Im Zug mit alten Damen

Zwei nette Omas unterhalten sich in der S-Bahn über ihre Enkel. Was beginnt wie ein harmloser Witz, brachte mich vor ein paar Wochen beinahe zum Verzweifeln. Über »Afrikaner«, Resignation und Politik aus dem Rückenmark.

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Die Hitzewelle hat ihren ersten Durchhänger gerade hinter sich. Ich sitze im Zug aus der Stadt in Richtung Suburbia. Der Akku leer, ich höre keine Musik, sondern den Leuten zu. Schräg vor mir – ich sehe ihre Spiegelbilder im Fenster – unterhalten sich zwei ältere Damen. Harmloses dies und das. Der Enkel braucht eine Zahnspange. Die Enkelin der anderen ist gerade auf Zeltlager. Werden die schwitzen! Gut für den Garten, dass es gerade geregnet hat. Blöd halt für die Paradeiser, die mögen die Feuchtigkeit von oben nicht so. Wirklich wild war er, der Regen letzte Nacht. Und plötzlich traue ich meinen Ohren kaum: Die halbe Nacht bin ich wach gelegen wegen dem Regen. Die Armen in Traiskirchen! Im Freien müssen sie schlafen. Haben eh schon nix und dann das auch noch.

Ich bin gerührt und, ja, begeistert fast. Durchschnittsmenschen mit Mitgefühl! So oft schon habe ich in den vergangenen Wochen Stimmen gehört, Kommentare gelesen, Dinge weitererzählt bekommen, die mich an der Mitmenschlichkeit meiner Mitmenschen haben zweifeln lassen. Da tut es gut, einmal zwei Muaterln zu hören, die sich nicht von Wut, Hass und Angst lenken lassen. Keine alten Hippies oder pensionierten Volksschullehrerinnen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit die Grünen wählen, sondern gepflegte Damen – früher hätte man sie gutbürgerlich genannt –, ganz gleich, ob sie sich in der Pfarrgruppe oder im »Haus der Begegnung« zu Hause fühlen.

Doch zu früh gefreut. Gerade waren noch die armen Hascherln im Freien bedauert – Man müsste die Schulen aufmachen, in den Turnsälen ist doch Platz genug für alle! –, schon schlägt die Furcht durch – Aber wo solln‘s dann hin, wenn die Schule wieder losgeht? Unsere Kinder müssen ja in die Schule gehen! –, schon scheint die Abschottung der Weisheit letzter Schluss: Also wenn ich die Ministerin warat, ich tät‘ alle Grenzen dicht machen, ganz radikal. Sollen‘s halt schauen, wo‘s hinkommen, die Afrikaner!

Ich. war. baff. Binnen eineinhalb Minuten vom Mitgefühl über furchterfülltes Scheißdrauf zum aggressiv-trotzigen Mirdochwurscht mit rassistischem Grundton (»Afrikaner« war wohl auch nicht anders gemeint als »Neger«) – diese argumentative Achterbahnfahrt muss man intellektuell wie emotional erst einmal hinkriegen.

Eine traurige Anekdote, nicht mehr!, kann man einwenden. Ja, stimmt. Doch was bei mir auch Wochen nach dieser Beobachtung geblieben ist, ist Wut. Eine Wut auf zwei Regierungsparteien, die sich nicht nur der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht haben, sondern vor allem auch der unterlassenen klaren Worte – und fehlender Leadership. Vom widerlichen Volksverhetzer Strache ist nichts anderes zu erwarten. Wir sind es gewohnt, dass er auf dem Rücken der Schwächsten Stimmung macht. Doch von staatstragenden christlich-sozialen und sozialdemokratischen Politikern muss man erwarten können, dass diese zugunsten dieser Schwächsten Partei ergreifen, und zwar eindeutig, ohne zu zögern. Vielleicht war es das, was Stronach meinte, als er von »fehlenden Werten« faselte.

All die lächerlichen Gegenargumente – wir haben sie natürlich gehört. Sie gelten schlicht nicht. Denn Politik braucht Symbole und gerade in Ausnahmesituationen auch klare Bekenntnisse. Meine zwei Omas aus dem Zugabteil sind das beste Beispiel für die Orientierungslosigkeit, die in weiten Teilen der Bevölkerung vorherrscht – und eine Schwankungsbreite, die mitunter eben von wohlwollender Anteilnahme bis zum ablehnenden Hass reicht. Wenn Politiker hier schweigen, passiv bleiben, zögern oder nichts tun, überlassen sie die Deutungshoheit den Freiheitlichen, Nazis und Menschenfeinden, ihrer herzlosen Politik aus dem Rückenmark, ihrer gewissenlosen Sprache.

»Warum nennt man eigentlich die Asylsuchenden Betrüger?«, fragt sich der pensionierte bayerische Asylrichter Peter Vonnahme in einem Blog-Beitrag. »Kein Bauwerber, dessen Bauantrag abgelehnt wird, ist in unserem Sprachgebrauch ein Baubetrüger. Ebenso wenig ist ein Unternehmer, dessen Subventionsantrag abgelehnt wird, ein Subventionsbetrüger. Nur die erfolglosen Asylantragsteller sollen Betrüger sein? Das ist hetzerisch.« Wir alle sind gefordert achtzugeben, dass sich diese Hetze nicht breiter macht als sie ohnehin schon ist.

Ich werde meine Augen nach den beiden Omas offen halten. Sollte ich sie wieder treffen, werde ich das Gespräch suchen. Nein, einfache Antwort und eine Lösung der Misere habe ich natürlich auch keine parat. Doch die Welt ihrer Enkelkinder wird eine andere sein, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. Und die Schulbank werden sie mit manch Flüchtlingskind und Dagebliebenem teilen. Mit Betonung auf »teilen«. Dazu gibt es keine menschlich vertretbare Alternative. »Ein Ende dieses Flüchtlingsstroms ist nicht in Sicht«, schreibt der pensionierte Asylrichter. »Er folgt archaischen Verhaltensmustern. Wir können versuchen, Mauern aufzurichten, um unseren Reichtum zu verteidigen. Aber diese Mauern werden dem Andrang von Abermillionen auf Dauer nicht standhalten.«

Machen wir uns nichts vor: Die nächsten Jahre werden ungemütlich und unbequem. Und jeder von uns wird gefordert sein. Zug fährt ab.

Thomas Weber, Herausgeber

Auf Twitter: @th_weber

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