Schöne Frage. Hm, die meisten kommen ja aus der Scheiße ins schöne Wien. Bei mir war es genau umgekehrt. Ich bin aus einem Schloss, direkt am See, in den 15. Bezirk gekommen. Das war während der Nachkriegszeit. Alles zusammen mit den ganzen Flüchtlingen, die alle meine Freunde waren. Ich muss ehrlich sagen: die ersten Jahre hatte ich ein Mega Problem damit. Ich konnte damals auch nicht wirklich Deutsch, ich musste da erst irgendwie reinkommen. Aber ich wollte da überhaupt nicht her. Die ersten Jahre wollte ich nur wieder zurück.

Dein Musikstyle setzt sich ja aus mehreren Elementen wie Rap, Trap, Dancehall, Reggae, etc. zusammen. Welches Element ist das ausschlaggebenste?

Ich glaube Trap und Reggae. Aber Trap ist halt immer so ein Ding. Das war genauso wie damals mit dem Grunge. Jeder wusste man macht Grunge, aber man redet halt nicht so drüber. Weil das ist dann halt gleich ein bisschen uncool. Und bei Trap ist das genau das Gleiche. Ich will nicht sagen, ich mach Trap. Ich mach halt einfach Hiphop der sehr im Zeitgeist ist. Es ist ein bisschen wie mit Videpspielen. Wenn du ein Spiel schon mal durchgespielt hast, dann willst du’s nicht nochmal spielen. Deshalb klingt halt mein Hiphop so wie er klingt.

Du hast ja schon früh begonnen Musik zu machen, damals ausschließlich auf französisch. Inwiefern unterscheidet sich der französische vom deutschen Rap, z.B. im "Flow"?

Sagen wir so: Fast jeder rappt dort. Das heisst du hast eine unglaublich hohe Konkurrenz. In Deutschland wird es jetzt langsam auch so, deswegen wird Rap immer besser. Aber früher war’s halt in Deutschland anders: du hast da ein paar Leute, die rappen und die waren dann halt was besonderes. In Frankreich ist es so, dass Rapper und deren Kumpels auch rappen und nur einer aus der Gang der "Hauptrapper" ist. Der ist dann halt besser als die anderen.

Man weiß ja, dass du ein Jahr auf den Straßen Wiens gelebt hast. Wie wichtig war diese Zeit für deine musikalische Weiterentwicklung?

Für die persönliche eher, für die musikalische nicht wirklich. Du weißt nur, wenn du wirklich einmal ganz ganz unten warst, was es heißt etwas zu "schätzen". Dadurch, dass ich schon so früh meinen totalen Absturz hatte, hatte ich einen Vorteil gegenüber denen, die das erst mit 20 erlebt haben. Ich hatte das schon hinter mir und dachte: "Da gibt’s keinen Boden auf dem du dich befindest”.

Außerdem rap ich ja auch nicht so krass dieses Straßenzeug. Aber natürlich hat’s mir gut getan, denn ich hab was zu erzählen. Ich kann zum Beispiel nicht sagen, ich hätte nichts erlebt.

Du hast ja mehrere Zusammenarbeiten mit Chakuza und kennst sicher auch weitere Leute im Biz. Wie schätzt du deren Weiterentwicklung ein?

Manche: ja, gut. Manche versuchen eher den Weg des "Business-Machen" einzuschlagen. Sie wissen, dass etwas funktioneirt und machen das auch die ganze Zeit weiter. Silla zum Beispiel. Er war immer beliebt für seine deepen Songs und dann hat er begonnen Fitnessrap zu machen und irgendwie hat das dann nicht so gut geklappt. Und jetzt kommt er halt wieder zurück zu den deepen Sachen.

Bei mir ist es halt eher so: neu, neu, neu.
 Damit halt nie jemand sagt "Das klingt wie von vor 3 Jahren". Das wär für mich das Schlimmste.

Dein 1. Splash Auftritt war ja unteranderem an der Seite von Joshi Mizu, kannst du dich noch an das Gefühl erinnern wie das damals für dich war?

Das war ein krasses Gefühl. Wir waren damals mit HeadQuater Records, das damals das einzige österreichische Label irgendwie war. So Chakuza, Johshi, ich und paar mehr.. 
Zuerst war Bushido. Das war 2003, zur Spitze von seinem Hype und er war zwar der erste Act, aber es war voll. Alle dachten sich "Fett, Splash ist schon von Anfang an voll." Dann war sein Aufritt vorbei und es war leer. Es war nur noch eine Reihe an Menschen im Publikum. Dann hat der erste Act von unserem Label angefangen und die Crowd hat begonnen Platten auf die Bühne zu werfen. Das war eine richtige Blamage. Dann kamen aber irgendwann wir, damals noch bekannt als "Balkan Express". Wir hatten halt am Anfang so ein Jugo-Sample drin, was zu der Zeit grad mega in war und alle dachten, dass "Aggro Berlin" jetzt anfängt. Also sind alle nach vorne gestürmt, so hatten wir den voll geilen Auftritt. Die haben dann zwar gecheckt dass wir nicht "Aggro Berlin" sind, aber die fanden uns dann schon ganz cool. Nach uns war dann Sido. Aber war schon eine krasse Schelle, der Vergleich was in Österreich und was in Deutschland abgeht.

Was ist zurzeit dein Lieblingstrack?

Von meinem Album ist es "Ghost".
 Aber ganz generell ist es gerade von PNL, die Nummer "Abonné". Das sollte sich jeder anhören. Unbedingt.

Am 15.4 kommt dein neues Album "Ghost". Was kannst du uns darüber erzählen? Was sind die Unterschiede zu deinen bisherigen Arbeiten?

Dieses Album ist für mich mein stärkstes. "Nächster Stop Zukunft" und das Erste von Raf 3.0 waren bis jetzt meine Lieblingsalben. Das Jetztige verbindet diese zwei. Das Album ist irgendwie am komplettesten. Alle Skills, Rap aber auch Flow-mäßig, die ich mir angeeignet hab, hab ich auf "Ghost" einfach am meisten drauf. Ich fühl mich so stark wie nie zu vor, musikmäßg. Wenn ich ein rießiges Megaphon hätte, würd ich meine CD abspielen und damit die ganze Welt beschallen.

Ein Track auf dem Album heißt "Panzner", der ziemlich unter die Haut geht. Eine Line ist "Liebe ist nur ein Gefühl, von dir war ich besesssen". Gibt es da eine wahre Hintergrundgeschichte aus deinem Leben?

Klar. Ich glaub nicht das meine Geschichte so anders ist als die von anderen. Aber es gibt halt Menschen, die sind fähig zu lieben und es gibt Menschen, die haben solche Gefühle gar nicht. Wenn man jemand ist, wie zum Beipiel die meisten Künstler, dann ist man eher sensibel. Ok, sensibel klingt jetzt doof. Nennen wir es "fähig zu lieben". Dann kann das schon mal passieren, dass Gefühle zu stark werden und das ist dann halt keine Liebe mehr. Man vergisst dann alles um sich herum. Das passiert jungen Menschen am meisten, bis sie dann richtig demoliert werden. Im Nachhinein sind sie schlauer und passen mehr auf. Und dann kommt der Panzer.

Es sind ja ein paar Rapgrößen auf dem Album vertreten. Wie kam es zu den Features?

Kontra Ks Sachen hab ich das erste Mal in Tokio gehört und war sofort Megafan. Ich hab den dann auch zufällig auf der Straße, als ich mit meinem Pudel spazieren war, getroffen. Danach haben wir uns getroffen, super verstanden, sind ins Studio gegangen und haben einen Song aufgenommen. Der ist auch super stark.

Bei Bonez MC war das bisschen anders. Er war schon länger ein Fan von mir, was ich nicht wusste. Sein Track "Schnapp" ist an einem Lied von mir angelehnt. Der hat dann nach meiner Nummer angefragt und ja, so bin ich zu Bonez MC gekommen.

Farid kenn ich seit 2009. Der war der erste Rapper, der mich persönlich angeschrieben hat und mir Respekt gegeben hat. Schon krass.

Und Metrickz – der ist ein Typ, der ist stabil, der ist unabhänging.

Das Album, sowie ein Track heißen "Ghost". Was hat es mit dem Namen auf sich?

Ich war mal in Amsterdam und eigentlich kiff ich ja nicht. Aber ich hab auf meinen Flug gewartet und dachte mir, wieso eigentlich nicht. Dann hab ich auch schon einen Joint geraucht. Ich hab Musik gehört, bin auf einer Brücke gesessen und ganze viele Leute sind an mir vorbei gegangen. Ich hatte das Gefühl, die laufen alle durch mich hindurch. Die nehmen mich gar nicht wahr. Dann saßen da sogar so drei Mädchen neben mir, die sich schon fast an mich angelehnt hatten, als würden sie mich nicht sehen. Und dann kam dieses "Ghost” in meinen Kopf. Ich bin wie ein Ghost. Immer schwarz angezogen, immer die Kapuze auf und dann dachte ich mir wieder: "Ok krass, ich bin wirklch ein Ghost." Das ist wie meine Stelle in der Musikszene. Ich hab überall ein bisschen meine Finger drin, aber ich bin nie auf diesen Highsociety-Partys und lächle in die Kameras. Ich bin immer lieber ein Ghost. Ghostlifestyle halt. 
Es wär ja wahrscheinlich auch so, dass ein Rapper, der nur halb so viel Erfolg hat wie ich, auf den Straßen mehr erkannt werden würde. Aber der hält ja auch stundenlang seine Fresse in Snapchat.

Gibt es schon Pläne für die Zukunft?

Ja, auf jeden. Es kommt jetzt ein Album/eine Zusammenarbeit mit einem Künstler aus Norddeutschland. Wenn das alles klappt, dann wird das sicher eine bomben Geschichte. Danach hab ich auch schon wieder neue Sachen in der Pipeline. Dadurch dass ich mich jetzt so gefunden hab mit dem neuen Album, fühl ich mich mega stark und hab auch viel neue Inspiration. Ich schreib jeden Tag Songs. Ohne Pause wird’s weitergehen.

Raf Camoras Album "Ghost" erscheint am 15.04.2016 via Indipendenza / Groove Attack.

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